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Heiko Maas in JerusalemLoyal gegenüber Israel bleiben

Judith Poppe
Kommentar von Judith Poppe

Außenminister Maas bringt heikle Fragen zur Annexion mit. Doch ein Spagat zwischen deutscher und internationaler Verantwortung ist es nicht.

Außenminister Maas mit seinem israelischen Kollegen Gabi Aschkenasiin Jerusalem Foto: Ilia Yefimovich/dpa

B eim Besuch von Außenminister Heiko Maas in Israel wird die zentrale Frage die geplante Annexion des Jordantals und der jüdischen Siedlungen im Westjordanland sein. Wenn ein deutscher Außenminister in Jerusalem heikle Fragen im Gepäck hat, ist schnell die Rede von einem Loyalitätskonflikt: Die deutsche Politik fühlt sich einerseits internationalem Recht und UN-Resolutionen verpflichtet. Andererseits gibt es das historisch begründete Bedürfnis zu Solidarität mit Israel. Doch ist das wirklich ein Widerspruch?

Wenn es um Kritik an Israel geht, gehen in Deutschland die Alarmglocken an. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der Tatsache, dass Israel tatsächlich immer wieder das Existenzrecht abgesprochen wird, ist das verständlich. Doch es gilt zu differenzieren. Der Begriff „Kritik an Israel“ führt eigentlich in die Irre. Das Land ist wie jedes andere kein monolithischer Block. Es besteht aus Rechten und Linken, Armen, Reichen, Jüd*innen und Araber*innen, Religiösen und Säkularen. Israel zu kritisieren heißt, die israelische Regierungspolitik zu kritisieren, nicht das Land. Eine solche Kritik ist zu trennen von einer Infragestellung des Existenzrechts Israels. Diejenigen, denen Israel am Herzen liegt, sollten sich also vielmehr überlegen, mit wem genau sie solidarisch sein wollen.

Mehr als die Hälfte der Israelis ist gegen eine Annexion, zeigt eine kürzlich durchgeführte Untersuchung. Sie wissen, dass eine Annexion nicht nur für die Palästinenser*innen, sondern auch – ja vielleicht vor allem – für die Israelis katastrophale Folgen haben kann. Es würde eine extreme Destabilisierung der Region bedeuten, möglicherweise das Ende der Friedensabkommen mit Ägypten und Jordanien und einen weiteren Teufelskreis aus Blutvergießen. Und sollten, wie vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu angekündigt, diejenigen Palästinenser*innen, die zukünftig im von Israel annektierten Gebiet leben, tatsächlich keine Staatsbürgerschaft erhalten, wäre dies ein weiterer Schritt hin zum Ende der Demokratie.

Wegen der Schoah loyal gegenüber Netanjahu zu sein statt gegenüber den Israelis, die für Frieden kämpfen, für Demokratie und gegen die Besatzung, bringt Dinge durcheinander. Und diejenigen Israelis, die sich die Verteidigung von Frieden und Demokratie auf die Fahnen geschrieben haben, verstehen die Unterstützung oder eine vornehm schweigende Nichtpositionierung zu Netanjahus rechter, häufig antidemokratischer Politik als Verrat – nicht die Kritik an Annexion und Besatzung.

Auf dem „Grund von Auschwitz“ sollten Friedenspositionen und all die Tausenden von Menschen unterstützt werden, die am vergangenen Samstag auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv gegen die Annexion und die Besatzung protestierten. Auch das bedeutet, loyal gegenüber Israel zu sein.

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Judith Poppe
Auslandsredakteurin
Jahrgang 1979, Auslandsredakteurin, zuvor von 2019 bis 2023 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.
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17 Kommentare

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  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich vermisse ihn sehr bei der taz

    taz.de/Kolumne-Bes...ile2=1588896000000

  • 9G
    90564 (Profil gelöscht)

    eike geisel wird schmerzlich vermisst, der hat zu diesem kommentar schon vor 35jahre alles gesagt

  • "Diejenigen, denen Israel am Herzen liegt, sollten sich also vielmehr überlegen, mit wem genau sie solidarisch sein wollen."

    Auf den Punkt gebracht.

