Corona-Krise: Berlin im Stresstest: Die U-Bahn bleibt sicher
Gesundheitssenatorin Dilek Kalaycı (SPD) sieht erste „Stressmomente“ in den Gesundheitsämtern. Bezirke entscheiden weiter über Großveranstaltungen.
Streit gab es am Montag um die „Empfehlung“ von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Der hatte am Sonntag getwittert: „Empfehle, Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Besuchern abzusagen.“
So pauschal mochte man das in Berlin nicht unterschreiben. Es bleibe bei der bisherigen Linie, dass jeder Veranstalter eine eigene Risikoanalyse treffen müsse und dann gemeinsam mit den bezirklichen Gesundheitsämtern entscheide.
Wenn man eine Grenze für Veranstaltungen ziehe, brauche es dafür ein einheitliches Vorgehen aller Länder. Soll heißen: Solange es das nicht gibt, mag die Senatorin sich und den bezirklichen Gesundheitsämtern nicht reinreden lassen. Auch Innensenator Andreas Geisel (SPD), dessen Verwaltung einen etwaigen Corona-Katastrophenfall in Berlin koordinieren müsste, zeigte sich not amused über die Spahnsche Obergrenze.
Im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf wurde der Vorstoß des Gesundheitsministers ebenfalls zurückhaltend aufgenommen. „Es wird in der derzeitigen Situation kein pauschales Verbot geben“, sagte Gesundheitsstadtrat Detlef Wagner (CDU) der taz. Sein Amt werde weiterhin alle Veranstaltungen einzeln begutachten, auch jene mit mehr als 1.000 TeilnehmerInnen. Und da in dem Bezirk mit der Messe, dem Olympiastadion, der TU und vielen weiteren Hallen zahlreiche Orte mit dieser Kapazität liegen, sind das laut Wagner mindestens zehn pro Woche.
Auch kleine Veranstaltungen gefährlich
Wagner betrachtet Spahns Vorschlag als „das, was er ist: eine Empfehlung“, sprich als einen Faktor unter vielen. Sein Amt und seine Amtsärztin müssten abwägen zwischen schwersten Einschränkungen eines Grundrechts und dem Schutz der Bevölkerung. „Und ich weiß noch aus meiner Zeit als Polizist: Den einfachen Weg zu gehen ist nicht immer der Weg, der dem Handeln nach Recht und Gesetz entspricht.“ Es gäbe auch kleine Veranstaltungen, die etwa aufgrund der Herkunft der TeilnehmerInnen eine viel größere Gefahr für eine Verbreitung des Virus darstellten.
Senatorin Kalaycı vermeldete indes „Stressmeldungen“ aus den Krankenhäusern und den Gesundheitsämtern – allerdings nichts, womit die momentan nicht fertig würden. Die inzwischen sechs Extra-Anlaufstellen für „begründete Verdachtsfälle“ würden keinesfalls überrannt, sondern überlegt aufgesucht. Zudem hätten bisher kaum Fälle stationär aufgenommen werden müssen, sodass es auch keine Betten-Engpässe gebe. Die Krankenhäuser würden von Tag zu Tag neu schauen und gegebenenfalls nicht notwendige Operationen verschieben.
Die bezirklichen Gesundheitsämter indes ziehen inzwischen auch MitarbeiterInnen aus anderen Abteilungen des Bezirksamts zusammen – „Pooling“, nannte das Kalaycı. Man sei, sagte ihre Sprecherin, „in einer neuen Situation die Dynamik und der Vielzahl von Kontaktpersonen betreffend.“ Die Amtsärzte seien durch die Nachverfolgung der Kontaktpersonen „stark beansprucht.“ Der Krisenstab der Gesundheitsverwaltung habe deshalb empfohlen, „die Teams die Amtsärztinnen und Amtsärzte mit bis zu 50 Personen aus den bezirklichen Ämtern zu verstärken.“
Die SPD-Abgeordnete Ülker Radizwill beunruhigte das eher: „Bei gerade mal 48 Fällen macht mir das Sorge.“ Derzeit sind 60 Stellen in den Gesundheitsämtern nicht besetzt.
Arztpraxen fehlt Schutzkleidung
Schwierig indes sei die Lage bei den hausärztlichen Praxen, sagte Kalaycı: „Da haben wir in der Krise eine Lücke entdeckt.“ Die Lücke sei vor allem eine mangelhafte Ausrüstung mit Schutzkleidung. Kalaycı sagte, da sei der Senat selbst im Katastrophenfall „nicht in der Pflicht, das müssen die Arztpraxen eigenverantwortlich organisieren.“
Das allerdings ist schwierig: Mundschutz und Anzüge sind europaweit quasi ausverkauft. Die Krankenhäuser seien gut bevorratet. Feuerwehr, Polizei, Gesundheitsämter würden aus den Beständen für einen Katastrophenfall bedient. Ansonsten hoffe man auf die „zentrale Beschaffung“, die jetzt auf Bundesebene anlaufen solle.
Der FDP-Abgeordnete Florian Kluckert regte indes am Montag „flächendeckende Tests“ der BerlinerInnen auf das Virus an. Das brachte den Ausschussvorsitzenden Wolfgang Albers (Linke), selbst Mediziner, auf die Palme. Der rechnete vor, dass die Mortalitätsraten kaum höher als bei der Influenza lägen, wenn man den Experten vom Robert-Koch-Institut Glauben schenke, die sagten: Rechne man alle wahrscheinlich nicht erkannten Fälle mit rein, komme man auf eine Mortalitätsrate von 0,4 Prozent.
Was Albers suggerierte: Eventuell fahren wir das Gesundheitssystem umsonst an seine Grenzen, wenn um jeden Corona-Fall Wirbel gemacht wird.
Sicher war am Montag laut Kalaycı nur soviel: Der ÖPNV ist sicher. „Auf Haltegriffen ist das Virus nicht stabil.“
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