: Ein Rettungsschirm für arme Freiberufler
Gut gelaunt in den Abgrund: Dank schneller staatlicher Hilfe bleiben viele Berliner Freiberufler trotz Coronakrise und verordnetem Stillstand halbwegs optimistisch. Kein Wunder, leben viele Soloselbstständige und Künstler doch schon seit Jahren und Jahrzehnten prekär. Die taz berlin hat Freiberufler gefragt, wie sie mit der Krise umgehen
Von Susanne Messmer
Das Berliner Prekariat ist krisenerprobt. Viele sind zu einer Zeit in die Stadt gekommen, als die Mieten noch das kleinere Problem waren. Sie sind nach Berlin gegangen, weil sie sich hier mehr als irgendwo anders auf der Welt in Projekte stürzen konnten, für die man nicht unbedingt ausgefuchste Businesspläne parat haben musste.
Wenn man sich mit einigen von Berlins rund 200.000 Freiberuflern unterhält, bekommt man viele Einblicke: etwa, dass sie Probleme mit dem Finanzamt haben, weil ihre Unternehmen zwar seit 20 oder 25 Jahren bestehen, aber eigentlich Liebhaberei seien. Verwunderte Beamte hätten gefragt, wie man denn von diesen Beträgen leben könne. Andere erzählten, wie sie nie aufhören konnten, immer mal wieder alles aus dem Geldautomaten zu ziehen, was der Dispo hergibt, um die nächste weltverändernde Idee zu realisieren.Dann aber habe leider ganz plötzlich das unverzichtbare Telefon wegen unbezahlter Rechnungen nicht mehr funktioniert. Und man habe sich am Monatsende regelmäßig die Frage gestellt, warum die Monate immer so schnell vorbeigehen und woher um alles in der Welt die Miete kommen soll.
Es ist immer schwieriger in Berlin, das längst nicht mehr so arm und sexy ist wie in den Neunzigern und am Anfang des Jahrtausends, diesen unbesorgten Lebensstil aufrechtzuerhalten. Aber viele Existenzen operieren noch am Rande des Machbaren. Sie bauen auf ihren alten und günstigen Mietvertrag, machen einen Nebenjob, der nicht allzu wehtut, um sich die eigentliche Leidenschaft querzufinanzieren.
Sie kommen hoch erhobenen Hauptes mit weniger als dem Existenzminimum durch, kleiden sich bei Humana ein, halten Kaffee zum Mitnehmen wegen seines Preises für verzichtbaren Schnickschnack, holen sich Bücher in der Tauschstation und machen beim Flohmarkt mit. Sie kultivieren Hand- und Spanndienste im Bekanntenkreis, geben Kindern in der Nachbarschaft Nachhilfe und lassen sich von deren Eltern am Monatsende zum Abendessen einladen.
Diese Leute machen Berlin in normalen Zeiten noch immer so lebens- wie liebenswert. Und sie machen jenen Mut, die es nicht ganz so wild treiben und ihre Bilanzen ordentlicher führen, die aber in einer anderen Stadt vielleicht eher ein Leben mit Festanstellung gewählt hätten.
Für diese Leute ist die Coronakrise einerseits eine Bedrohung wie für alle anderen auch. Sie finden es ebenso seltsam, nicht zu wissen, was nächsten Monat ist, und fragen sich, wann wir wieder zu jener Normalität zurückkehren werden können, die wir jetzt schon schmerzlich vermissen. Natürlich sind sie die Ersten, denen jetzt die Puste ausgehen würde, wenn die Krise länger dauern und die finanzielle Unterstützung ausbleiben würde. Und trotzdem nehmen sie es relativ gelassen. Viele sagen immer wieder, sie hätten schon Schlimmeres erlebt und oft viel näher am Abgrund gestanden.
Sie nehmen diese Zeit vielleicht sogar leichter als andere, weil es endlich einmal nicht nur ihnen so geht. Und weil ihnen der Urlaub, den sie sich sonst nie leisten konnten, nun zwangsverordnet wurde. Plötzlich ist auch mal Zeit, innezuhalten, das eigene Leben zu sortieren und mal wieder darüber nachzudenken, ob es nicht der gesamten Menschheit ganz guttäte, wenn sie auch nur ein kleines bisschen mehr so ticken würde wie sie selbst.
Nicht zuletzt aber sind diese Leute auch trotz allem gerade recht gut gelaunt, weil ihnen oft zum allerersten Mal der Staat unter die Arme greift. „Ich hatte noch nie so viel Geld auf einmal auf dem Konto“, meint einer der Soloselbständigen, die die taz befragt hat. Ein anderer: „Ich habe es damals verpennt, einen Gründerkredit zu beantragen, insofern fühlt sich das jetzt umso toller an.“
Von Musikerin bis Wirt: Sechs Freiberufler sprechen darüber, wie die Pandemie ihre Lebensentwürfe bedroht 44–45
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