UN-Klimachefin zum 50. Earth Day: „Das Paris-Abkommen ist in Gefahr“
Jahrestag des Umweltschutzes: Die frühere UN-Klimachefin Christiana Figueres fordert angesichts Corona und Klimawandel „sturen Optimismus“.
taz: Frau Figueres, der Umweltjahrestag Earth Day wird 50, Sie fordern in Ihrem neuen Buch Optimismus in Sachen Klimaschutz. Angesichts der globalen Lage überraschend, oder nicht?
Christiana Figueres: Wir haben in dem Buch den Begriff des „sturen Optimismus“ geprägt. Es geht uns darum, die Ernsthaftigkeit der Lage voll zu verstehen und trotzdem mutige Entschlossenheit an den Tag zu legen. Nur so können wir die Herausforderung in Angriff nehmen.
Und die ist groß. Sie erfordert den kompletten Umbau unserer Wirtschaft.
Wir tendieren dazu zu überschätzen, was wir in einem Jahr erreichen können, und dafür unterschätzen wir, was in zehn Jahren möglich ist. Wir haben zehn Jahre, um die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen zu halbieren, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden. Das entspricht einer jährlichen Reduktion um 7,6 Prozent von jetzt an bis 2030.
Das folgt einer Studie des UN-Umweltprogramms zufolge daraus, dass wir die Erhitzung der Erdatmosphäre möglichst bei 1,5 Grad begrenzen wollen.
Und es übersteigt alles, was die Menschheit jemals geschafft hat. Aber wir haben die Lösungen, die Technologien und das Geld dafür zur Hand. Es wird jedoch nur passieren, wenn wir uns auf allen auf allen gesellschaftlichen Ebenen enorm anstrengen, sowohl in Politik und Wirtschaft als auch individuell.
Und Sie glauben, dass das bisher an der mentalen Einstellung scheitert?
Im Buch argumentieren wir, dass es Beweise im Überfluss dafür gibt, wie desaströs die Folgen des Klimawandels sein werden. Aber wir sind überzeugt, dass wir uns voreilig zu handlungsunfähigen Opfern verdammen, wenn wir über diesem Wissen nur in Verzweiflung, Pessimismus, Hilfslosigkeit und Hoffnungslosigkeit abgleiten.
Einige Staaten wie Japan und Russland wollen ihre Klimaziele für 2030 dieses Jahr nicht oder kaum verschärfen, obwohl das im Paris-Abkommen eigentlich verabredet wurde. Die USA treten ganz aus.
Es ist jetzt fünf Jahre her, dass das Paris-Abkommen unterschrieben wurde – und der darin vorgezeichnete Kurs ist in ernsthafter Gefahr. Allerspätestens müssen wir im Jahr 2050 klimaneutral sein. Keine Regierung, die sich darauf nicht jetzt einstellt, glaubt ernsthaft, dass sie sich an das Paris-Abkommen hält.
Die Coronapandemie hat auch eine Debatte darüber angestoßen, wie wir generell mit globalen Krisen umgehen. Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Krise?
Erstens haben alle nüchtern gemerkt, dass wir nur so sicher sind wie die verletzlichsten unter uns. Niemand von uns ist immun gegen katastrophale Ereignisse. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir sowohl politische Maßnahmen brauchen, die systematisch verordnet werden, als auch individuelle Bereitschaft, das eigene Verhalten zu ändern – und wir haben jetzt gesehen, dass beides recht schnell möglich ist.
Und die zweite Erkenntnis?
Wir Menschen sind zur Solidarität fähig. Wir können gerade viel Selbstlosigkeit beobachten: Junge Menschen unterstützen ältere in der Isolation. Diejenigen, die im Gesundheitssystem arbeiten, sind sogar zu großen Opfern bereit. Sie setzen sich dem Risiko aus, durch ihre Arbeit krank zu werden oder zu sterben. Die unmittelbaren Folgen der aktuellen Gesundheitskrise sind qualvoll. Es wird viel Leiden geben und wir werden viele Leben verlieren, aber die globale Gesundheit wird letztendlich wieder zu einem Zustand kommen, der unserer Vorstellung von Normalität ähnelt. Die Klimakrise aber wird sich nie wieder umkehren lassen. Was wir brauchen, ist der bewusste Entschluss, auch dieser Krise mit Weisheit, den nötigen politischen Entscheidungen und der größtmöglichen Anstrengung zu begegnen.
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