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Tourismus nach CoronaAnsturm aus Berlin erwartet

Das Brandenburger Gastgewerbe fordert Lockerungen und hofft, dass der regionale Tourismus profitiert, sagt Ellen Rußig von Seenland Oder-Spree.

Noch ist es am Scharmützelsee bei Bad Saarow leer Foto: Andreas Suess/plainpicture
Uwe Rada
Interview von Uwe Rada

taz: Frau Rußig, das Seenland Oder-Spree war 2019 mit 2,2 Millionen Übernachtungen noch vor dem Spreewald Brandenburgs erfolgreichste Tourismusregion. Jetzt leiden Sie unter dem Shutdown. Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus dem Gastgewerbe?

Ellen Rußig: Die schlimmste Erfahrung ist die, dass der Tourismus komplett auf Null gefahren ist. Von einem Tag auf den anderen ist die Branche weggebrochen. Gerade in einer Wachstumsbranche ist damit schwer umzugehen. Wir waren immer gewöhnt, eine positive Entwicklung zu haben und mit Urlaub auch positive Dinge zu verkaufen.

Sie bekommen derzeit viele Anrufe von Anbietern. Sind Sie auch eine Art Seelsorgerin?

Wir haben viele Anrufe, wo es darum geht: Wie stellt man sich weiter auf? Viele Unternehmer, sehen das ja als ihr Lebenswerk, die haben viel Herzblut in die Region gesteckt. Da gibt es nicht nur die Fragen, ob die Gäste überhaupt wieder kommen, sondern da gibt es auch Existenzängste. Für uns kommt es da erst einmal darauf an, zuzuhören und Rat zu geben. Wir haben für die Aktion „Brandenburghelfen“ eine Auflistung aller Restaurants und Hofläden mit Liefer- und Abholservice für Gäste erstellt.

Laut DIHK droht 40 Prozent der Betrieben die Insolvenz. Reichen die Rettungsschirme von Bund und Land nicht aus?

Für Gastronomie und Hotellerie reichen sie nicht aus. Am Anfang ist zwar die Existenzsicherung bezahlt worden, einige Betriebe haben es bekommen, einige warten noch darauf. Kurzarbeitergeld, ja, aber man muss auch weiter seine Miete, die Pacht und die Fixkosten zahlen. Aber der Zeitraum dauert nun schon sehr lange. Viele haben gesagt, über vier oder acht Wochen können wir das aushalten. Aber jetzt kommen wir in eine Zeit, wo es ziemlich lang wird für die Unternehmer. Ich bin fest der Meinung, dass wir einen Rettungsschirm brauchen, also Unterstützungs- und Liquiditätshilfen.

Viele Betriebe sind auch unterschiedlich betroffen. Manche Gastronomen verkaufen außer Haus, Hoteliers können das nicht. Welche Möglichkeiten gibt es da? Die Unterbringung von Erntehelfern?

Keines unserer Unternehmen kann von Außerhausverkauf leben oder überleben. Es ist ein Zubrot. So ist es auch mit den Erntehelfern. Das ersetzt nicht die 2,2 Millionen Übernachtungen. Die Schließung kam genau zu Beginn der Saison, wo viele einen langen Winter hinter sich gehabt und die Reserven aufgebraucht haben.

Seit Mittwoch dürfen Geschäfte in Brandenburg wieder öffnen, Hotels und Restaurants aber nicht. Können Sie das nachvollziehen?

Es ist schwer nachzuvollziehen. Ich kann verstehen, dass der Gesundheitsschutz der Menschen im Vordergrund steht. Aber auch Tourismus und Ausflüge sind ein wichtiger Faktor für die Gesundheit. Ich habe mein Büro in Bad Saarow. Warum kann man das nicht so einrichten, dass die Gäste auf der Terrasse sitzen und die Hygienevorschriften und Abstände eingehalten werden? Auch in den Hotels können die Vorschriften eingehalten werden. Es ist doch so, dass wir die Tagesausflügler ohnehin schon haben, das sehen wir jeden Tag. Die Wochenenden werden länger, der 1. Mai, Himmelfahrt und Pfingsten stehen vor der Tür. Deswegen ist es wichtig, dass man mit der Branche zusammen Angebote unterbreitet.

Haben Sie Signale aus der Politik, dass es diese Angebote demnächst geben wird?

Wir stehen in engem Dialog mit dem Wirtschaftsministerium. Da gibt es auch Ansätze. Ich bin optimistisch, dass man unsere Stimme hört.

Derzeit ist nicht absehbar, wann die Grenzen in Europa wieder geöffnet werden. Auslandsreisen sind also nicht planbar. Wird der Sommerurlaub dieses Jahr in Deutschland stattfinden?

Davon gehe ich auch aus. Alleine die Grenzen zu Polen werden bis Mitte Juni geschlossen bleiben. Ich hoffe also, dass wir in Deutschland bis Mitte Mai und Pfingsten die entsprechenden Angebote machen können.

Wird der regionale Tourismus mittel- und langfristig gestärkt aus der Krise hervorgehen?

Wir gehen davon aus, dass der Tourismus weniger in den Städten als im ländlichen Raum wieder losgehen wird. Vor den Toren Berlins wird es also einen Tourismusansturm geben. Aber in der Branche wird gerade kontrovers darüber diskutiert, welches Angebot wir in Zukunft überhaupt noch unterbreiten können und welches Angebot nachgefragt wird. Ich bin mir sicher, dass die deutschen Reiseziele mittel- und langfristig eine hohe Nachfrage haben werden. Aber das hängt auch davon ab, wie die Wirtschaft aus der Krise kommt und welche Mittel unseren Zielgruppen zur Verfügung stehen. Und auch, wofür sie bereit sind, das Geld auszugeben.

Kann es auch sein, dass die Unternehmen die Preise erhöhen, weil die Nachfrage größer ist als das Angebot.

Über die Preispolitik der Unternehmen kann man im Moment keine Vorhersagen machen. Sie sind aber klug genug, das Richtige zu entscheiden. Wir waren noch nie ein Land, das sich über den Preis verkauft hat. In Deutschland hat Urlaub seinen Preis. Aber wir arbeiten auch daran, die entsprechende Qualität anbieten zu können.

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1 Kommentar

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  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Scharmützelsee ist ja ein Leuchtturm in der Tourismusbranche. Ich kann mir durchaus vorstellen, das in Bad Saarow einige T.- Betriebe etwas länger durchhalten können. Was ist mit den Namenlosen in Brandenburg?



    Entscheident wird sein, flacht die erste C.- Welle ab. Kommt eine zweite? Dann wird es noch enger als eng.



    Worte, wie Tourismusansturm, lassen im Moment zusammen zucken.