piwik no script img

Sexarbeiterin über Corona-KontaktsperreBedrohte Kultur der Berührung

„Ich brauche Gewicht auf meinem Körper, ich habe das Gefühl, dass er sonst platzt“: Eine Sexarbeiterin beschreibt ihr Leben in berührungsarmen Zeiten.

Dirty Talk mit der Katze? Eine Sexarbeiterin kann nicht einfach ins Homeoffice wechseln Foto: André Wunstorf

Wir erleben gerade eine Zeit, in der Berührung und Körperkontakt so etwas ist wie Goldstaub. Selten und kostbar.

Für mich war Berührung immer wichtig. Für mich sind Berührung, Nähe, Intimität und Heilung so existenziell, dass ich dafür ein Jurastudium und eine Karriere hinter einem Schreibtisch abgebrochen habe. Die meisten Menschen lieben Sex, aber es reicht ihnen, das als Hobby zu betreiben, zumeist sogar nur mit einem Menschen. Das ist völlig okay. Ich aber wollte mehr Zeit mit Berührung, Nähe und allen dazugehörigen Emotionen verbringen, mich damit befassen, mehr da­rüber wissen, es praktizieren und professionalisieren. Da auch ich meinen Lebensunterhalt verdienen muss, ist klar, dass diese Zeit bezahlt werden muss. Et ­voilà: So bin ich Sexarbeiterin geworden.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Ich brauche Gewicht auf meinem Körper, ich habe das Gefühl, dass er sonst platzt. Mein Körper wird nur wahr, wenn er berührt wird oder ich berühren kann. Ich liebe Sex, ich liebe den Geruch von Körpern, von Schweiß und Erregung. Ich mag es, jemandes Atem nah an meinem Ohr zu hören und zu fühlen. Ich atme Menschen gern ins Ohr oder flüstere ihnen Dinge zu, die sie warm bis heiß machen.

Nähe zu geben in einer berührungsarmen Welt, das war schon lange vor Corona verdienstvoll. Dass Menschen dies wertschätzen, kann ich nicht nur daran sehen, dass ich meinen Lebensunterhalt sehr gut bestreiten kann. Die Dankesbriefe meiner Kli­en­t*in­nen sind zum Teil tief berührend. Viele Kol­le­g*in­nen schildern, dass einer der wunderbarsten Aspekte unseres Berufs der Dank ist von Menschen, die Kontakt, Lust und Sex erlebt haben, die sie glücklich gemacht haben.

Das Privileg der Berührung

Nun sind wir alle zu Hause, und es heißt, wir sollen zwei Meter Abstand voneinander halten. Das Privileg der Berührung ist dem monogamen Paar vorbehalten. Glücklich, wer nun einen Partner oder eine Partnerin hat. Keine gute Zeit für alle, für die Familie kein sicherer Ort ist, für Singles und lose Subjekte (wie mich). Ich halte alle Regeln ein, telefoniere mir die Ohren wund, gehe Joggen, meditiere und mache Yoga, stelle meiner Mutter die Einkäufe vor die Tür und berühre, wenn, dann nur meine Katze, mich selbst und ab und zu meinen Liebsten*.

Ab und zu wälze ich mich auf dem Teppich, um meinem Körper zu versichern, dass er noch Grenzen hat

All das ist für mich, wie wohl für alle anderen auch, eine Art Albtraum, und täglich denke ich, dass wir daraus bald erwachen, aber dann kommt jemand aus dem Radio und sagt mir, das sei erst der Anfang. Ich bin paralysiert, und jeden Tag habe ich das Gefühl, meine Geistesgegenwart geht mir ein Stück verloren.

Ich wälze mich ab und zu auf dem Teppich, um meinem Körper zu versichern, dass er noch Grenzen hat. Mein eigenes Körpergewicht reicht nicht aus, um ihm das sinnvoll zu vermitteln. Ich fasse mich selbst an und masturbiere auch, das habe ich aber auch schon vorher nur mit mäßiger Leidenschaft getan. Als Sex Educator kenne ich all die Theorien, dass die Voraussetzung für guten Sex ist, dass man fabelhaften Solosex haben kann. Ich finde das pädagogisch richtig, und behaupte es regelmäßig gegenüber allen Klient*innen, um professionell zu sein. Ich gebe hiermit zum ersten Mal öffentlich zu, dass es auf mich nie wirklich zutraf.

Ich möchte mich auf jemanden stürzen oder gegriffen werden. Ich liebe fremde Finger statt meiner eigenen an meinem Körper, an und in meiner Muschi. Und ich bevorzuge Hände, Schwänze und Zungen deutlich gegenüber jedem fucking Sexspielzeug, egal aus welchem fancy Weltraummaterial es gefertigt ist, wie utopisch viel es gekostet hat und wie stromlinienförmig es sich an meinen G-Punkt anschmiegt.

Mein Körper versteht nicht den Entzug von Adrenalin, Serotonin und Oxytocin. Er vermisst die Tiefenentspannung, die darin besteht, im engen Kontakt mit jemand zu liegen, mit dem man gerade einen Ritt durch die Ekstase gewagt hat. Mein Schokoladenkonsum entwickelt sich proportional zu den veröffentlichten Infiziertenzahlen.

