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Türkei im Krieg in SyrienAngekommen im syrischen Sumpf

Mit dem Angriff auf türkische Soldaten scheint der befürchtete Ernstfall einzutreten: ein offener Krieg zwischen Nato-Mitglied Türkei und Syrien.

Nach einem Luftangriff in Idlib am Freitag Foto: Umit Bektas/reuters

Berlin taz | Der seit langem befürchtete Ernstfall ist eingetreten. Die militärischen Auseinandersetzungen in der syrischen Rebellenprovinz Idlib sind in einen regelrechten Krieg zwischen der Türkei und den Truppen des Assad-Regimes ausgeartet.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurden bei einem Luftangriff syrischer Kampfflugzeuge auf türkische Stellungen mindestens 33 Soldaten getötet und mindestens 40 weitere schwer verletzt. Augenzeugen aus der an Idlib angrenzenden türkischen Provinz Hatay berichteten in sozialen Medien von bis zu hundert verletzten Soldaten in den Krankenhäusern der Grenzstadt Reyhanli. Der Gouverneur von Hatay, Rahmi Dogan, bestätigte, dass 36 schwerverletzte Soldaten behandelt würden.

Das sind die schwersten Verluste, die die türkische Armee in Syrien je erlitten hat. Präsident Recep Tayyip Erdoğan berief noch in der Nacht eine Sondersitzung seines Sicherheitsrates ein und befahl anschließend Gegenangriffe auf „alle bekannten syrischen Ziele“. Diese Angriffe, sagte das türkische Militär, seien sowohl aus der Luft als auch vom Boden bis Freitagmorgen erfolgt.

Nach einer auf Wunsch der Türkei kurzfristig einberufenen Sondersitzung der Nato-Botschafter in Brüssel verurteilte die Militärallianz die „rücksichtslosen syrischen Luftangriffe“ scharf und forderte Russland und Syrien auf, ihre Offensive in Idlib zu beenden.

Baldiges Treffen zwischen Putin und Erdoğan?

Die türkische Armee ist damit endgültig „im syrischen Sumpf“ gelandet, wie die Opposition beklagt. Seit Wochen lässt der russische Präsident Wladimir Putin die Türkei zappeln und weigert sich, bei seinem Protegé Baschar al-Assad einen erneuten Waffenstillstand durchzusetzen, wie Erdoğan immer dringlicher verlangt.

Noch bemüht sich die türkische Regierung fast schon krampfhaft, von der russischen Beteiligung an den Kämpfen in Idlib abzusehen und beschuldigt allein die syrische Regierung für die Angriffe. Die russische Regierung beeilte sich denn auch noch in der Nacht zu erklären, dass keine russischen Kampfflugzeuge an dem Angriff beteiligt gewesen seien, beschuldigte aber die Türkei, gemeinsam mit Terroristen der al-Qaida-nahen Miliz Hai'at Tahrir al-Scham an einem Angriff auf syrische Truppen beteiligt gewesen zu sein. „Wir wussten nicht, dass sich türkische Soldaten unter den islamistischen Milizen befanden“, sagte ein Kreml-Sprecher.

Diese Behauptung wurde vom türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar umgehend dementiert. Bei den türkischen Truppen haben sich während des Angriffs keine anderen bewaffneten Kräfte aufgehalten, sagte er.

Am Freitagmittag kam es dann nach langem Drängen aus Ankara doch noch zu einem direkten Telefongespräch zwischen Erdoğan und Putin, das aber keinen diplomatischen Durchbruch brachte. Die türkischen Minister für Verteidigung und Äußeres sollen sich mit ihren russischen Amtskollegen treffen, wurde vereinbart. Allerdings hat Putin nach türkischen Angaben ein baldiges Treffen der beiden Präsidenten in Aussicht gestellt.

Die Türkei fürchtet hunderttausende syrische Flüchtlinge

Ein Treffen, das für Mittwoch kommender Woche gemeinsam mit Kanzlerin Merkel, dem französischen Präsidenten Macron und Erdoğan vereinbart war, hatte Putin aber vorher abgesagt. „Wir arbeiten weiter daran“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Erdoğan will mit dem Einsatz seiner Armee erreichen, dass Assad zumindest einen Teil von Idlib nicht mehr angreift, damit dort für fast drei Millionen Menschen, von denen nach UN-Angaben bereits eine Million in Zelten entlang der türkischen Grenze kampieren, eine sichere Schutzzone entsteht. Die Türkei fürchtet, dass sonst erneut hunderttausende syrische Flüchtlinge über die Grenze kommen könnten, die das Land nicht mehr aufnehmen könne.

Die türkische Regierung hat deshalb neben der Nato auch die EU um mehr Hilfe gebeten. Die Bundesregierung und auch die US-Regierung haben deshalb jetzt deutlicher Stellung bezogen. Bundesaußenminister Heiko Maas sprach von „Kriegsverbrechen“ in Idlib, und der einflussreiche US-Senator Lindsay Graham schloss sich der türkischen Forderung nach einer Flugverbotszone über Idlib an.

Allerdings müsste diese Flugverbotszone dann militärisch nicht nur gegen Syrien sondern auch gegen Russland durchgesetzt werden. Da dies zu einer militärischen Großauseinandersetzung führen könnte, soll nun stattdessen der Druck auf Putin erhöht werden, einem neuerlichen Waffenstillstand zuzustimmen.

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