Doku „Hinterm Deich wird alles gut“: Im grünen Bereich
Die Dörfer Bordelum, Breklum und Klixbüll haben sich der „Gemeinwohl-Ökonomie“ verschrieben. Am Wochenende wird ein Film darüber kostenlos gestreamt.
Die Gemeinden Bordelum, Breklum und Klixbüll haben sich monatelang nach diesen Regeln bilanzieren lassen. Und sie haben aus den Resultaten Konsequenzen gezogen. Ein Gemeindezentrum haben sie gebaut, betreiben ihre Landwirtschaft möglichst klimaneutral und gründen kleine Kooperativen für das Carsharing mit Elektroautos.
Der Initiator der Bewegung Christian Felber, Autor, Hochschullehrer und freier Tänzer aus Österreich, macht erst einmal einen Kopfstand auf der Bühne, bevor er in einem Vortrag die Grundsätze seiner Philosophie verdeutlicht. Diese Lockerungsübung hat der Film auch nötig, denn Kob und Hart sind da ein wenig in einer Zwickmühle. Einerseits gibt es kaum etwas Langweiligeres als einen abgefilmten Vortrag, andererseits kann das Prinzip der „Gemeinwohl-Ökonomie“ kaum anders so pointiert und rhetorisch geschickt vermittelt werden wie von Felber persönlich.
Und so wird er später im Film noch in einem Seminar etwas an einer Schultafel erklären, und Auszüge aus einem seiner Bücher werden als eine Art Manifest vorgetragen. Dabei hat sich das FilmemacherInnenteam allerdings etwas einfallen lassen, denn Gabriele Kob war sich, wie sie in einem Gespräch zugab, durchaus bewusst, dass in ihrem Film „viele Talking Heads die Welt erklären“. Zu allem Überfluss sind die meisten von ihnen auch noch Männer, und so ließen die beiden in einer Montagesequenz nur Frauen zu Wort kommen, die einige Kernsätze von Felber – also doch wieder von einem Mann – vorlesen und mit kurzen Bemerkungen kommentieren.
Stolze Bürgermeister
Die Protagonisten des Films sind jedoch die drei Bürgermeister, die stolz erzählen, wie weit ihre Gemeinden schon mit der Umstellung auf die Prinzipien der „Gemeinwohl-Ökonomie“ gekommen sind. Dass sie keinen Atomstrom verbrauchen, ist angesichts der vielen Wind- und Solarenergieanlagen in Schleswig-Holstein allerdings keine bahnbrechende Leistung.
Schwieriger war es, für eine gute Bilanz auch bei Faktoren wie Menschenwürde, sozialer Nachhaltigkeit, Solidarität und Mitbestimmung zu punkten. Da wird dann auch gezeigt, wie gut die Stimmung bei einem Fest in der neuen Bürgerbegegnungsstätte „Dörpscampus“ ist: In einer Küche entstehen Nudeln aus regionalen Zutaten, die klimaneutral produziert wurden, mithilfe einer manuellen Nudelpresse. „Mehr Öko geht nicht!“, sagt die Frau in der Küche.
Einer der Bürgermeister schafft sich ein neues Bambusfahrrad an, dessen Rahmen in Ghana hergestellt und das dann in Kiel montiert wurde. Doch wenn dazu ein paar kurze Filmaufnahmen aus Ghana gezeigt werden, irritiert dies, denn sollten die FilmemacherInnen tatsächlich die ökologische Todsünde begangen haben und für diese paar Bilder nach Afrika geflogen sein?
Natürlich nicht: Die Kieler Firma hat ein wenig von ihrem Promomaterial zur Verfügung gestellt – die Werbung wird im Film allerdings nicht als solche kenntlich gemacht. Da arbeiten Hart und Kob also ein wenig unsauber, doch ökologisch ist alles im grünen Bereich. Sie reisten zwar nach Brüssel, um dort den Europa-Abgeordneten der Grünen Sven Giegold zu interviewen und sie folgten dem Bürgermeister von Klixbüll auf einer Dienstreise nach Triest, aber sie sind dabei immer mit dem Auto gefahren.
Diese Reise nach Triest ist der seltsamste Teil des Films, denn Werner Schweizer will dort Flugzeuge kaufen. In Zeiten der Flugscham gelingt es ihm, ein umweltfreundliches Geschäftsmodell für das kommerzielle Fliegen zu entwickeln und für diese Idee kann man ihn nur bewundern. Klixbüll war bis vor wenigen Jahren Standort für einen Bundeswehrflugplatz und Bürgermeister Schweizer ist in seiner Jugend als Pilot in das Dorf gekommen.
„Hinterm Deich wird alles gut“. Regie: Gabi Kob und Hanno Hart. Deutschland 2019, 52 Min.
Nun hat Schweizer einen Weg gefunden, seine Flugbegeisterung (bei den Aufnahmen in Triest sieht man ihn hinter dem Steuerhebel bei einem Probeflug) mit den Prinzipien der „Gemeinwohl-Ökonomie“ in Einklang zu bringen: Die Landepiste des ehemaligen Flughafens besteht ja schon, es muss also nichts neu gebaut werden. Und Flüge auf die Nordseeinseln, für die eine solide Nachfrage besteht, können umweltschonend mit den kleinen Elektroflugzeugen angeboten werden, denn der Strom dafür würde ja sauber im Dorf produziert.
Kob und Hart erzählen in ihrem Film nur solche Erfolgsgeschichten. Sie wollen mit ihrem Film inspirieren, das kritische, investigative und analytische Filmemachen überlassen sie anderen. Beide sind vor einigen Jahren aus Hamburg in das Dorf Norderstapel in Schleswig-Holstein gezogen und suchen seitdem die Themen für ihre Filme vor ihrer Haustür.
Hanno Hart hat sich mit Dokumentarfilmen über Schulen einen Namen gemacht, Gabriele Kob hat lange als Drehbuchautorin gearbeitet. Ihr erster „Heimatfilm“ war im letzten Jahr die Dokumentation „Unsere Dorfschule“, in der sie Schulen und Kindergärten in der Region vorstellten. Dafür drehten sie auch in Bordelum und Klixbüll.
Wegen geschlossener Kinos wird der Film ab Freitag, den 22. Mai um 15 Uhr bis Sonntag Nacht kostenlos gestreamt, und zwar hier. Ferner gibt es am Sonntag, den 24. Mai um 19:00 Uhr ein Online-Forum via Zoom mit Filmemacher*innen, Protagonisten und Fachreferent*innen. Die Moderation übernehmen Anke Butscher und Gerd Lauermann. Der Meeting findet hier statt (zoom Meeting-ID: 820 9427 2646).
Die beiden produzieren ihre Filme unabhängig von Fernsehsendern, denn sie wollen sich nicht von Redakteuren abhängig machen. Mit wenig Fördergeldern machen sie ihre Filme lieber so kostengünstig wie möglich. Und so besteht das kleine Filmteam zum Teil aus Familienmitgliedern: Helene Hart war für die Musik verantwortlich und Sandra Kob ist eine professionelle Sprecherin.
Ihre Produktionsfirma „Hartfilm“ vertreibt den 52 Minuten langen Film selbst. Ende März beginnt eine Kinotour, bei der er mit einem anschließenden Forum gezeigt wird, zu dem jeweils die FilmemacherInnen und mindestens einer der drei Bürgermeister anreisen werden.
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