Protest gegen Racial Profiling: Lauter Pappnasen
Weil ein Mann einen Polizisten in Hamburg vermeintlich beleidigt hatte, stand er vor Gericht. In zweiter Instanz wurde das Verfahren eingestellt.
Hamburg taz | Mit langen Nasen aus Pappe betraten rund zehn Besucher*innen den Gerichtssaal. Sie trugen sie auch noch, als die Verhandlung schon begonnen hatte. Mit dem Begriff Pappnase haben sie offenbar kein Problem. Anders als ein Polizist, der von einem Anwohner der Hamburger Hafenstraße so genannt wurde und ihn deshalb wegen Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angezeigt hatte.
Am Montag stand Janosch V., der eigentlich anders heißt, deshalb vor Gericht. Das Amtsgericht hatte ihn bereits zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt. Dagegen legte zuerst die Staatsanwaltschaft Berufung ein, dann auch der Beschuldigte.
Hintergrund des Verfahrens sind die Kontrollen der Task Force Drogen. Weil der Bereich der Hafenstraße als gefährlicher Ort eingestuft wurde, darf die Polizei Menschen verdachtsunabhängig kontrollieren. Schon lange kritisieren unter anderem Anwohner*innen das Racial Profiling, welches hauptsächlich Schwarze Menschen trifft. Dies kritisierte auch Janosch V. in seiner im Prozess verlesenen Erklärung.
An dem vermeintlichen Tatabend im September 2018 habe die Polizei stundenlang in der Straße patrouilliert, Menschen hätten sich nicht getraut, den Hinterhof eines Hauses zu verlassen. V. und andere haben den Polizist*innen gegenüber immer wieder ihren Unmut darüber geäußert und ihnen vorgeworfen, dass es sich um eine unrechtmäßige rassistische Maßnahme handle. Als ein Polizist V. aufforderte, nicht so laut zu schreien, soll dieser eben „Pappnase“ gesagt haben. Die Äußerung räumte V. vor Gericht ein, den Widerstand nicht. Aus Sicht des Verteidigers Lino Peters ist „Pappnase“ keine strafbare Beleidigung.
„Institutioneller Rassismus, was soll das eigentlich sein?“
„Sehr kränkend und beleidigend“ sei es für ihn gewesen so genannt zu werden, sagte der Polizist vor Gericht. Weil V. seine Personalien nicht angeben wollte und immer mehr Menschen dazu kamen, habe er Verstärkung angefordert. V. habe aggressiv gewirkt, weshalb er von mehreren Beamten zu Boden gebracht und gefesselt wurde. Und weil er dabei seine Arme unter seinem Körper gehalten und seine Muskeln angespannt haben soll, wurde ein Widerstand daraus.
Das Vorgehen der Festnahme wurde von der Richterin immer wieder hinterfragt. Warum V. nicht einfach hätte abgeführt werden können und ob er selbst beruhigend auf die Situation eingewirkt habe, wollte sie von dem Polizisten wissen. Ein anderer Polizist hatte in seinem Bericht geschrieben, der Beschuldigte habe gesagt, alle sollten ruhig bleiben, es sei doch nichts passiert.
Auf die Fragen reagierte der Polizist mit fortlaufender Vernehmung zunehmend genervt. Bei Fragen des Verteidigers Lino Peters wandte er sich immer wieder an die Richterin, ob er antworten müsse. Er musste. Und so antwortete er auf Peters’ Frage, ob er sich bei der Polizei mal mit institutionellem Rassismus auseinandergesetzt habe: „Institutioneller Rassismus, was soll das eigentlich sein?“ Das sei ein weit gefasster Begriff, sicher habe er sich mal damit beschäftigt.
Bevor die Vernehmung des Polizisten nach einer Pause fortgesetzt und auch weitere Beamte als Zeugen vernommen werden konnten, wurde das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen die Zahlung von 600 Euro eingestellt. Verurteilt ist V. damit nicht. Er erklärte, dass er sich wünsche, dass es weiterhin eine Auseinandersetzung über Rassismus gebe und diese respektvoll stattfindet.
„Respektlosigkeit beginnt in diesem Fall mit der Art der polizeilichen Aufträge in der Hafenstraße“, sagte Peters nach Ende des Prozesses.
Diese wiederum könnten eine weitere Dimension erreicht haben, wenn man Plakaten glaubt, die in der vergangenen Woche auftauchten. Auf denen wird darauf hingewiesen, dass die Polizei für ihre Überwachungsmaßnahmen in der Bernhard-Nocht-Straße extra eine Wohnung angemietet habe. Fragen der taz dazu wollte die Polizei „aus grundsätzlichen Erwägungen“ nicht beantworten.
Leser*innenkommentare
Ruediger
Wenn ich mal in dieser Gegend flaniere, werde ich ausnahmslos von Menschen dunkler Hautfarbe und fast ausnahmslos von allen Menschen dunkler Hautfarbe angesprochen, sehr mutmaßlich um mir Drogen oder so etwas anzubieten. Ich habe damit kein Problem, ich kaufe da nichts, aber irgendwie müssen die ja auch ihren Job machen und irgendwo muss es das Zeug ja geben. Aber so lange es illegal ist, kann die Polizei auch kontrollieren, ob das verkauft wird, und das man das in einem so eindeutigen Fall nach Hautfarbe macht, finde ich eher naheliegend als rassistisch. Übrigens würden diese Menschen ihren Lebensunterhalt sehr schnell verlieren, wenn man Drogenhandel legalisieren würde, ohne ihnen eine andere Perspektive zu geben.
AlexA
Erstaunlich. Selbst der Mopo ist es gelungen, hinter den Plakaten eine Guerilla-Aktion von anonymen Spaßvögeln zu erkennen. Es sind übrigens nicht nur "unter anderem Anwohner*innen" ,die hinter der Kontrolle der gruppenweise auftretenden Dealer Rassismus vermuten, es sind umgekehrt auch "unter anderem Anwohner*innen", die von der Privatisierung öffentlichen Raums durch offensiv auftretende Dealer genervt sind und die der Polizei dankbar sind, dass sie gelegentlich mal symbolisch an bestehende Verbote erinnert. Aber man kann das eigentliche Problem natürlich auch bei der Polizei sehen - zumal als Pappnase.
amigo
Racial Profiling: Voraus eilender, richtig deutscher Kadavergehorsam und Speichelleckertum vor der AfD und ähnlich gesonnenen!