Im Latexkleid an den Schreibtisch?

Im Radio höre ich Ratschäge für das „Homeoffice“. Ganz wichtig: die üblichen Routinen des Arbeitsalltags einhalten. Was heißt das für mich? Mich in Latexkleid und Stiefeln an den Schreibtisch setzen und Kundenmails beantworten, die keine Termine buchen? Mich im Wohnzimmer selbst fesseln und aufhängen? Face­sitting mit Kuscheltieren machen? Dirty Talk mit meiner Katze? Meine Arbeitsroutine ist gestört.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Es zeichnet sich bereits ab, dass diese Krise nicht in kürzerer Zeit vorbei ist. Ich frage mich, wie sich, neben einem finanziellen Einbruch im freien Fall, mein Berufsleben in Zukunft entwickeln wird. Die ganz Kreativen und Lösungsorientierten unter uns haben sich bereits in die Technik von Zoom und Co eingearbeitet und bieten Camsex, Online-Erziehungspiele und, ein seltsamer Rückfall in die 90er Jahre, Telefonsex an. Andere drehen Videoclips und steigen auf den Verkauf von Merchandise um (gebrauchte Schlüpfer, Strümpfe, solche Dinge).

Ich bin weder ein besonders visueller Mensch beim Sex noch stehe ich auf Erziehungsspiele generell. Ich bin freudig exhibitionistisch, aber ins Netz muss ich nicht unbedingt nackt. Reden beim Sex ist super, aber über Sex reden, ohne ihn tatsächlich zu haben, finde ich sehr öde. Ich fühle lieber, als dass ich rede. Tönen und atmen und sogar singen und jauchzen ist kein Problem, aber ob dafür jemand zahlt?

Onlinekurse statt ergebnisoffener Nähe

Mir sagen alle: Du gibst doch Workshops! Mach doch einen Onlinekurs! Doch falle ich bei dem Gedanken an Onlinekurse seit je prompt in einen Tiefschlaf. Ich habe meine Arbeit nie so verstanden, dass ich dir in „7 Schritten den Weg für Y“ erklären kann. Ich habe unzählige Gruppen geleitet und Menschen in Einzelsessions begleitet. Ich kenne keine Lösungen, ich kenne nur Prozesse und Wegbereitung.

Was ich kann, ist Menschen zu halten, wenn sie berührt sind, wenn sie sich öffnen, wenn sie verletzbar sind. Ich kann Improvisation, ich kann Ekstase und ich kann Lust, wenn sie nass ist, offen und bereit, oder schüchtern im Flur steht. Ich kann Körpern zuhören und nicht ihnen sagen, wie sie optimaler werden in fünf Schritten. Ich kann Nähe, die ergebnisoffen ist.

Und ich kann Menschen zusammenbringen. Ich kann einen Raum schaffen, damit sie experimentieren. Damit sie sich gegenseitig berühren. Ich erkläre ungern die Welt. Ich lasse sie lieber entdecken. Mit Welt meine ich tatsächlich die jenseits des eigenen Wohnzimmers und jenseits der Pfade von Zweierbeziehung. Aber genau dahin zielen Onlinekurse. Wir werden privat. Wir sagen Ole und Uschi, wie es geht.

Öffentlicher Sex und deine Errungenschaften – wie lange wird es dauern, bis wir dich zurückerobert haben?

Es tut mir leid, ihr Lieben, ich habe heute keine konstruktiven Lösungen für euch. Ich bin traurig und frus­triert, denn es macht mir Sorgen, was aus unserer Kultur der Berührung wird, es macht mir Sorgen, was aus unserer sexuellen Kultur wird. Und nicht zuletzt, was aus mir und meinen Kol­le­g*in­nen in der Sexarbeit wird.

Eine finanzielle Notlage, die manche ausnutzen

Meine Rücklagen reichen für etwa zwei bis drei Monate. Einige müssen weiterarbeiten, trotz der starken Gefährdung ihrer selbst und anderer. Grund ist wirtschaftliche Not: Diese Personen würden durch alle Hilfsprogramme für Selbstständige fallen und haben keinen Anspruch auf Grundsicherung, vielleicht weil sie keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und nicht angemeldet sind.

Kristina Marlen

ist seit 10 Jahren Sexarbeiterin in Berlin. Sie gibt Sessions, Workshops und Coachings zu den Themen sexuelle Kommunikation und Berührung, BDSM, Bondage und Körperarbeit – seit Neuestem notgedrungen auch online.

Es gibt Kunden, die diese Notlage noch zusätzlich ausnutzen und die Preise drücken, Gewalt gegen Sex­ar­bei­te­r*in­nen nimmt zu. Die Coronakrise bietet eine Aussicht auf das diskutierte „Sexkaufverbot“: Wird Sexarbeit kriminalisert, trifft dies vor allem marginalisierte und prekär arbeitende Kol­le­g*in­nen. Damit sie nicht weiterarbeiten müssen, hat der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen einen Notfallfonds eigerichtet und fordert die Politik auf, Rettungsmaßnahmen auch für Sexarbeitende einzurichten, die nicht angemeldet sind oder keine Krankenversicherung haben.

