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Neue Querfront in FrankreichEine Kriegsmaschine für die Plebs

Der TV-Philosoph Michel Onfray arbeitet in Frankreich an einer Querfront. Einige vermuten, er habe Pläne für die Präsidentschaftswahlen 2022.

Sehr produktiv, sehr bekannt und sehr nach rechts irrend: Der Philosoph Michel Onfray Foto: Philip Conrad/Photo12/AFP

Selten hat in den Netzwerken und Talkshows die Vorankündigung einer neuen Publikation so viel zu reden gegeben wie Michel Onfrays Front populaire.

Das ist auch der Name der historischen Epoche der „Volksfront“ von 1936 bis 1938. Nach einer Streikbewegung gewann eine Wahlunion aus Sozialisten, Kommunisten und linksbürgerlichen Radikalen ihre Einheit angesichts der Bedrohung durch den Faschismus in Europa und eröffnete am Vorabend des Zweiten Weltkriegs eine kurze Pe­rio­de von bedeutsamen sozialen Reformen in Frankreich. Damit wurde die Volksfront in Frankreich für die sozialistische und kommunistische Linke zu einer Referenz.

Dass sich der „libertäre“ Onfray dieses historische Markenzeichen aneignet, um mit Ideologen der antieuropäischen und zum Teil reak­tio­nären Rechten über Affinitäten zu diskutieren, erscheint geschichtsbewussten linken Kreisen als unverschämte Usurpation.

Bei diesem Front populaire von 2020 handelt es sich um weit mehr als ein Forum für eine intellektuelle Debatte, hinter Onfrays Initiative steckt ein politisches Projekt, hinter dem manche sogar eine Präsidentschaftskandidatur für 2022 vermuten. Denn Onfrays erklärtes Ziel ist eine Konvergenz der „Souveränisten von rechts und links“ aus der Provinz gegen die herrschende „jakobinische“ Elite in Paris.

Der Souveränismus

Der im deutschen Sprachraum wenig gebräuchliche Politologenbegriff „Souveränismus“ bezeichnet in Frankreich etwas pauschal „Euro­skeptiker“, für die Maastricht eine politische Erbsünde und ein „Frexit“ (Austritt aus dem Euro oder/und der EU) eine notwendige Alternative darstellt.

Souveränisten gibt es in Frankreich sowohl im rechten wie im linken Lager. Sie haben mit einem nationalstaatlichen oder nationalistischen Verständnis der Republik einen Berührungspunkt.

Gemeinsam ist ihnen laut Onfray, dass sie gegen das „System“ sind, dessen Hauptmerkmal „die innigen Bande zwischen der liberalen Rechten und der liberalen Linken“ sei.

„Antiliberal“ und damit legitimer Systemgegner ist bei Wahlen, wer gegen diesen liberalen Mainstream antritt – sei dies links bei La France insoumise (FI) oder beim rechtsextremen RN (ehemals Front Na­tio­nal)? Egal ob rot oder braun oder farblos – Hauptsache, man ist im Namen des petit peuple, der geächteten und verachteten kleinen Leute, gegen die arrogante Elite?

Das Dementi

Onfray verwahrt sich gegen den Verdacht, er mache sich zum politischen Steigbügelhalter von Jean-Luc Mélenchon (FI) oder Marine Le Pen (RN). Er selber dementiert, persönlich politische Ambitionen zu hegen: „Ich bin nicht der Mann für dieses Engagement.“

Er will hingegen mit dem Front populaire einen „Werkzeugkasten von Ideen“ liefern oder eine „Kriegsmaschine für die ‚Plebs‘ “ (das gemeine Volk im antiken Rom). Dieses „Volk“ von Plebejern ist, wie der Politologe Jean-Yves Camus in Charlie Hebdo zu bedenken gibt, „keine homogene Einheit“, dient jedoch populistischen Demagogen als Mythos.

In derselben Wochenzeitung warnt Fabrice Nicolino: „Souveränisten beider Seiten ohne erkennbare Grenze nach rechts vereinen zu wollen ist bezeichnend für ein beängstigendes Abgleiten eines Teils der öffentlichen Meinung in Richtung Regression, Nation, Volk und Trump, Orbán, Putin, Bolsonaro, ja Salvini, Modi oder sogar Xi Jinping...“

Kein Philosoph ist in den letzten Jahren in den französischen Medien so bekannt und ebenso angefeindet worden wie Michel Onfray. Mit einem eigenen Internetfernsehkanal, wo er zu aktuellen Gesellschaftsfragen sehr pointiert Stellung nimmt, sucht er oft diese Polemik. Er schreibt so oft und viel, dass es auf Wikipedia für seine Werkliste von hundert Büchern und unzähligen Artikeln eine separate Seite braucht. Er gehört in Frankreich zum sehr kleinen Kreis der Philosophen, die vom Schreiben ganz gut leben können.

