: Jurassic Park der Denkmäler
Die MLPD stellt vor ihrer Zentrale in Gelsenkirchen eine Lenin-Statue auf.Ein offener Brief von Gerd Koenen
Das Projekt der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, eine ausgediente Lenin-Statue vor ihrem Familienunternehmen zu platzieren, müsste sehr viel großzügiger gedacht werden. Dazu hätte ich einen Vorschlag, der allerdings auch von den MLPD-Genoss/inn/en fordert, mehr Rückgrat zu zeigen und klarer Farbe zu bekennen. Dann könnte ihre Parteizentrale als Gesamtkunstwerk gelten und zu einem Lern- und Erinnerungsort mit Zügen eines Jurassic Park werden.
Folgendermaßen: Die aus MLPD-Vermögen ersteigerte, 1957 in der Tschechoslowakei gegossene Lenin-Statue dürfte mit großer Sicherheit die Stelle eines der zahllosen Stalin-Denkmäler eingenommen haben, die einst im ganzen sowjetischen Machtbereich zu Tausenden die Straßen und Plätze geschmückt haben. Diese Statuen sind eine nach der andern vom Sockel gestürzt oder auch zerschlagen worden. Die überall entstandenen leeren Plätze mussten mit neuen Lenin-Denkmälern bedeckt werden, die in diesen Jahren deshalb noch einmal reihenweise produziert wurden. Insofern ist es nicht nur aus kunstgeschichtlicher, sondern auch aus allgemein historischer Perspektive geboten, eine der zahllosen, überall noch lagernden Stalin-Statuen zu ersteigern und Lenin zur Seite zu stellen.
Da es Mao Tse-tung war, der sich 1956 weigerte, in die Verurteilung Stalins einzustimmen, und da die MLPD eine maoistische Organisation war oder noch immer ist, sollte auch ein originaler Mao dieses Ensemble vervollständigen. Auch Enver Hodscha, der erst 1990 vom Sockel geholt wurde, dürfte natürlich nicht fehlen. Und da das allerletzte Leuchtfeuer eines Kommunismus stalinistisch-maoistischer Prägung heute bekanntlich in Nordkorea leuchtet, sollte auch die Kim-Familie nicht fehlen.
Aus einem der wenigen, neuerdings eher in Auflösung befindlichen Gulag-Museen in Russland ließe sich gewiss eine archetypische Baracke für verurteilte Volksfeinde ersteigern, in der auch die dazugehörigen Häftlingsutensilien (Wattejacken, Esslöffel, Fressnapf, Bastschuhe usw.) ausgestellt werden könnten.
Auch sonst sollte die MLPD sich deutlicher zur ihren Traditionen bekennen, zu denen ein kommunistischer Führerkult immer essenziell dazugehört hat. Als späte Fortsetzer der unverwässerten Traditionen eines deutschen Kommunismus leninistisch-stalinistischer Prägung sollten sie Rosa & Karl bitte ruhen lassen, schon weil die beiden die nächste Parteisäuberung wegen Resten eines bürgerlichen Humanismus („Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ usw.) wohl kaum überlebt hätten. Dafür könnten Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck in gebührend massiver bronzener Fassung zum Leben erweckt werden; beide sind jetzt preiswert zu haben. Erich Honecker könnte mit einer Klanginstallation gewürdigt werden, die seine unsterblichen, im Falsett intonierten Worte „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ verfremdet aufnimmt; vielleicht alternierend mit Erich Mielkes „Ich liebe euch doch alle!“.
Um klarzumachen, dass die Geschichte der revolutionären Kämpfe weitergeht, sollte aus dem legendären Parteivermögen der MLPD auch ein Wettbewerb für unsere jungen Hungerkünstler ausgeschrieben werden, mit dem Auftrag, in dezent aktualisierten Formen eines „sozialistischen Realismus“ den historischen Parteigründer Willi Dickhut, der in unverdiente Vergessenheit geraten ist, einem jungen Publikum in seiner wahren Größe vor Augen zu stellen. Ob auch der zugunsten seiner Stieftochter nach 34 Amtsjahren zurückgetretene Vorsitzende Stefan Engel schon jetzt eine Verewigung in Bronze verdient, sollte die Partei demokratisch-zentralistisch selbst entscheiden.
Meine alte Heimatstadt Gelsenkirchen braucht neue Attraktionen, die man für Auswärtige auch mit einem Besuch auf Schalke verbinden könnte. Sollte Gazprom nicht als Sponsor auftreten wollen, wäre vielleicht an Huawei mit einer Demonstration neuester Überwachungstechniken zu denken, von denen alle die genialen Schöpfer einer revolutionären Geheimpolizei von Dzierżyński über Beria und Kang Sheng bis Mielke nur haben träumen können. Die hätte ich ja beinahe vergessen! Sie müssen natürlich auch mit in den Jurassic Park! Gerd Koenen
Gerd Koenen schrieb unter anderem die Studie „Die Farbe Rot“ (Beck Verlag). Seinen offenen Brief haben wir gekürzt.
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