Thüringen-Wirrwarr: Das große Dilemma der CDU
Schon wieder Katastrophenstimmung bei der Bundes-CDU: Die Parteifreunde in Thüringen wollen Bodo Ramelow doch zum Ministerpräsidenten wählen.
Am 4. März, darauf haben sich Linkspartei, SPD, Grüne und CDU am Freitagabend in Erfurt verständigt, soll Ramelow erneut zum Regierungschef in dem östlichen Bundesland gewählt werden – und zwar mit einer absoluten Mehrheit der demokratisch gesinnten Abgeordneten. Seine Wahl ist einer von mehreren verabredeten Eckpunkten, um einen Ausweg aus der Thüringer Regierungskrise zu finden.
Dazu gehört ferner, dass vorgezogene Neuwahlen am 25. April 2021 stattfinden sollen. Bis dahin haben sich die vier Parteien zugesichert, dass bei Anträgen die AfD nicht das Zünglein an der Waage sein darf. Zudem soll bis Dezember der Landeshaushalt für das Jahr 2021 gemeinsam verabschiedet werden. Auch über Personalfragen soll gemeinsam entschieden werden.
Doch noch ist unklar, ob die rot-rot-grün-schwarze „Stabilitätsvereinbarung“ tatsächlich hält. Der Knackpunkt ist die Wahl Ramelows. Linkspartei, SPD und Grüne verfügen im Landtag nur über 42 der 90 Stimmen. Lässt man die AfD außen vor, müssen für die Wahl des Linksparteilers Ramelow im ersten Wahlgang mindestens vier Stimmen aus den Reihen der CDU oder der FDP kommen.
Da die Liberalen nicht an den Verhandlungen beteiligt waren, bedeutet das in der Konsequenz, dass die fehlenden Kreuze von christdemokratischen Abgeordneten zu kommen haben. Und genau das versetzt die christdemokratische Bundesspitze in Katastrophenstimmung.
„Es geht hier um nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit der CDU Deutschlands insgesamt“, empörte sich am Samstag CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und verwies auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, nachdem eine Zusammenarbeit weder mit der AfD noch mit der Linkspartei möglich sei. Niemand aus seiner Partei könne daher für Ramelow als Ministerpräsidenten stimmen. Wer ihn wähle, „verstößt gegen die Beschlüsse der CDU“, so Ziemiak. Es gehe hier „um Grundüberzeugungen und um Grundwerte und nicht um politische Spielchen“.
Merz-Getwitter
Noch drastischer formulierte es CDU-Bundesvorstandsmitglied Jens Spahn: „Es geht jetzt um die Substanz unserer Partei – nicht nur in Thüringen“, twitterte er. Auch von Friedrich Merz, einem weiteren Aspiranten auf den Parteivorsitz, kam harsche Kritik. „Die Entscheidung der CDU Thüringen, Herrn Ramelow auf Zeit mitzuwählen, beschädigt die Glaubwürdigkeit der CDU in ganz Deutschland“, twitterte er.
Die Thüringer CDU-Landtagsfraktion reagierte mit einer feinziselierten Erklärung auf die Anwürfe. Einerseits bekräftigte sie, dass sie gemäß ihrer Vereinbarung mit der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer von Anfang Februar Ramelow „nicht aktiv“ als Ministerpräsidenten mitwählen werde.
Andererseits nehme die CDU-Fraktion aber das Verhandlungsergebnis mit Rot-Rot-Grün „mehrheitlich zustimmend zur Kenntnis“. Sie werde sich „stabilen Verhältnissen nicht verweigern“. Verklausuliert bedeutet das die Bereitschaft, Ramelow die erforderliche Mehrheit zu sichern. Welche CDU-Abgeordneten auch immer ihn „aus staatspolitischer Verantwortung“ wählen werden, ist unklar, die Wahl ist ja geheim.
