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1. FC Union gegen Bayern MünchenDoppelte Premiere mit Verspätung

Im ersten sogenannten Geisterspiel im Stadion An der Alten Försterei trifft Union an diesem Sonntag erstmals in einem Punktspiel auf Bayern München.

Geisterhafte Stimmung am Stadion an der Alten Försterei Foto: AP

Vor vier Jahren fand in der Volksbühne die große Sause zum 50. Vereinsjubiläum des 1. FC Union statt. Damals war der Klub Zweitligist und träumte von einem Bundesligaspiel gegen Bayern, irgendwann.

Irgendwann ist jetzt, genauer gesagt morgen, Sonntag, den 17. Mai 2020, um 18 Uhr – neun Wochen und einen Tag später als geplant. Im März fiel die Partie wegen Coronavorsicht aus. Die Neuansetzung für Sonnabend wurde auf Sonntag verschoben, weil vor der Volksbühne wieder Corona-ist-­Blödsinn-Party der Bescheidwisser und Internet­intelligenzija ist.

Die Verschiebung um einen Tag sei geschehen, so Union-Präsident Dirk Zingler, „damit die Berliner Polizei nicht überfordert ist“. Wobei nicht ganz klar ist, womit die Polizei überfordert sein könnte. Rechnete sie etwa mit einem Auflauf von Corona-ist-Blödsinn-Anhängern vor dem Stadion An der Alten Försterei?

Auf jeden Fall ist größtmögliches Interesse garantiert. Die Welt blickt nach Köpenick so neugierig, wie sie es zuletzt möglicherweise 1906 tat, als ein Schuster in einer preußischen Hauptmannsuniform mit einem Trupp Soldaten ins Rathaus Köpenick marschierte und sich die Stadtkasse aushändigen ließ. Ein Schauspiel, das über die Grenzen hinaus für Unterhaltung sorgte.

Am Sonntag bietet Köpenick nun also wieder international Beachtetes. Deutschlands renommiertester Fußballklub bestreitet hier ein weltweit übertragenes Bundesligaspiel, während an keinem anderen Ort des Planeten ein halbwegs relevantes Fußballspiel stattfindet. Millionen ausgehungerte Fußballfans aller Länder dürften sich das im Fernsehen anschauen.

Für den Gastgeber wird der historische Tag in der Vereinsgeschichte – das erste Pflichtspiel gegen die Bayern überhaupt – allerdings ein trister. Ein Spiel ohne Zuschauer im eigenen Stadion, das ist wie Rammstein unplugged im virtuellen Wohnzimmerkonzert. Der Budenzauber aus Choreos und Chants, die Wall of Stadionsound, die über Spieler und Schiedsrichter auf dem Platz hereinbricht und dem eigenen Team den kleinen Extrakick geben kann, um den haushohen Favoriten vielleicht doch in unerwartete Bedrängnis zu bringen – all das wird fehlen.

Kaum ein Erstligist hat womöglich so viele Extrapunkte dank des Fansupports ge­sammelt wie Union. Wissenschaftlich zu beweisen ist das zwar wohl ebenso wenig wie der Nutzen von Aluhüten gegen telepathische Strahlen, Fußballexperten und Stammtisch­intellektuelle glauben jedoch unisono, dass besonders ­gepushte Teams bei Geisterspielen potenziell benachteiligt sind.

Zu den Union-Spielern, die besondere Fanzuneigung genießen, zählen Neven Subotić und Rafał Gikiewicz. Vor dem Geisterspiel sind beide auf unterschiedliche Art in den Fokus gerückt. Der polnische Torhüter wird Union nach dem Auslaufen seines Vertrags am 30. Juni verlassen. Sportlich ist das ein herber Verlust, andererseits wäre es wagemutig gewesen, ambitionierten Gehaltsvorstellungen gerade in diesen Zeiten zu folgen. Niemand weiß, wohin die Reise generell und konkret geht. Dass Union finanziell gefährdet sei, hat Klubchef Zingler zwar dementiert, aber der Klassenerhalt der Mannschaft (aktuell Tabellenelfter), die sich in dieser Woche in Niedersachsen vorbereitete, ist keineswegs gesichert. Die Restsaison beginnt unter neuen Vorzeichen und endet möglicherweise ja auch mit einem Doch-noch-Abbruch.

Neven Subotić macht keinen Hehl aus seiner Skepsis gegenüber dem Neustart der Bundesliga. Er würde es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, wenn sich herausstellte, dass in Krankenhäusern Testkits fehlten, während die Spieler mehrmals wöchentlich auf das Coronavirus getestet würden. Überhaupt wünsche er sich, „dass mehr Fußballer ihr Verhalten hinterfragen und sich ihrer Rolle in der Zivilgesellschaft bewusst werden“.

Etlichen Union-Fans dürfte er damit aus der Seele sprechen. Viele halten Geisterspiele für eine Farce und nur tauglich als Beweis dafür, dass Fußball ohne Fans nichts wert sei. Diese Ansicht vertrat auch Vereinschef Zingler anfangs explizit.

Inzwischen sieht er Geisterspiele als die beste unter allen schlechten Optionen, weil so zumindest für die kurzarbeitenden Vereinsangestellten ein Teil des Fernsehgeldes zusätzlich in der Lohntüte landen könne. Sportlich erwartet er Ergebnisse aus einer „Wundertüte“. Vielleicht werde man das eine oder andere kuriose Ergebnis erleben. Ein Sieg gegen Bayern wäre ihm da wohl nicht unrecht.

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