    "für die Israelis katastrophale Folgen haben kann"

    Das kann ist eigentlich theoretischer Natur, das wird sicher passieren.

    Zu den genannten Punkten kommen noch ein paar dazu, jeder Schekel kann auch in Israel nur einmal ausgegeben werden und dieser "Plan" wird verdammt teuer. Schon jetzt gibt der Staat Israel für keine Gruppe so viel Geld aus, wie für die Siedler in Judäa und Samaria.

    Adva-Center Tel-Aviv



    m.calcalistech.com....aspx?guid=3768561

    Die Autonomiebehörde wird ohne eine klaren Aufruf zum Kampf eine Annexion nicht überleben und das wissen in Ramallah die alten Männer auch alle. Die andere Möglichkeit ist, das es neue Machthaber dort gibt und die werden auf jeden Fall kämperischer sein als die PLO, außerdem wäre Israel dann auch für die nicht annektierten Gebiete zuständig, wenn Oslo II wirklich erledigt wäre und ich meine nicht nur in Reden im TV.

    Neuer, starker Raketenbeschuss kommt dann auf jeden Fall. Auch der ist wirtschaftlich schädigend, es geht ja schon damit los, dass das Rocket against a rocket System für Israel erheblich teurer ist, eine Qassam kostet keine 1.000 USD, die Tamir Rakete, die der Iron Dome verschießt kostet 40.000 USD und der Starter 50 Mio mit der Anlage.

    Die Hizbullah ist aufgrund der Proteste im Libanon erheblich unter Druck, Krieg gegen Israel ist eine mögliche Lösung um dieses Problem zu kaschieren.

    Ich finde ja diesen Ausdruck,

    • @Sven Günther:

      "Freunde" zwischen Staaten deplaziert, aber wenn wir mal bei der Analogie bleiben, Sinn und Zweck von guten Freunden ist, dem Freund auch klar zu sagen, wenn er Unrecht hat.

      • @Sven Günther:

        "....eine Qassam kostet keine 1.000 USD,...."

        Das ist so nicht ganz richtig. 1000 USD mögen die Herstellungskosten sein. Nach Herstellung muss die Rakete aber noch zu den Terroristen geschumggelt werden oder die Terroristen müssen sie selbst illegal herstellen - und das ist teuer.

        Wie teuer ist schwer zu bestimmen. Aber "The Economist" hat mal analysiert, daß jede auf Israel abgefeuerte Rakete mindestens 200000 Dollar kostet, einige kosten bis zu 1,5 Mio.

        • @Tobias Schmidt:

          Wenn man von Gaza aus schießt. Die Grenze ist, seitdem al-Sisi an der Macht ist, zu kontrollieren.

          Aber man kann auch aus dem Libanon, Syrien, die Quds-Brigaden sind ja schon da oder der Westbank feuern.

          Israel ist ein kleines Land, selbst Nord-Süd, ich hab mir 2019 mal den Israel Bike Trail gegeben, das sind nur 1.100 km von Eilat zum Berg Hermon, Grenzen sind nie weit entfernt.

          • @Sven Günther:

            "....ich hab mir 2019 mal den Israel Bike Trail gegeben,..."

            Ach, sie Glücklicher. :-)

            Berufsbedingt hat es mich schon in viele "westlich geprägte Länder" (wie man so schön sagt......) verschlagen. In Israel war ich hingegen noch nie. Habe mir aber fest vorgenommen dieses kleine, bemerkenswerte Land mal zu bereisen. Und mit bereisen meine ich bereisen; min. 4 Wochen, mit Fahrradtouren und allen. :-)

            Aber bevor ich nun völlig sentimental werde zurück zum Thema.

            "Wenn man von Gaza aus schießt."

            Ihr Einwand ist völlig berechtigt; mein Kommentar bezog sich ausschließlich auf die umstrittenen Gebiete.

            Es steht außer Frage das z.B. Ägypten, Jordanien, Syrien oder der Iran Israel jederzeit angreifen könnten. Und sie würden es mit "Muni" tun die sich in der von ihnen erwähnten 1000 Dollar "Klasse" befindet.

