piwik no script img

Ende von Sondervollmacht in UngarnScheinbar großzügig

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Erst ließ sich Ungarns Premier Viktor Orbán unbegrenzte Vollmacht geben, jetzt gibt er sie zurück. Gebraucht hat er sie nie.

Plenarsitzung mit Viktor Orban am 23. März Foto: Tamas Kovacs/ap/picture alliance

U ngarns Premier Viktor Orbán verzichtet auf seine diktatorischen Vollmachten und wünscht sich dafür eine Entschuldigung seiner Kritiker, die ihm diktatorische Gelüste unterstellt hätten. In keinem anderen europäischen Land hatte sich ein Regierungschef wegen Corona mit Sondervollmachten ausstatten lassen, die praktisch unbegrenzt gelten sollten. „Bis zum Ende der Krise“, heißt es im Gesetz. Die Krise ist zu Ende, wenn Orbán es sagt. Jetzt ist die Krise noch nicht zu Ende, und doch lässt der autokratische Herrscher der Magyaren das Parlament wieder mitreden.

Wozu dann der Aufruhr? Orbáns nationalkonservative Regierungskoalition gebietet über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, die auf Zuruf die vorgelegten Gesetzesanträge durchwinkt und sich gern auch die Verfassung zurechtbiegt, wenn sie in der geltenden Fassung einem Vorhaben des Chefs im Wege stehen sollte. Er kann also auch ohne Sondervollmachten nach Belieben schalten und walten. In Ungarn wird das mit viel Getöse beschlossene „Ermächtigungsgesetz“ vom 30. März als Machtdemonstration gesehen. Orbán wollte die Vollmachten nicht, weil er sie brauchte, sondern weil er sie haben konnte.

Vielleicht hat er auch die Reaktionen in Europa unterschätzt, wie die Sozialdemokratin Ildikó Lendvai meint: „Die Gespräche über den nächsten EU-Haushalt rücken näher, und Frau Merkel schlägt einen schärferen Ton an.“ Ein guter Zeitpunkt also, um zu zeigen, dass man seine Macht nicht missbraucht und zum demokratischen Spiel zurückkehrt, bevor das Virus aus der Welt ist.

Lendvai sieht noch einen zweiten Grund für den frühen Verzicht auf das Notverordnungsrecht: Inmitten der sich verschärfenden Wirtschaftskrise könnte es Orbán angezeigt erscheinen, die Verantwortung mit einer Vielzahl von Akteuren zu teilen. Das hat etwas für sich. Denn Erfolgsmeldungen aus der Wirtschaft wird es in nächster Zeit kaum zu verkünden geben. Das Image vom Premier, der zupackt und alles regelt, könnte darunter leiden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Und bald wird er sie wieder haben wollen... "Ich habe sie doch auch letztes mal zurück gegeben!"...



    Und dann wird er zum Diktator auf Lebenszeit.