: Kein Geld für Menschen ohne Geld
Die Schuldnerberatung der Inneren Mission gibt auf: Zu schlecht würden die Beratungen refinanziert. Besonders die präventive Schuldenberatung ist für Träger ein Minusgeschäft
VonSimone Schnase
Bremen wird immer ärmer: Der Anteil der überschuldeten Menschen im Land ist im vergangenen Jahr noch weiter angestiegen, so das Ergebnis des „Schuldenatlas“, den die Wirtschaftsauskunftei Creditreform jedes Jahr herausgibt. Trotzdem schließt nun nach über 25 Jahren die Schuldnerberatungsstelle der Inneren Mission: Laut eigenen Angaben werden die Kosten für die Beratungsstelle nicht ausreichend refinanziert.
Knapp 80.000 Menschen im Land Bremen können mit ihren Einnahmen ihre monatlichen Gesamtausgaben nicht mehr decken. Das entspricht einer Überschuldungsquote von 13,97 Prozent und, wie in jedem Jahr, dem traurigen letzten Platz im bundesweiten „Schuldenatlas.“ Noch trauriger: Während in Sachsen-Anhalt und Berlin, wo die Überschuldungsquote am zweit- und dritthöchsten in Deutschland liegt, die Anzahl der überschuldeten Menschen sank, ist die Quote in Bremen im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht angestiegen.
Das bedeutet viel Arbeit für die Schuldnerberatungsstellen. Finanziert werden die für Hartz-IV- oder SozialhilfeempfängerInnen in Bremen durch den Fachdienst Soziales im Amt für Soziale Dienste – und zwar pro Kopf. Dabei sind die kalkulierten Gesamtkosten einer Beratung unter anderem abhängig von der Höhe der Schulden und der Anzahl der Gläubiger.
Die „leistungsgerechten Pauschalentgelte“ werden, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde, „regelmäßig angepasst“. Auch die Vereinbarungen für 2020 seien „unterschriftsreif“. Allerdings scheinen sie für den bei der Diakonie angesiedelten Verein für Innere Mission (IM) zu niedrig zu sein: Er hat jetzt seine Schuldnerberatungsstelle geschlossen.
Die konkreten Gründe dafür seien, so teilt es IM-Sprecherin Anke Mirsch auf Anfrage der taz mit, „über Jahre anhaltende Kosten, die nicht refinanziert wurden und zu Ungunsten der Inneren Mission gingen.“ Trotz langjähriger Bemühungen und Gespräche mit den Verantwortlichen sehe der Verein „auch für die Zukunft keine Möglichkeit, eine kostendeckende Finanzierung seiner Schuldnerberatungsstelle anzubieten.“
Die sei gut frequentiert und angenommen worden, aber insbesondere die steigenden Personal- und Verwaltungskosten hätten nicht mehr gedeckt werden können. Die Entscheidung, die Beratungsstelle zu schließen, sei überdies „auch angesichts einer hohen Konkurrenz gegen das Angebot der eigenen Schuldnerberatung“ ausgefallen.
„Hohe Konkurrenz“ – angesichts einer wachsenden Zahl überschuldeter Menschen in Bremen? „Die Zahl der Beratungsfälle geht zurück“, sagt Bernd Schneider. Was paradox klingt, könnte für ihn die Ursache in dem neuen Privatinsolvenzverfahren haben. Das dauert in Deutschland bisher sechs Jahre. Die EU hat diese Laufzeit allerdings auf drei Jahre begrenzt – spätestens Mitte 2022 gilt diese Regelung auch in Deutschland. „Das könnte VerbraucherInnen dazu bewegen, das ganze Verfahren erst später anzufangen“, sagt Schneider.
Für Schuldnerberater Michael M. (Name ist der Redaktion bekannt) ist das eine „steile These“. Kaum jemand wisse schließlich von der EU-Regelung, „und selbst die Menschen, die davon wissen und zu uns kommen, wollen nicht bis 2022 warten. Die wollen sofort, dass etwas passiert“. Dass die Zahl der Beratungsfälle zurückgehe, liege vielmehr daran, dass die Jobcenter immer weniger Beratungen bewilligten: „Mein Eindruck ist, dass es noch weniger sind seit dem Urteil des Verfassungsgerichtes, das harte Sanktionen gegen Leistungsempfänger verbietet – das Geld wird nun an anderer Stelle eingespart.“
Die Pauschalen, die das Amt für diese Menschen zahle, seien durchaus hoch genug, allerdings auch notwendig zur „Querfinanzierung“ der sogenannten präventiven Schuldenberatung. Dabei handelt es sich um die Beratung für Menschen, die berufstätig sind oder ALG 1 erhalten. Bremen finanziert auch diese Beratungen, „aber sie werden viel, viel schlechter refinanziert“.
Das bestätigt Michael Bornmann vom Verein Solidarische Hilfe. Es sei gut, dass die präventive Schuldenberatung in Bremen überhaupt gefördert werde, das gebe es nicht in jedem Bundesland, „aber man muss als Beratungsstelle schon ganz schön strampeln“.
Zur schlechten Vergütung der präventiven Beratung kämen zahlreiche Fälle hinzu, für die es gar kein Geld gebe: „Erstberatungen, aus denen kein Fall wird, Kurzberatungen oder die Einrichtungen eines pfändungsfreien Kontos – das sind Dinge, für die wir überhaupt nichts bekommen.“
Dazu kommt: Alleinerziehende, Schwangere oder Krankgeschriebene, also jene Menschen, die beim Jobcenter als „dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehend“ gelten oder auch Studierende ohne Einkommen, erhalten keine Bewilligung für eine Beratung: „Die müssen wir umsonst beraten oder sie wieder nach Hause schicken“, sagt Bornmann.
Zu wenig Nachfrage gebe es jedenfalls nicht. „Dass es zu viele Schuldnerberatungsstellen gibt, stimmt ganz sicher nicht.“ Wenn eine Beratungsstelle schließen müsse, dann hänge das eher mit der individuellen Struktur dieser Einrichtung zusammen.
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