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Unerwartete Freisprüche im Gezi-ProzessÜberraschung und Erleichterung

Ein Gericht in Istanbul hat Osman Kavala und weitere Angeklagte freigesprochen. Sie hatten 2013 bei den Gezi-Protesten gegen Erdoğan demonstriert.

Große Freude bei Mücella Yapıcı über ihren Freispruch Foto: Umit Bektas/reuters

Istanbul taz | Es war zunächst ein sprachloses Erstaunen unter den mehr als hundert Prozessbeobachtern in dem Gerichtstrakt des Hochsicherheitsgefägnisses in Silivri, von denen viele zunächst glaubten sich verhört zu haben. Dann brach der Jubel los. Leute lagen sich in den Armen, andere weinten vor Freude.

Für alle Anwesenden völlig unerwartet verkündete das Gericht nach knapp einem Jahr Verhandlung am Dienstag den Freispruch. Osman Kavala, bekannter Intellektueller, Mäzen und Menschenrechtler, der als einziger Angeklagter über zwei Jahre in Untersuchungshaft saß, soll noch am Abend freikommen.

Während des gesamten Prozesses war mit einem solchen Ausgang nicht zu rechnen gewesen. Obwohl die Anklage, die den Beschuldigten einen versuchten Umsturz der Regierung vorgeworfen hatte, ganz und gar konstruiert war, hatte das Gericht bis dahin an keinem Prozesstag zu erkennen gegeben, dass es die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft für haltlos hielt.

Im Gegenteil, immer wieder wurde die Verteidigung gemaßregelt und immer wieder lehnte das Gericht wegen der „schwere der Vorwürfe“ eine Entlassung Kavalas aus der U-Haft ab. Selbst nachdem der europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg im Dezember die Entlassung Osman Kavalas aus der U-Haft gefordert hatte, lehnte das Gericht es ab, der Forderung nachzukommen.

Vorwurf: Geplanter Umsturz

Hintergrund des gesamten Prozesses waren die so genannten Gezi-Proteste im Sommer 2013, als zunächst in Istanbul und dann landesweit hunderttausende Menschen auf die Straßen gingen um gegen den autoritären und repressiven Regierungsstil des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu protestierten.

Aus Sicht der Anklage sollen Osman Kavala, die Architektin Mücella Yapıcı und der Menschenrechtsaktivist Yiğit Aksakoğlu die Anstifter, Drahtzieher und Finanziers der Proteste gewesen sein und dabei das Ziel eines Sturzes der Regierung Erdoğan verfolgt haben.

Erschwerte lebenslängliche Haft, hatten die Staatsanwälte deshalb gegen die drei Hauptangeklagten gefordert, die anderen Angeklagten, unter ihnen auch der im deutschen Exil lebende Can Dündar, sollten ebenfalls für viele Jahre ins Gefängnis.

Das Gerichtsurteil sorgte am Dienstag überall in der Türkei für eine riesige Überraschung. Nach dem bisherigen Prozessverlauf war die gesamte Opposition überzeugt, dass die Regierung von Präsident Erdoğan insbesondere an den drei Hauptangeklagten ein Exempel statuiert sehen wollte.

Allerdings kursierten kurz nach der Urteilsverkündung Nachrichten in den türkischen Medien, in denen der Freispruch für alle 16 Angeklagten revidierte wurde. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu vermeldete, dass Osman Kavala und neun Angeklagte freigesprochen, aber der Fall der sieben weiteren, im Exil lebenden Angeklagten demnach abgetrennt wurde.

Ein Ende der politischen Justiz?

Die Gezi–Proteste, die im Herbst 2013 nach einem halben Jahr durch brutale Polizeigewalt niedergeschlagen wurden, waren die lautesten und am breitesten gesellschaftlich verankerten Proteste gegen die Regierung Erdoğan gewesen.

Nach dem Putschversuch im Sommer 2016 war die Repression gegen jede Opposition und oppositionelle Meinung dann noch einmal verschärft worden. Umso überraschender die jetzigen Freisprüche.

Die Konsequenzen dieses Urteils sind zunächst einmal, dass die Opposition von einem Alptraum befreit wird und wieder Mut schöpft. Ob dieser Freispruch mehr als ein singuläres Ereignis ist und eine Wende in der politischen Justiz andeutet, ist noch nicht absehbar.

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