Antisemitismus in der Labour-Partei: Schaulaufen für Corbyns Nachfolge
Bei der Labour-Partei hat der Wahlkampf um die Nachfolge von Jeremy Corbyn begonnen. Das Thema Antisemitismus erregt die Gemüter am meisten.
Für die Labour-Partei geht es um die Rückkehr an die Macht. Aber Fahrt nimmt die Debatte erst beim Thema Antisemitismus auf – es geht um die Vorwürfe, die Führung um Corbyn habe antisemitische Umtriebe in der Partei verharmlost und ignoriert, wenn nicht sogar unterstützt.
Im Publikum sind viele eigentlich gekommen, um zu hören, welche Themen jetzt relevant sind und wie Probleme überwunden werden können. Doch wer glaubt, dass etwas anderes Wellen schlägt als Antisemitismus, wird enttäuscht.
Ausgangspunkt ist, dass alle fünf KandidatInnen einen 10-Punkte-Forderkatalog des jüdischen Dachverbandes Jewish Board of Deputies (BOD) mittragen: Antisemitismusvorwürfe müssten von einem unabhängigen Gremium geprüft werden und nicht bloß parteiintern; Labour müsse mit den offiziellen Vertretern der jüdischen Gemeinschaft verhandeln und nicht mit Randgruppen. Außerdem müsse Labour die international anerkannte Definition von Antisemitismus anerkennen.
Die Flugblätter, die vor dem Eingang verteilt werden, zeigen das Ausmaß des Problems. Auf einem wird die Schuld von des Antisemitismus bezichtigten Personen geleugnet. Im Saal erklärt der pensionierte Geografielehrer Norman Lovely aus Wirral, die Sache mit dem Antisemitismus sei „überspitzt“ und hänge „mit der Israellobby“ zusammen.
Lovely tendiert zu Rebecca Long-Bailey als neue Parteichefin – die Kandidatin der linken Basisbewegung „Momentum“. In der Vorstellungsrunde bezeichnet sich die 40-Jährige als „wütende Tochter“ eines Hafenarbeiters. Politisch zeigen sich die KandidatInnen einig, etwa über das letzte Wahlprogramm: gute Ideen, schlecht präsentiert.
Favorit Keir Starmer, bisher Schattenbrexitminister, betont, dass der Verbleib in der EU nun vom Tisch sei. Schattenaußenministerin Emily Thornberry nennt Premierminister Boris Johnson einen kaltschnäuzigen Scharlatan, der zur Rechenschaft gezogen gehöre. Das löst lauten Beifall aus.
„Die Glaubwürdigkeit verwirkt“
Nach einer Dreiviertelstunde kommt die unvermeidliche Frage zum Antisemitismus. Long-Bailey erklärt sich betroffen, dass manche Leute nicht Labour wählten, weil sie die Partei für antisemitisch hielten. Ihre Forderung nach einem verbesserten Beschwerdewesen entspricht ganz der aktuellen Parteilinie.
Da setzt Corbyn-Kritikerin Jess Phillips, die ansonsten wenig engagiert wirkt, zur Attacke an: „Als eine, die im Raum war und sich auf zahlreichen Sitzungen für ein parteiunabhängiges System einsetzte, kann ich mich nicht daran erinnern, dass einige der Leute hier ebenfalls anwesend waren.“ Labour habe „die Glaubwürdigkeit, antisemitische Vorfälle selber regeln zu können, verwirkt“.
Immerhin gibt es dafür etwas Beifall, jedoch weniger als für Emily Thornberry. Sie beginnt mit der Bemerkung, dass Israels Netanjahu-Regierung durchaus kritisiert werden müsse, denn „sie fügt Palästina Schlimmes zu – das ist jedoch nicht die Schuld der Juden!“. Das sei der Punkt, wo Israelkritik in Rassismus abgleite.
Dann wendet sie sich an Phillips direkt und ruft, zu starkem Beifall: „Ich sag dir was, Jes: Ich war immer klar und ich werde es immer sein, denn dies ist für die Labour-Partei unakzeptabel. Es untergräbt unsere Seele.“ Antisemiten gehörten aus der Partei geschmissen, so wie 1937 der Faschist Oswald Mosley.
Lisa Nandy sagt, sie werde nie vergessen, wie jüdische Labour-Abgeordnete verlangten, die internationale Definition des Antisemitismus zu akzeptieren, worauf die Parteiführung antwortete, dass sie Antisemitismus besser definieren könne. „Wir können nicht behaupten, für eine fairere Gesellschaft zu sein, ohne unser eigenes Haus in Ordnung zu bringen, und das beginnt sofort“, mahnt sie.
Schließlich insistiert auch Keir Starmer: „Wer antisemitisch ist, hat kein Recht, in der Partei zu sein. So einfach ist das.“
Kritik vom jüdischen Dachverband
Auch als die AnwärterInnen für den Stellvertreterposten debattieren, kommen Emotionen erst beim Antisemitismus auf. Dawn Butler, Schattenministerin für Gleichberechtigung und Tochter jamaikanischer Eltern, insistiert, dass die Mehrheit der Partei keine Rassisten seien, „aber wir haben ein paar und müssen sie loswerden“.
Dann verkündet sie, dass sie die BOD-Forderungen nicht unterstütze, weil sie erst auf die Ergebnisse der laufenden Untersuchung der britischen Menschenrechtskommission gegen Labour warten wolle. „Ich möchte es nicht übereilen, weil es zu wichtig ist und wir es richtig machen müssen!“, sagt sie.
Damit holt Butler den größten Beifall des Tages. Sie und Mitbewerber Richard Burgon sind die Einzigen, die die BOD-Forderungen zurückweisen.
Am Sonntag kritisiert der jüdische Verband: „Nach viereinhalb Jahren Versagen gegen Antisemitismus denken Richard Burgon und Dawn Butler immer noch, dass sie besser wissen als die jüdische Gemeinschaft, wie man dieses Übel bekämpft. Keine andere Minderheit würde man so behandeln.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuwahlen
Beunruhigende Aussichten
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen