piwik no script img

Prozess wegen Folter in Syrien„Ich habe niemanden gefoltert“

Im Prozess gegen mutmaßliche Schergen des Assad-Regimes lässt sich der Hauptangeklagte Anwar R. ein – und bestreitet die Vorwürfe vehement.

In diesen Ordnern sind Vorwürfe gegen die Angeklagten gesammelt Foto: Thomas Lohnes/reuters

Koblenz taz | Aufrecht sitzt Anwar R. hinter einem Schirm aus Plexiglas, der ihn wie alle Prozessbeteiligten vor dem Coronavirus schützen soll. Der 57-Jährige mit dem grauen Schnauzer und dem auffälligen Muttermal unter dem linken Auge hat einen Kopfhörer auf. Damit hört er die arabische Übersetzung der Aussage, die der Rechtsanwalt Michael Böcker nun verliest. R. hört konzentriert zu. Dabei kennt Anwar R. den Text gut. Es ist seine Aussage, die der Verteidiger, der hinter ihm sitzt, nun vorträgt.

Es ist Montag, Saal 128 im Koblenzer Oberlandesgericht. Im weltweit ersten Prozess gegen mutmaßliche Folterer des syrischen Assad-Regimes lässt sich der Hauptangeklagte ein – und widerspricht der Anklage vehement. Anwar R. räumt ein, die Unterabteilung Ermittlungen im Allgemeinen Syrischen Geheimdienst geleitet zu haben, alle anderen Vorwürfe streitet er ab. „Ich habe niemanden geschlagen noch gefoltert, ich habe auch niemals einen Befehl dazu erteilt“, liest Böcker vor. Misshandlungen habe es zwar gegeben, doch dafür seien andere Abteilungen verantwortlich gewesen.

Anwar R. steht seit Mitte April in Koblenz vor Gericht, bislang hat er geschwiegen. Der Syrer ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen, wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung. R. hat laut Anklage beim Allgemeinen Syrischen Geheimdienst die Ermittlungseinheit in der Abteilung 251 geleitet, mit Befehlsgewalt über die Vernehmungsbeamten und das Gefängnispersonal in „al-Khatib“, einem berüchtigten Foltergefängnis in Damaskus.

Vom 29. April 2011 bis zum 7. September 2012 seien mindestens 4.000 Häftlinge der Abteilung 251 gefoltert worden, Verhöre ohne Misshandlungen gab es praktisch nicht, so lautet die Anklage. 58 Menschen seien an den Folgen gestorben.

Aussage „absolut unglaubwürdig“

Anwar R. aber widerspricht. Ihm seien, so liest es sein Verteidiger vor, wegen seiner Versuche, Inhaftierte zu entlassen, bereits im Juni 2011 seine Kompetenzen entzogen worden. Auch habe er früh darüber nachgedacht zu desertieren. Dann weist R. in zahlreichen Einzelfällen die Vorwürfe von Folteropfern zurück. Mal hat er angeblich „keine Kenntnisse“ gehabt, mal war er nicht befasst oder nicht zuständig.

„Ich habe vielen Menschen geholfen, aber nie eine Gegenleistung verlangt.“ Auch habe es in „al-Khatib“ gar keine Vorrichtungen gegeben, um Menschen an der Decke aufzuhängen – was von Opfern als gängige Foltermethode beschrieben wird. Die Folteropfer, die als Nebenkläger in dem Prozess auftreten, sind nicht ins Gericht gekommen.

Zum Ende seiner Einlassung, die fast zwei Stunden dauert, führt R. 26 Zeugen an, die seine Aussage unterstützen könnten. R. beschreibt auch, wie er im Winter 2012 desertierte und die Opposition unterstützt habe. R., so der Verteidiger weiter, habe die Geschehnisse in Syrien nicht mittragen können.

Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der mit einem Kollegen sieben Nebenkläger vertritt, hält R.s Aussage für „absolut unglaubwürdig“: „Das würde bedeuten, dass alle Zeugen lügen. Es gibt eine Fülle von Aussagen, dazu Fotos und andere Beweise.“ Zudem sei R. seit 1992 bei der Staatssicherheit gewesen, erst zum Major, dann zum Oberst befördert worden. „Anwar R. war Teil des Systems“, sagt Scharmer.

R. versuche seine Mitverantwortung für „jahrelange systematische Folter kleinzureden, indem er behauptet, er habe bloß Befehle befolgt und letztlich habe die Unterabteilung 40 die tatsächliche Macht im Al-Khatib-Gefängnis ausgeübt“, urteilte auch Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Das sei in solchen Verfahren übliche Taktik.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Ich finde es befremdlich sich als einzelner Staat dazu aufzuschwingen Menschenrechtsverbrechen die im Ausland begangen wurden vor Gericht zu verhandeln. Würde man diesem Prinzip konsequent folgen müsste man auch gegen Angehörige verschiedener militärischer- und geheimdienstlicher Organisationen von Verbündeten (USA, Saudi Arabien, Israel, Türkei, Ägypten, verschiedene afrikanische Regime, Uzbekistan, Afghanistan) juristisch vorgehen statt sie hier auch noch auszubilden. Ein Prozess gegen einen Angehörigen des Assad Regimes ist nichts weiter als eine Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg und kann somit zu keinem fairen Urteil führen.

  • Ich hoffe inständig, dass sich die deutsche Justiz hier nicht so dämlich anstellt wie zum Teil bei den späten Nazi-Prozessen.

  • www.focus.de/polit...t_id_12004199.html, Viele syrische Pässe wurden gefälscht oder es wurden falsche Papiere ausgestellt. Zufällig sind die Meisten am 1.1. oder 1.2. geboren. Das wissen inzwischen viele Behörden. Aber der dt. Justitzmichel glaubt alles, was ihm erzählt wird.

  • 9G
    96173 (Profil gelöscht)

    Taqiya halt......

    • @96173 (Profil gelöscht):

      Dummdreist halt....



      Die Deutschen haben sogar ein eigenes Wort dafür. Muss der Volkscharakter sein.



      Ah, da fällt mir auf, sie scheinen auch als einzige einen Volkscharakter zu haben.