: Befreiung von Kunst und Klang
KUNST Janis E. Müller wurde mit dem Karin-Hollweg-Preis ausgezeichnet. Ein Gespräch über Alltagsgegenstände, Kreisbewegungen und den Stellenwert der Technik
■ 29, wurde in Achim geboren, hat an der Bremer Hochschule für Künste studiert und ist Meisterschüler bei Jean-François Guiton.
INTERVIEW: RADEK KROLCZYK
taz: Alljährlich wird an einen Meisterschüler der Hochschule für Künste der Karin-Hollweg-Preis verliehen. Mit 15.000 Euro gehört er zu den höchstdotierten seiner Art. Sie sind der diesjährige Gewinner. Was ändert sich für Sie?
Janis E. Müller: Ich werde interviewt. Viel wichtiger aber ist, dass ich nun Zeit habe, mich auf meine künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Dafür bin ich sehr dankbar.
Sie müssen sich nicht um Lohnarbeit kümmern?
Ich werde mich schon um Lohnarbeit kümmern, denn das Geld ist ja auch irgendwann weg. Aber ich muss jetzt nicht ständig Jobs machen, die ich eigentlich nicht machen will. Ich kann mich auf Arbeiten beschränken, die mir liegen, die kreativ sind. Ich habe immer gerne in Fotografie und Video Theaterproduktionen dokumentiert.
Sie haben in der Vergangenheit sehr viel mit Video gearbeitet. Die Arbeiten, die Sie in der Meisterschülerausstellung zeigen, haben damit nichts zu tun.
Mit der Zeit habe ich angefangen, eher installativ zu arbeiten. Ich will mich nicht darauf festlegen, Videokünstler zu sein. Ich beschäftige mich mit den Dingen, die mir gefallen, die mich weiterbringen. Obwohl: Ich hatte in der Weserburg beim Aufbau der „Out Now“-Ausstellung sechs Arbeiten, vier davon habe ich dann wieder rausgeschmissen. Darunter war eine Videoarbeit: „Fahrradkonzert mit Latten und Becken“. Im Grunde eine ganz simple Sache. Ich habe mehrere Latten zu einer Art Sonne angeordnet, in der Mitte liegt ein Becken, ich fahre dann mit dem Fahrrad über die Latten und erzeuge Geräusche.
Die Arbeit „Weniger“, die Sie in der Weserburg zeigen, erinnert an dieses Prinzip: Sie haben mehrere Gegenstände kreisförmig angeordnet. In der Mitte bewegt ein Motor ein Nylonband, an dessen Ende eine Haarklammer befestigt ist. Daran hängt ein Stück Zeichenkohle, die über die Gegenstände fährt, Spuren hinterlässt und Geräusche erzeugt. Auch hier wieder eine Kreisbewegung …
Die Kreisbewegung ist in meinen Arbeiten dominant. Sie ist grundlegend für die Funktionsweise von Motoren oder Videobändern.
Die Gegenstände, die Sie in der Weserburg zeigen, wirken wie Artefakte, als handelte es sich um Reste einer untergegangenen Welt.
Es sind Artefakte. Da ist etwa ein Ziegenschädel oder Teile, die ich aus Uhren oder Maschinen ausgebaut habe. Es sind auch persönliche Sachen darunter, etwa eine alte Dose für Pastellkreiden, die mein Vater mal aus Indien mitgebracht hat. Die habe ich später geerbt. Es gibt auch eine alte Postkarte, auf der die Fotografie einer Frau zu sehen ist, die sich mit der Hand an den Nacken fasst, während ihr der Kohlestift über den Nacken fährt. Diese Karte wurde bei der Renovierung der Kneipe „März“ hinter einer Wand gefunden.
Sie haben bei Jean-Françoise Guiton studiert?
Die meiste Zeit schon. Das Studium bei ihm war sehr frei. Vorher habe ich an der Hochschule in Ottersberg bei der Malerin Sabine Wewer studiert. Da habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr malen will und es freiere Formen künstlerischer Arbeit gibt. Künstler wie Marcel Duchamp haben den Weg dahin vor langer Zeit geebnet. Es geht darum, dass die Gegenstände des Alltags Eingang in die Kunst finden und die technischen Aspekte nicht mehr so wichtig sind.
Dass Kunst von Können kommt, ist ideologisch?
Ja, wobei ich die Techniken nicht verachte. Ich bediene mich selbst unterschiedlicher Techniken.
■ „Das Werk von Janis E. Müller erzielt im kalkulierten Einsatz der Medien mit sparsamsten Mitteln ein hohes Maß an Wirkung.
■ Müller kontert damit die hochtechnisierten Materialschlachten einer Welt des weltumspannenden Kommerzes mit der stillen Poesie einer Ästhetik des Banalen.
■ Er tut dies mit untergründigem Witz und einem gerüttelt Maß an treffsicherer Ironie.“
Woran arbeiten Sie zurzeit?
Ende des Monats nehme ich an einem Festival im Schlachthof teil, es heißt „Auf Vermögen angelegt“. Mit anderen Personen werde ich da eine Art „Geräusch-Event“ veranstalten und lade alle herzlich dazu ein, mit Töpfen, Instrumenten, Bohrmaschinen oder anderen Dingen, die irgendein Geräusch erzeugen, vorbeizukommen, um die Befreiung multispektraler Klänge zu feiern. Außerdem gibt es in diesem Jahr noch zwei Ausstellungen, in Syke und Berlin.
Ein Teil des Preisgeldes ist für eine Einzelausstellung vorgesehen. Gibt es konkrete Pläne?
Die Bremer Kunstinstitutionen müssen erst mal klären, wo es zeitlich und räumlich Kapazitäten gibt. Ich habe da keinen Einfluss.
Wo würden Sie gerne ausstellen?
In der Kunsthalle. Dort würden neben dem einschlägig kunstinteressierten Publikum auch Sonntagsausflügler meine Arbeiten sehen.
■ „Out Now“ ist noch bis zum 7. 10. in der Weserburg zu sehen, Müllers „Geräusch-Event“ findet am 30. August um 19 Uhr statt
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