Coronaausbruch: Tönnies stoppt Schlachtungen

In westfälischer Fabrik infizieren sich 400 Arbeiter. Nun fehlen 20 Prozent aller Fleischprodukte

Gewerkschaft kritisiert gefährliche Enge in Fabriken und Unterkünften

Von Jost Maurin

Nach einem Coronaausbruch hat Deutschlands größter Schlachtkonzern, Tönnies, die Produktion in seinem Stammwerk im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück gestoppt. Dadurch fehlen nach Angaben des zuständigen Landkreises Gütersloh 20 Prozent der Fleischprodukte auf dem deutschen Markt. „Das ist noch kein Grund, hier zu Hamsterkäufen zu greifen, wie es beim Klopapier vielleicht der Fall war. Aber das ist schon eine deutliche, hohe Zahl“, sagte Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) am Mittwoch. Bisher seien rund 400 Mitarbeiter positiv getestet worden.

Der Kreis stelle nun alle 7.000 Personen, die auf dem Werksgelände gearbeitet haben, unter Quarantäne. Einen allgemeinen Lockdown für den Kreis werde es nicht geben, obwohl die Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in 7 Tagen deutlich überschritten sei. Der Kreis schließt aber alle Schulen und Kitas bis zum Beginn der Sommerferien am 29. Juni. Unter den Tönnies-Beschäftigten sind laut Kreisverwaltung zahlreiche Eltern mit schulpflichtigen Kindern.

Als mutmaßliche Gründe für die Infektionen nannte das Unternehmen die Rückkehr von Arbeitern nach Heimaturlauben sowie die Kühlung in Bereichen der Firma. Gekühlte Räume beförderten offenbar das Übertragen des Virus auf viele Personen.

„Wir können uns nur entschuldigen“, sagte Konzernsprecher Andre Vielstädte. Man habe „intensiv“ daran gearbeitet, das Virus „aus dem Betrieb zu halten“. Der Infektionsherd müsse in den vergangenen Wochen in den Betrieb hereingetragen worden sein, da die behördlich verordneten Tests vor drei bis vier Wochen bei den betroffenen Mitarbeitern negativ gewesen seien. Schon Mitte Mai hatte es in mehreren Schlachthöfen anderer Firmen jeweils Hunderte Coronainfektionen gegeben.

Bisher werden Gewerkschaftern zufolge in großen Schlachthöfen bis zu 80 Prozent der Mitarbeiter von Subunternehmern beschäftigt. Diese Vorgehensweise erleichtert es, die Verantwortung für Bezahlung unter dem Mindestlohn, mangelnden Arbeitsschutz oder Unterbringung in zu kleinen oder überbelegten Wohnungen zu verschleiern. Die meisten Beschäftigten kommen etwa aus Rumänien.

„Das war zu erwarten, denn wir haben immer gesagt, dass die Situation in der Fabrik selber ein Riesenproblem ist, weil die Leute viel zu dicht und eng beieinander im Produktionsprozess stehen, und dass die Unterbringung der Leute nach wie vor eine der größten Gefahren ist zur Verbreitung der Seuche“, sagte Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genussmittel-Gaststätten (NGG) in der Region Oldenburg/Ostfriesland, der taz über den jetzt bekannt gewordenen Ausbruch. Die Beschäftigten seien fast immer in Mehrbettzimmern untergebracht. „Da ist das Ansteckungsrisiko einfach viel zu hoch.“

„Wir fordern, dass man die Bandgeschwindigkeit herunterfährt, die Arbeitszeiten entzerrt und die Leute über andere Schichtmodelle arbeiten lässt, damit die Mindestabstände für den Infektionsschutz eingehalten werden“, so Brümmer.

Die NGG hofft, dass die Bundesregierung wie angekündigt Werkverträge beim Schlachten und Zerlegen ab 2021 verbietet. Ein entsprechendes Eckpunktepapier hat die Große Koalition nach den ersten Coronafällen Ende Mai beschlossen. Ein Gesetzentwurf wird gerade erarbeitet.

„Dann müssen die Schlachthöfe für ihre Leute sorgen und das nicht über dubioseste Subunternehmer laufen lassen, die ihre Entstehung ja zum Teil im kriminellen Milieu haben“, so Brümmer. Die Industrie lehnt das Werkvertragsverbot ab, weil sonst wegen der höheren Kosten Betriebe ins Ausland abwanderten. „In der Region Oldenburg/Ostfriesland gibt es mehrere große Fleischbetriebe, die ihre Leute selbst beschäftigen“, antwortete der Gewerkschafter darauf. „Dazu gehört Böseler Goldschmaus mit mehr als 1.000 Beschäftigten.“ (mit dpa)