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Jahrestag des Mordes an Walter LübckeNicht hinter dem Helden verstecken

Der von Nazis ermordete Walter Lübcke bleibt ein Vorbild – vor allem, wenn man an die Beamten denkt, die im Kampf gegen rechts versagt haben.

Walter Lübcke Foto: Peter Hartenfelser/imago-images

I n der vergangenen Woche haben wir der Ermordung von Walter Lübcke gedacht. Der Kassler Regierungspräsident wurde in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 von einem Neonazi erschossen. Hessens Innenminister Beuth (CDU) versicherte zum Jahrestag, Lübckes Tod sei „ein dauerhafter Auftrag zum entschlossenen Kampf gegen Hass und Extremismus“.

Walter Lübcke war Beamter. Im Oktober 2015 leitete er in seiner Funktion eine Bürgerversammlung zu einer geplanten Flüchtlingsunterkunft, die von Rechtsextremen des Kassler Pegida-Ablegers zu Propagandazwecken missbraucht wurde.

Lübcke hielt ihnen entgegen: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Als er in einem Zeitungsinterview auf Rücktrittsforderungen wegen dieser Aussage angesprochen wurde, antwortete Lübcke: „Regierungspräsidenten können nicht zurücktreten, weil sie vom Ministerpräsidenten eingesetzt und abberufen oder entlassen werden.“

Walter Lübcke war dabei CDU-Mitglied und ein durch und durch politischer Mensch. Schon in den 1990er Jahren in Thüringen engagierte er sich für die politische Bildung von Jugendlichen und gegen rechte Strukturen. Lübcke stand auf der sogenannten Todesliste des NSU.

Und Maaßen? Und Temme?

Und doch tun wir ihm und seinem Andenken – aber vor allem uns selbst und unserer Zukunft – keinen Gefallen, wenn wir, wie zum Jahrestag reichlich geschehen, betonen, dass Lübcke deswegen von Nazis ermordet worden sei, weil er „sich für Flüchtlinge eingesetzt“ habe oder „wegen humaner Flüchtlingspolitik“.

Walter Lübcke wurde ermordet, weil er vor Ort seine Pflicht getan hatte. „Ich schwöre, dass ich das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Landes Hessen sowie alle in Hessen geltenden Gesetze wahren und meine Pflichten gewissenhaft und unparteiisch erfüllen werde.“

Wenn andere, von Hans-Georg Maaßen bis zum ehemaligen Kassler Verfassungsschützer Andreas Temme, das auch getan hätten, dieses Land sähe heute anders aus – und viele, die ermordet wurden, könnten noch leben. Nichts ist verkehrt daran, Walter Lübcke einen Helden zu nennen; aber das darf nicht uns und vor allem nicht den Zuständigen in den Institutionen als Entschuldigung dienen, ihm in der alltäglichen, unbedingten Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten nicht nachzueifern.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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2 Kommentare

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  • Als oberster Dienstherr des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Hessen könnte sich Hessens Innenminister Peter Beuth auch für die Herausgabe vollständiger und ungeschwärzter LfV-Akten zum Hessischen Rechtsextremismus einsetzen. Der im Artikel genannte ehemalige Mitarbeiter des LfV Hessen, Andreas Temme, war dienstlich auch mit dem Mörder von Walter Lübcke, Stephan Ernst, befasst.



    Die Nennung von Namen (ohne zusammenhängenden Text), welche wie oft in den jeweiligen LfV-Akten vorkommen, ist sinnlos und vor diesem Hintergrund auch skandalös.

  • "Lübcke [wurde nicht] von Nazis ermordet [...], weil er 'sich für Flüchtlinge eingesetzt' habe [sondern] weil er vor Ort seine Pflicht getan hat"

    Eine sehr richtige und wichtige Beobachtung. Danke, dass Sie es so scharf auf den Punkt bringen.