: Tuchel: Aufarbeitungim Achtelfinale
Der ehemalige BVB-Trainer reist mit seiner Pariser Startruppe zum Champions-League-Duell an. Beide Teams suchen immer noch nach Kontrolle
Aus Dortmund Daniel Theweleit
In Wahrheit war der Vorsatz, den Thomas Tuchel anlässlich seiner Rückkehr ins Dortmunder Westfalenstadion gefasst hatte, nie wirklich umsetzbar, die Tage vor dem großen Spiel beim BVB haben den Plan nun endgültig unmöglich gemacht. Der Trainer von Paris St.-Germain hatte beschlossen, sich „nicht in den Mittelpunkt der ganzen Sache zu stellen“, er hatte beinahe alle Interviewanfragen vor diesem für beide Klubs höchst bedeutsamen Champions-League-Duell im Achtelfinale abgelehnt.
Tuchel wollte nicht mehr reden über die Konflikte mit verschiedenen Dortmunder Verantwortlichen und die tiefe gegenseitige Abneigung, die im Sommer 2017 – nach Gewinn des DFB-Pokals – zu seiner Entlassung geführt hatten. Nur der Welt am Sonntag hatte er erklärt, dass dieses Spiel „keine Bühne“, sei, „um irgendetwas aufzuarbeiten. Die Dinge sind aufgearbeitet und verarbeitet für mich.“ Sein emotionaler Auftritt am vorigen Samstag verriet dann aber doch viel über die gewaltige Anspannung, unter der Tuchel nach Dortmund reist.
Nach einem wilden 4:4 beim Tabellenvorletzten Amiens gab der 46 Jahre alte Fußballlehrer eine denkwürdige Pressekonferenz. „Die ganze Welt denkt jetzt: Oh, sie werden unruhig, unruhig, unruhig, sie haben viele Probleme“, sagte Tuchel. Er war aufgebracht, fuchtelte mit den Armen und erklärte: „Aber nein. Das ist das Leben! Das ist Fußball!“ Dieser emotionale Auftritt bildete einen krassen Kontrast zu den gedämpften Gesprächsrunden von Journalisten mit Lucien Favre. Der Schweizer bleibt selbst dann ruhig, wenn sein Team vier Gegentore kassiert hat, wie in Leverkusen vor zehn Tagen. Und am Freitag nach dem 4:0 gegen Eintracht Frankfurt verkündete Favre milde lächelnd: „Wir sind zu null geblieben, das ist wichtig auch.“ An dieser Stelle werden die fußballerischen Details interessant, an denen beide Trainer derzeit arbeiten.
Sowohl der BVB wie auch PSG verfügen über brillante Offensivstars und spielen fast immer mit Mut und Risiko nach vorne. Irgendwie ist Tuchels Offensivgeist immer noch am Leben im Revier. Jedenfalls war Favre früher eher ein Fußballlehrer, der viel Wert auf Kontrolle legte, bis er nach Dortmund kam, wo es plötzlich reihenweise Spiele mit vier, fünf oder noch mehr Toren gab. In seinen Jahren in Mönchengladbach waren Spektakel dieser Sorte noch sehr seltene Ausnahmen. Der BVB verliert nun immer wieder die Kontrolle über die Spiele. Dabei hat Sportdirektor Michael Zorc seit Favres Ankunft etliche Transfers umgesetzt, die einem klaren Motiv folgten: den von Tuchel propagierten Abenteuerfußball in ein gesünderes Gleichgewicht zu überführen. Zwar gab es das Zwischenjahr mit Peter Bosz und Peter Stöger, die aber nie dazu kamen, konzeptionelle Eingriffe vorzunehmen. Mit Favre sollte es kontrollierter werden. Explizit als Stabilisatoren verpflichtete Zorc zunächst Axel Witsel und Thomas Delaney, mit dem gleichen Vorsatz wurden im vorigen Sommer der Weltmeister Mats Hummels und der Nationalspieler Nico Schulz unter Vertrag genommen. In der Winterpause kam nun Emre Can dazu. Bislang ohne dauerhaft sichtbaren Effekt. Wobei sie hoffen, dass der Durchbruch jetzt endlich geschafft sein könnte.
Thomas Tuchel nach dem 4:4 in Amiens
Am Freitag stellte Hummels erfreut fest, das Team habe „auf allen Positionen konzentriert und engagiert“ gespielt. Erstmals seit Monaten hatte der BVB keinen gegnerischen Schuss aufs Tor zugelassen. Cans Präsenz und Zweikampfführung waren imposant, zwar war das Offensivfeuerwerk nicht ganz so intensiv wie an anderen Tagen, aber Hummels sagte: „Bei unserer Qualität in der Offensive müssen wir gar nicht voll ins Risiko zu gehen vorne, um Chancen zu haben“.
Statt den Dortmundern hatte plötzlich Tuchel eine Debatte über die Defensive seines Teams am Hals. Mit 0:3 war der souveräne Tabellenführer beim Abstiegskandidaten in Rückstand geraten, schon „nach fünf Minuten war ich sehr wütend“, erklärte der Trainer, weil seine Spieler nicht seriös und aufmerksam gearbeitet hatten. Und weil die Lage in Paris noch angespannter ist als beim BVB.
Zuletzt waren die mit enormen Sponsorengeldern aus Katar alimentierten Pariser immer wieder im Achtelfinale ausgeschieden, 2018 und 2019 jeweils trotz deutlicher Hinspielerfolge: nach einem 2:0 bei Manchester United (Rückspiel 1:3) und dem 4:0 gegen den FC Barcelona (Rückspiel 1:6). „Natürlich war das jetzt ein paarmal so bizarr, dass auch in dieser Konstellation die Leute das wieder aufwärmen und uns damit konfrontieren“, sagte Tuchel, der das Spiel mit den traumatischen Erlebnissen sogar mitspielt. Die ganz große Dramatik erwarte er erst in drei Wochen in Paris, denn „das Hinspiel war ja nie das Problem“. In Dortmund gebe es bei all den Diskussionen über fahrlässige Defensivarbeit und das Offensivpotenzial womöglich „gerade deshalb ein 0:0“.
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