            Die spannende Frage, spannend deswegen weil es um Menschenleben, auf beiden Seiten, geht, ist doch: angenommen Israel annektiert das Jordantal (was auch ich für eine blöde Idee halte) - dann bedeutet das Krieg.

            Wie wird dieser ausgefochten?

            Aus Gaza kann m.M.n. nicht viel Gegenwehr kommen; die Vergangenheit beweist, daß die Israelis diesen Terror recht gut im Griff haben.

            Würden souveräne Staaten wie z.B. der Iran Israel den Krieg erklären und militärisch gegen Israel vorgehen? Oder würden diese Staaten den auf ihren Gebieten operierenden paramilitärischen Organisationen wie z.B. der Hisbollah erlauben Israel anzugreifen?

            Oder würden sie, trotz allen Säbelrasselns, die "Füße still halten"?

            Nun, im Falle einer tatsächlichen Annexion sollten sie tatsächlich letzteres tun. Denn Israel, dieses kleine, bemerkenswerte Land ist nicht nur die einzige Demokratie sondern auch die einzige militärische Supermacht vor Ort.

            • @Tobias Schmidt:

              Ich habe da Verwandte...

              Zurück zum Thema, es dürfte eher auf die paramilitärische Variante hinauslaufen.

              Israel ist die einzige Atommacht, aber es ist keine "Supermacht," Israels Bevölkerung beträgt nur 9 Millionen Einwohner, das ist ungefähr die Größe von Kairo Stadt. Israel kann sich keine verlustreichen Kriege leisten und sollte wegen so einem Quatsch auch keine provozieren.

              • @Sven Günther:

                "Israel kann sich keine verlustreichen Kriege leisten und sollte wegen so einem Quatsch auch keine provozieren."

                Ja, das sehe ich ganz genau so. Wie gesagt, auch ich halte eine mögliche Annexion für keine gute Idee. Wollte doch lediglich auf die möglichen Folgen, die ein solcher Schritt haben würde hinweisen. Der Begriff "Supermacht" war wohl übertrieben; dennoch: niemand sollte die Schlagkraft der IDF unterschätzen.

                Noch eine Frage zur Atommacht: es ist wohl Konsens das Israel im Besitz der Bombe ist. Aber meines, zugegeben sehr beschränkten Wissens zu diesen Thema hat sich Israel nie offiziell als Atommacht bekannt.

                Diese Strategie kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, denn: wen will man abschrecken wenn man noch nicht mal zugibt im Besitz der Bombe zu sein?

                Irre ich mich hier oder übersehe ich etwas?

                Frage explizit sie, da ich ihren anderen Beiträgen zum Thema entnehme, daß sie mit der Materie wesentlich besser vertraut sind als ich.

                • @Tobias Schmidt:

                  Die Kurzversion, das nennt sich Politik der Zweideutigkeit und hat für Israel viele Vorteile.

                  Wenn man zugibt im Besitz von Atomwaffen zu sein, liefert man allen anderen Staaten in der Nähe einen Grund, ebenfalls den Besitz solcher Waffen anzustreben. Israel würde sich großem diplomatischen Druck aussetzen, und so können Geschäftspartner auch weiterhin so tun, als hätte Israel keine.

                  • @Sven Günther:

                    Danke für die Erklärung.

            • @Tobias Schmidt:

              Dieses oft und gern als dieses kleine Land Israel bezeichnete Land ist immerhin doppelt so groß wie der Libanon. Mal auf eine Karte schauen!

              • @Martha:

                Aber wer will sich schon mit dem Libanon vergleichen?

      • @Sven Günther:

        "Sinn und Zweck von guten Freunden ist, dem Freund auch klar zu sagen, wenn er Unrecht hat."

        Genau so siehts aus. Die Annexion wird nicht der Sicherheit Israels dienen, sondern der Sicherheit Netanjahus, die Stimmen der Rechten hinter sich zu wissen.

        • @Deep South:

          Ich musste meinen besten Freund mal "einsperren" bei mir in der Wohnung, kam besoffen vorbei und wollte meinen Baseballschläger "leihen", in dem Moment war er unglaublich wütend, hinterher ziemlich dankbar...

      • @Sven Günther:

        Eben