Huren geben Berührung und Nähe. Ich möchte unsere sexuelle Kultur nicht online, vielleicht bin ich die letzte hoffnungslos analoge, haptische Generation. Ich bin Hure geworden, eben weil ich nicht „irgendwas mit Medien“ machen wollte. Ich stehe dazu.

Haltet Abstand, ihr Lieben. Macht euch heiße Gedanken. Erzählt sie euch. Masturbiert. Gegenseitig zuschauen ist auch geil übrigens. Orgasmen und ein lustvolles Sein sind gut für das Immunsystem. Angst ist es nicht.

Bitte bleibt gesund!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Oh...danke, auch eine Sichtweise. Bislang hielt ich Prostitution für fragwürdig und wusste nicht, wie toll das alles sein kann. Das geht echt tief und man sollte den Freiern endlich dankbar sein, schaffen sie doch Arbeitsplätze, Lebensunterhalt für Tausende und gute Gefühle obendrein. Unglaublich, wie rückständig und wider die Selbstbestimmung die gängelnden Schweden da sind!



    Ungerecht aber ist, dass der Nähe und Körperlichkeit suchende Freier, einem inneren Bedürfnis folgend, obendrein noch angelockt, mit allerlei Versprechungen heiß gemacht...dann rücksichtslos abgezockt wird. Was so lieb und entgegenkommend daher kommt...verlangt nach GELD, GELD, GELD...wie ausbeuterisch ist das denn, einen unwiderstehlichen Trieb, ein ganz unverdächtig-natürliches Bedürfnis auszunutzen für GELD, GELD, GELD!?



    Ganz sicher: den meisten Frauen würden‘s die meisten Männer für umsonst machen, einfach so...ohne GELD, GELD, GELD!



    Richtig so?

  • Sehr berührend. Danke dafür.

    • @tomás zerolo:

      Ja, Thomás, Du bist der Typ, der auf das Angebot der Straßenmädchen verzichtet mit den Worten „Du, das ist jetzt ganz lieb von Dir...“

  • Ein interessanter Text. Ich finde es gut, wenn zum Thema Sexarbeit nicht nur Texte über Opfer und Gewalt in diesem Beruf erscheinen. Frau Marlen macht hier deutlich, dass Sexarbeit auch ein qualifizierter Beruf mit viel Fachwissen sein kann, und nicht jede Sexarbeiterin ein Opfer ist.

  • Ein Missverständnis: Das viel diskutierte Sexkaufverbot zielt nicht darauf ab, dass marginalisierte und prekär arbeitende "Kol­le­g*in­nen" dann doch irgendwie weiterarbeiten, sondern dass sie aufhören! Wir leben in einem Land, in dem niemand verhungern muss, selbst wenn er mal keine Arbeit hat und vielleicht umschulen muss. Das geht vielen anderen Arbeitslosen aus vielen anderen Branchen auch oft so.



    Kriminalisiert wird beim Sexkaufverbot nicht die Sexarbeiterin, sondern der "Kunde", den man aber besser "Ausbeuter" nennen sollte.

    Die Illusion der selbstbewussten und selbstbestimmten Sexarbeiterin, die diesen Beruf aus freien Stücken ausübt, gibt es nicht - oder allenfalls in Einzelfällen, die dann (wie in diesem Artikel) als Normalfall dargestellt werden.

    • @Winnetaz:

      Richtig. Es zielt nur darauf ab, dass "wir" das Elend nicht mehr sehen müssen.

    • @Winnetaz:

      Völlig egal wie man zum Bild der selbstbestimmten Sexarbeiterin steht, sollte doch für jeden offensichtlich sein, dass Kriminalisierung nur zusätzliches Leid schafft bei denen die sowieso schon ganz unten stehen in der Gesellschaft.

      Aber vielen sind ihre Dogmen halt wichtiger und die bewegen sich dann gerne in Fantasiewelten in denen Dinge verschwinden weil wir sie verbieten. Klappt doch bei Drogen auch so gut!

      • @Tobsen:

        Mord und Todschlag sind durch 211 f. nicht verschwunden, können wir das Verbot ja aufheben, basiert doch nur auf Dogmen.

        Welches zusätzliche Leid wird bei einer Zwangsprostituierten geschaffen, wenn sie nicht mehr täglich mehrfach vergewaltigt wird?

    • @Winnetaz:

      Ich habe auch den Eindruck, dass Kristina Marlens Erfahrungen eher untypisch sind.



      Dennoch stellt ein Verbot der Sexarbeit (auch das skandinavische System trifft Sexarbeiter*innen weitaus härter als die Freier) nur eine weitere Schikane dar für die, die vom Kapitalismus am härtesten getroffen werden.



      Prekarität wird man nicht los, indem man vielen Menschen das für sie kleinste Übel nimmt.