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Album „Modus Vivendi“ von 070 ShakeSo dringlich, so desinteressiert

Die Musikerin Danielle Balbuena betreibt mit ihrem Projekt 070 Shake die Transformation von Rap zu Pop. Ihr Debütalbum hat Rotz und Attitude.

Hebt Danielle Balbuena alias 070 Shake etwa ab? Nein, sie sitzt ganz real Foto: D. Regan/Universal

Danielle Balbuena hat mal ein Album von HipHop-Superstar Kanye West gerettet und für die Reputation ihrer Crew 070 ohnehin ganz allein gesorgt. Jetzt erscheint mit „Modus Vivendi“ ihr Debütalbum, veröffentlicht beim – Überraschung – Label von Kanye West. Jedoch ihr Sound macht Hoffnung darauf, dass sich die aktuelle US-Rapgeneration nicht komplett im Rausch und im Eskapismus verloren hat und nur noch per Meme kommuniziert.

Die 22-Jährige ist definitiv kein Meme, auch kein Internet-Hype im klassischen Sinne, kein One-Hit-Wonder. Sie ist schlicht und einfach eine Künstlerin, die die Transformation von Rap zum Pop vorantreibt. Im Frühjahr 2016 war noch nicht abzusehen, wie schnell Bal­buena, die sich als Sängerin und Rapperin 070 Shake nennt, zu einer prägenden Stimme des US-Rap werden würde. Damals erschien ein Video mit dem Titel „Freestyle“. 070 Shake und ihre Freund*innen hingen rum auf der Tribüne eines Highschool-Stadions im ländlichen New Jersey – dafür steht die Ziffernfolge 070.

Fast alle Zuschauer:innen auf der Tribüne sind männlich. Aber dann beginnt dieser sedierte Beat, und eine sehr kleine Frau mit Brille, Gesichtstattoo und Batikhoodie beginnt zu singen. „Shark this, shark that / Never gon’ scare me / Heart this, heart that / Never gon’ tear me“. Wenn Shake sprechsingt, tönt aus ihrer Stimme Dringlichkeit, so dass völlig klar wird: Diese Künstlerin wird sich Gehör verschaffen.

Die anderen Rapper im Clip sind wieder in der Versenkung verschwunden. 070 Shake ist die Einzige, die schließlich bei Kanye Wests Label G.O.O.D Music unter Vertrag kommt, bald mit ihm Musik macht und sein 2018er-Album „Ye“ mit ihren Beiträgen aufwertet. Shake schaffte auf seinem „Ghost Town“ in einer kurzen Bridge zu vermitteln, was Kanye auf dem Album nicht vermitteln konnte: Gefühl, glaubhaft spürbare Emotion.

Das Album

070 Shake: „Modus Vivendi“ (G.O.O.D. Music/Universal); Live: 22. 1., Yuca, Köln, 27. 1., BiNuu, Berlin

Lang gezogene Vokale, eine düstere Stimme, die kräftig wirkt, Schmerz und Coolness innerhalb weniger Sekunden vermittelt: Ihr Geheimnis, Shake wirkt beim Singen scheinbar desinteressiert, auch wenn sie prägnante Zeilen intoniert. Sie schafft es, durch ihr Charisma in der Musik Bedeutung zu erzeugen, und wenn ihre Texte noch so banal wirken.

Direktheit der Musik

„Modus Vivendi“ ist nun die Transformation von ihr als Raptalent, das mit seiner Posse post, hin zur Allround-Künstlerin, die Schnappschüsse aus verschiedenen Phasen des Pop neu zusammensetzt und auf Albumlänge entwickelt. Das, was vom Rap geblieben ist, sind Rotz und Attitude, eine Direktheit der Musik, die im Mainstream schon nicht mehr vorhanden zu sein schien.

Rappen als Signatur fehlt, Shake singt. Ihre Songs zehren von Trapelementen, R&B und Prog-Rockeinsprengseln, von kaputten Sounds im Hintergrund, die im richtigen Moment eingestreut werden. Shake spielt mit dieser Sperrigkeit, und sie spielt, wie auf „Guilty Conscience“, gleichzeitig mit der Cheesyness von 80er-Jahre Synth-Pop-Schmonzetten. Der Song könnte auch aus der Jukebox in einer Eckkneipe tönen, sich einschleichen in diesen irgendwie reaktionären Kosmos, um die Lebenswelt einer jungen, homosexuellen Künstlerin, die mit mentalen Problemen zu kämpfen hat, in diesen Ort hineinzutragen.

070 Shakes Sound auf „Modus Vivendi“ macht die Musik funktionstüchtig in den verschiedensten Kontexten. Die Texte machen den Sound im queeren Safespace erfahrbar. Mit ihrer Haltung repräsentiert 070 Shake HipHop. Musikalisch verlässt sie hingegen den Rap­kosmos und bringt eine Dringlichkeit zurück, die vielen Rapper*innen von beruhigenden Drogen und von der Ironisierung ihrer Musik durch Memes oder Web-Challenges geraubt wurde. Shakes Album bringt HipHop zum Aufwachen nach dem Koma.

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