Proteste im Iran: Absagen, Rücktritte, Ausreden
Wieder sind im Iran Tausende auf die Straße gegangen. Neu ist, dass sie Chamenei als „Mörder“ bezeichnen und seinen Rücktritt sie fordern.
Berlin taz | Die regierungskritischen Proteste gegen den Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine und gegen die Vertuschungsversuche der iranischen Führung weiten sich aus. Am Montag gingen erneut Tausende Menschen in der Hauptstadt Teheran und anderen Städten wie Isfahan, Schiras, Maschhad, Tabris, Rascht, Kerman, Sari, Amol auf die Straße. Laut der Nachrichtenagentur Ilna versammelten sich am Montagabend mehr als 3.000 Menschen auf dem Teheraner Asadi-Platz.
Die Polizei und Sicherheitskräfte, die sich zu Beginn der Proteste am Samstag noch zurückgehalten hatten, gehen immer brutaler gegen die Demonstranten vor. Auf Videos sind Schüsse zu hören, auf den Straßen sieht man Blutlachen. Zu sehen sind auch mit Schlagstöcken bewaffnete Sicherheitsbeamte, die auf Demonstranten einschlagen.
Neu ist bei diesen Protesten, dass sie sich direkt gegen die Staatsführung richten – allen voran gegen Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei, den die Demonstranten als „Mörder“ und „Lügner“ bezeichnen und dessen sofortigen Rücktritt sie fordern. Auch „Tod dem Diktator“ rufen sie.
Im ganzen Land vermischt sich Trauer mit Wut: Trauer über den Tod der 176 Passagiere und Wut darüber, belogen und betrogen worden zu sein. Viele klagen darüber, dass die Machthaber das eigene Volk, die Nöte der Menschen, ihre Würde und Gefühle längst nicht mehr wahrnehmen.
Neu im Vergleich zu den landesweiten Demonstrationen von vergangenem November, an denen hauptsächlich Menschen aus schlechter gestellten Schichten der Gesellschaft teilnahmen, ist auch die Teilnahme der Menschen aus der Mittelschicht. Künstler, Schriftsteller, Musiker und Filmemacher haben sich den Protesten angeschlossen.
Einige erklärten, dass sie an den Film-, Literatur- und Musikfestivals, die im Februar in Teheran stattfinden, nicht teilnehmen werden. Der im Iran populäre Sänger Ali Resa Assar veröffentlichte ein Video auf Instagram, in dem er erklärte, er habe sein angekündigtes Konzert abgesagt. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann“, sagte er. Eine Gruppe von Künstlern forderte, dass die Verantwortlichen für den Abschuss am vergangenen Mittwoch vor Gericht gestellt werden.
Rücktritte von Redakteuren
Viele Journalisten entschuldigten sich dafür, dass sie drei Tage lang falsche Informationen verbreitet haben. Einige Redakteure kündigten ihre Zusammenarbeit mit dem staatlichen Fernsehen. Der Verein iranischer Journalisten veröffentlichte eine Erklärung, in der es heißt: „Das Vertrauen zwischen der Presse und der Öffentlichkeit ist schwer beschädigt.“ Es werde lange dauern, es zurückzugewinnen.
In der staatlichen Führung versuchen nun einzelne Organe, sich aus der Verantwortung herauszuziehen. Die Regierung von Präsident Hassan Rohani ließ durch ihren Sprecher Ali Rabiei erklären, sie sei an der Vertuschung nicht beteiligt gewesen. „Kein Mitglied der Regierung, auch nicht der Präsident, war bis Freitagnachmittag darüber informiert, dass das Flugzeug von einer Rakete abgeschossen wurde“, sagte er.
Das Regime versucht, den Ansehensverlust des Staates möglichst gering zu halten. Der Abgeordnete Qasim Sadeqi sagte, man dürfe den Feinden nicht die Gelegenheit geben, aus dem Vorfall Nutzen zu ziehen. Fehler bei den Streitkräften seien nicht ungewöhnlich und gebe es überall auf der Welt. „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Sache aufgebauscht wird.“ Auch Justizchef Ebrahim Raisi sagte: „Wir werden jeden Missbrauch verbieten.“
Angehörige der Opfer berichteten, dass ihnen unter Androhung von Strafe untersagt worden sei, ausländischen Sendern Interviews zu geben oder öffentlich Trauerfeiern für ihre Angehörigen zu veranstalten.
Leser*innenkommentare
Poseidon
Man kann es den Iranern und dem ganzen nahen Osten nur wünschen dass dieses diktatorische und gewalttätige Regime bald ein Ende hat.
Reinhold Schramm
Volkshochschule Stuttgart:
Autor im Gespräch – Michael Lüders
»In seinem neuen Buch „Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt“ beschäftigt sich Michael Lüders, in Zeiten der vor allem in Syrien andauernden Kämpfe und der Präsidentschaft Donald Trumps, mit den Hintergründen eines anderen Konflikts im Orient: Dem gescheiterten Atomabkommen zwischen den USA und dem Iran. Er behandelt die Frage, worum es in diesem Konflikt tatsächlich geht und erklärt die Zusammenhänge. {…}
Höre: www.youtube.com/watch?v=aVZISKNlsuM
Sascha
Ich Glaube dem Iranischem Regime, dass sie von ihren Militärs getäuscht wurden.
Das ist leider das Problem eines aufgeplusterten Militärapparates. Es wird ein Staat im Staat und die (mehr oder weniger) gewählten Vertreter werden misinformiert um eine militärische Agenda durch zu setzen anstatt eine diplomatische die Zerstörung verhindert.
Leider hängt der Staatsapparat am iranischem Militär.