Alle Rechten sind dabei

Spontanen Applaus und Unterstützung erntet Onfrays „Front“ vor allem von ganz rechts. Von Marine Le Pen, der Chefin des Rassemblement National, von Alain de Benoist, dem Vordenker der Nouvelle Droite, oder offen reaktionären Publikationen wie Valeurs actuelles, Éléments und Causeur oder dem antimuslimischen TV-Polemiker Eric Zemmour. Der Rechtspopulist Philippe de Villiers gehört zusammen mit dem nonkonformistischen Virologen Didier Raoult und Ex-Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement zu den ersten Autoren, die Onfray für sein Projekt einspannen konnte.

Dass ihm Medien wie Le Monde und Libération vorwerfen, mit der extremen Rechten anbandeln zu wollen, verwirft Onfray als stupide „Karikatur“ und eine „reductio ad Hitlerum“. Auf die er repliziert: „Sobald man nicht denkt wie sie, fahren sie die Panzer, Vernichtungslager, Schoah, Gaskammern, Zyklon B und die Luftwaffe auf!“

Für jemand, der sich bei jeder Gelegenheit über eine „geistige Zensur“ beklagt, hat Onfray jedenfalls enorm viel Vorschusswerbung.

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3 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    @BALMER @HESSEBUB



    Die Rechts-Links-Schwäche hat die bürgerliche Mitte mit den hier beschriebenen Hufeisenfrontlern gemeinsam.



    Die Hufeisenmetapher ist im Spracharsenal der völkischen Nationalisten in der Weimarer Republik entstanden, im Zusammenhang mit der "Schwarzen Front" der "Nationalbolschewisten", die höchstens Juden noch mehr hassten als den Bolschewismus.



    Zur Ideologie geschmiedet, wurde das Hufeisen von Zentristen in der Bundesrepublik gehegt und gepflegt und ist zum Exportschlager für die ganze Welt geworden.



    In Frankreich wurde das Hufeisendenken zusammen mit den Schriften Heideggers und Carl Schmitts dankend als Instrument gegen aufgenommen, das sowohl gegen die internationalistische oder antinationale Linke, als auch gegen den zentristischen Liberalismus (mal eher links, mal eher rechts) einsetzbar ist.



    Die Kategorie "Querfront" wird historisch falsch für den im Text beschriebenen Souveränismus verwendet. Als Querfront wurde in der Weimarer Republik die in erster Linie antikommunistische Zusammenarbeit von Nationalliberalen, Konservativen und der NSDAP bezeichnet.



    Madrid hat eine Querfrontregierung und der taz-Korrespondent hat in bester Hufeisenmanier wieder Linke als Schuldige für die Rechtsoffenheit der bürgerlichen Mitte ausgemacht. Wäre Die Linke auch dran schuld, wenn in Thüringen eine Querfrontregierung aus CDU, FDP und AfD regieren würde?



    Ist das noch links, was populistische Nationalisten in Frankreich in bester MLPD-Manier treiben? Wurde nicht längst der Mythos gegen den Logos eingetauscht, das "Volk" gegen die Klasse? Ein solches Denken steht einem George Sorel näher als einem Marx oder einem Engels.



    Geschichte wiederholt sich, auch wenn keine Wiederholung der vorherigen gleicht. Es ist an der Zeit, die Werte der französischen Revolution wieder hervor zu holen, Freiheit, Gleichheit und Solidarität gegen ein Denken ins Feld zu führen, für das Faschismus erst dann ein Verbrechen ist, wenn er die Judenvernichtung im Programm hat.

  • Immer der gleiche Schwachsinn, als ob reaktionärer Nationalismus, ob lechts oder rinks, irgendwelche wirklichen Lösungen für die Probleme unserer Zeit bietet. Siehe Trump, Johnson, Orban, Bolsonaro, PiS, Erdogan etc. pp. Natürlich ist der gloabale Neoliberalismus die Katastrophe unserer Zeit, aber auch die Lösungen können nur global und kooperativ sein.

    • @hessebub:

      Reaktionärer Nationalismus ist einfach der Wunsch, die Zeit so weit zurückzudrehen, bis alles wieder so ist wie man gern hätte dass es so gewesen ist.