Wie umstritten die Entscheidung zur Zusammenarbeit mit Rot-Rot-Grün allerdings auch in der Thüringer CDU ist, zeigt die Mitteilung des bisherigen Landespartei- und Fraktionschefs Mike Mohring: am 2. März – also noch vor der anvisierten Wahl Ramelows – will er seine beiden Posten aufgeben. Eigentlich hatte er als Parteichef erst im Mai abtreten wollen.
„Ich bin mit dem klaren Versprechen angetreten, Rot-Rot-Grün in Thüringen zu beenden und nicht zu verlängern“, begründete Mohring gegenüber der Bild am Sonntag seinen Entschluss. „Jetzt steht eine wie auch immer geartete vertragliche Vereinbarung für eine Tolerierung einer rot-rot-grünen Regierung durch die CDU im Raum.“ Das sei „das Gegenteil unseres Wahlversprechens“. Deswegen gebe er „parallel zur Wahl des neuen Fraktionsvorstands auch mein Amt als Parteivorsitzender der CDU Thüringen zurück“.
Mohring-Abgang
Mohring gehörte nicht zu der vierköpfigen Verhandlungsgruppe, die den Deal mit Linkspartei, SPD und Grünen ausgehandelt hatte. Die wurde vielmehr angeführt von Landesparteivize Mario Voigt. „Es ist eine Ausnahmesituation“, rechtfertigte der sich. Die „Stabilitätsvereinbarung“ bedeute keine Koalition, keine Tolerierung und keine Duldung von Rot-Rot-Grün, sondern eine zeitlich eng begrenzte, projektorientierte Zusammenarbeit zum Wohle Thüringens. „Wir verstehen uns als konstruktive Opposition“, versicherte Voigt.
Die Thüringer CDU befindet sich in einem selbst verschuldeten Dilemma: Denn eigentlich bestünde keine Notwendigkeit für sie, mit den Parteitagsbeschlüssen der CDU zur Nichtzusammenarbeit mit der Linkspartei in Konflikt zu geraten – wenn sie denn bereit wäre, umgehenden Neuwahlen zuzustimmen. Doch das lehnt sie mit Blick auf ihre desaströsen derzeitigen Umfragewerte vehement ab.
Deswegen verweigerte sie sich sogar dem Vorschlag Ramelows, dessen christdemokratische Vorgängerin Christine Lieberknecht für eine Übergangszeit zur Interimsministerpräsidentin zu machen. Hauptsache, kein schneller Urnengang, lautet die Devise. Davon sind die Thüringer Christdemokrat:innen auch nicht durch die Parteioberen in Berlin abzubringen. Aber was bleibt dann noch – außer einer wie auch immer gearteten Kooperation mit der vermaledeiten Linkspartei?
Ramelow-Brücke
Ramelow jedenfalls versucht weiter, der Thüringer CDU eine Brücke zu bauen. Natürlich gebe es keine Vereinbarung mit der CDU-Fraktion, ihn zu wählen, sagte er. Das sei auch gar nicht nötig. „Da wird von Berlin etwas hineininterpretiert, was es nicht gibt.“ Es seien keine Vereinbarungen getroffen worden, „die den CDU-Parteibeschlüssen widersprechen“. Auch nicht in Bezug auf die Ministerpräsidentenwahl.
Gleichwohl gehe er davon aus, am 4. März gewählt zu werden – und AfD-Stimmen dabei keine Rolle spielen. „Deswegen bin ich auch sehr gelassen in Bezug auf das Getöse in Berlin“, so Ramelow. „Dass der Kalte Krieg beendet ist, dass wird auch dort hoffentlich bald begriffen.“ Seit Hanau sollte auch dem Letzten klar sein, worum es in Deutschland geht: „Es geht darum, unsere Demokratie zu verteidigen, und das geht nur, wenn Demokratinnen und Demokraten auch zusammenstehen und zwar über Parteigrenzen hinweg.“
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