Unerwartete Wunderwaffe gegen das Virus

Die richtige Heilige zur richtigen Zeit: Jetzt muss Santa Corona helfen

Von Henning Bleyl

Einsam lief der Papst durchs leere Rom, sein Ziel war San Marcello al Corso. Dort, vor dem Pestkreuz, flehte er Gott an, die Pandemie baldmöglichst zu beenden. So meldeten es die Medien, und die Öffentlichkeit dachte: So ist es recht, der Papst macht alles richtig: „Pestkreuz“ klingt angemessen dramatisch – und da im Gegensatz zum Mittelalter den Pandemiewellen keine antijüdischen Pogrome folgen, scheint die Kirche sogar etwas gelernt zu haben.

Die besser informierten Gläubigen allerdings wunderten sich: Hat die Kirche im umfangreichen Arsenal ihrer Heiligen nicht hochspezialisiertes Personal zu bieten, das für alle Lebenslagen die angemessenen Antworten kennt?

In der Tat! Die heilige Corona gehört zwar zu den eher unbekannten Märtyrerinnen, hat aber wichtige Kompetenzen: Unter anderem ist sie, nomen et omen, für Seuchen zuständig. Zwar eher für Viehseuchen, und das auch nur in dem nach ihr benannten niederösterreichischen Dörflein St. Corona am Wechsel. Aber dort schwört man auf die lieblich dreinschauende langlockige Heilige – und feiert nun jeden Mittwoch um 8 Uhr früh einen Corona-Bittgottesdienst. Genauer gesagt, der Pfarrer, der Kaplan und der Diakon feiern ihn, „stellvertretend für alle Pfarrgemeinden“, wie auf der Homepage von St. Corona zu lesen ist.

Im Allgemeinen ist Corona zwar eher bei Zahnschmerzen und Glaubenszweifeln zuständig, zudem ist sie die Patronin der Metzger und Schatzsucher (heutzutage auch anrufbar für Lottoglück und Geldanlagen). Doch es kann wohl kaum ein Zufall sein, dass Santa Corona insbesondere in Italien verehrt wird – und das schon seit dem 6. Jahrhundert.

Corona selbst stammt aus dem Osten, nicht ganz Fernost respektive China, aber immerhin aus Ägypten: Dort soll sie sich im 2. Jahrhundert um einen Märtyrer gekümmert haben, Viktor von Siena, der von römischen Soldaten malträtiert wurde. Daraufhin wurde sie gleich mit ihm zusammen zu Tode gebracht, mithilfe zweier Palmen. Deren Wipfel seien herabgebogen worden, erzählt die Legende, und hätten Corona beim Hochschnellen in der Luft zerrissen.

Von Italien aus breitete sich die Corona-Verehrung bis Nordeuropa aus, einen veritablen Corona-Schub gab es hierzulande seit Mitte des 17. Jahrhunderts: Der Dreißigjährige Krieg war zu Ende, allerorten suchten die Menschen nach in den Kriegswirren vergrabenen Schätzen. Das Corona-Gebet, auch Kronen- oder Schatzhebegebet genannt, avancierte zum volksmagischen Ritual. Corona-Gebete finden sich in zahlreichen Zauberbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts, sie wurden als sichere Mittel zum Erlangen riesiger Reichtümer verkauft, was entsprechende Gerichtsprozesse geprellter Käufer*innen nach sich zog.

Nach der Phase dieser ambivalenten Corona-Prominenz geriet die Heilige langsam in Vergessenheit. Nun ist ihr ein Comeback ungeahnten Ausmaßes sicher – umständehalber allerdings mit rein virtueller Verehrung. Coronas Grab in der Basilika von Feltre (Venetien) liegt in einer Region, die mit als erste wegen des Virus abgeriegelt wurde.

Coronas Gedenktag ist der 14. Mai, da wird sie allerlei Wunder zu wirken haben: Just für diese Zeit sagen führende Virologen einen Höhepunkt der aktuellen Corona-Ausbreitung voraus. Das werden selbst hart gesottene Atheist*innen nicht für einen Zufall halten wollen. Und der Papst? Der sollte ihr dann dringend ein Stoßgebet widmen. Dafür sind sie da, die Heiligen – man muss nur die richtigen kennen.