heute in bremen: „Es ist ein Problem der Gesellschaft“
Martin Ehrenberger, 45, ist Kinder- und Jugendpsychotherapeut und arbeitet seit zwei Jahren bei „Neue Wege“.
Interview Alina Götz
taz: Herr Ehrenberger, Sie beraten Opfer und Täter häuslicher Gewalt. Ist die Mehrheit der Opfer weiblich?
Martin Ehrenberger: Laut Bundeskriminalamt sind gut viermal mehr Frauen als Männer von Beziehungsgewalt betroffen. Hier erleben wir das ähnlich. Betrachtet man die Zahlen psychischer Gewalt, sind die Anteile von Männern und Frauen ungefähr gleich verteilt. Vor allem bei körperlicher Gewalt sind die Täter aber überwiegend Männer.
Warum ist das so?
Gewalt kann man nur ausüben, wenn man Macht über andere hat. Und hier sind Frauen nach wie vor benachteiligt. Sei es körperlich, oder auch ökonomisch. Vor allem wenn sie in der Mutterrolle sind, sind Frauen den Männern oft unterlegen und schlechter aufgestellt. Insofern wehren wir uns dagegen, dass dies ein biologisch bedingtes Problem ist – es ist vielmehr ein gesellschaftliches.
Trotzdem muss dieses Missverhältnis ja aufgezeigt werden!
Ja, auf jeden Fall. Ich will nur sagen, dass es einen Unterschied macht, ob man das Thema als Frauenthema oder Gesellschaftsthema aufgreift. Wer ist denn in Bremen politisch dafür zuständig? Die Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau? Dabei wäre es beim Innen-, Sozial oder Justizressort womöglich besser angesiedelt.
Wo wünschen Sie sich noch strukturelle Veränderungen von der Politik?
Tanzdemo „One Billion Rising“ gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, 16.30 Uhr, Domshof
Im Tagesgeschäft haben wir Probleme, an Betroffene heranzukommen. Dabei haben wir bereits im Januar 2015 von der städtischen Sozialdeputation die Beratung bei Beziehungsgewalt übertragen bekommen. Aber die Polizei, die im Jahr zu etwa 2.000 Einsätzen bei häuslicher Gewalt gerufen wird, kann uns die Daten gar nicht ohne Weiteres geben. So erreichen wir auf diesem Wege aktuell lediglich 30 bis 50 dieser Personen. Das ist schlecht konstruiert und total frustrierend. Da wäre eine Änderung des Polizeigesetzes sinnvoll.
Müssen Sie dann abwarten, bis die Menschen zu Ihnen kommen?
Ja. So können wir unserem Auftrag als Interventionsstelle jedenfalls nicht gerecht werden. Und was noch problematisch ist: Die Bürgerschaft hat auch eine Beratungsstelle für Kinder beschlossen, das stockt nun aber. Die Zuständigkeiten haben gewechselt, es bleibt undurchsichtig, wer verantwortlich ist. Und wir, die Leute aus der Praxis, die jahrelang diese Arbeit machen, werden zu wenig einbezogen.
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