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Film über Jeanne d'Arc als ErwachseneViolett als Herrschaftsfarbe

Rebellin in einer Männerwelt, tragische Figur, Popikone, Heldin. Das alles ist Jeanne d’Arc im Film des französischen Regisseurs Bruno Dumont.

Jeanne d’Arc (Lise Leplat Prudhomme) in ihrem Heerlager Foto: Grandfilm

Ratlosigkeit in den Dünen. Ende Mai 1429: In der Sonne des Frühsommers kniet eine junge Frau auf einem Weg zwischen den Büschen, im Gebet versunken. Vorne links und rechts violette Blüten, hinter der jungen Frau erhebt sich eine kleine Anhöhe. In ihrer Nähe füttert eine ältere Frau ein Schwein.

Bruno Dumonts „Jeanne d’Arc“ beginnt, als sich die junge Frau auf der Höhe ihres Einflusses befindet. Nach einer eingehenden Prüfung hat die französische Krone sie für glaubwürdig befunden, ihr eine Rüstung und eine kleine kämpfende Einheit gestellt; bei der Befreiung der Stadt Orléans aus den Händen der Engländer hat sich die junge Frau bewährt und ihre charismatische Anwesenheit hat die Truppen angespornt. Nun dringt sie auf die Befreiung von Paris, doch der französische König zögert. In der Dünenlandschaft spielen sich Wortduelle ab, in denen sich komplexe Machtkonstellationen abzeichnen.

Dumont hatte 2017 die Kindheit und Jugend Jeanne d’Arcs als Heavy-Metal-Musical verfilmt. Nun zeigt er in einem zweiten Film ihre Erwachsenenjahre. Jugend und Vollendung der Jeanne d'Arc. Jeanne ist als mystische Idealistin unter Realpolitiker gefallen. Inmitten des Taktierens im Hundertjährigen Krieg zwischen Engländern, Franzosen und der katholischen Kirche erlebt Jeanne d’Arc ihre erste bedeutende Niederlage, als sie im September 1429 schließlich die Erlaubnis erhält, auf Paris vorzurücken. Ihr Plan zur Befreiung der Stadt scheitert.

Dumont zeigt Jeanne d’Arc als junge Frau, die sich in ihrer Geradlinigkeit viele Feinde unter den Männern des französischen Heeres und der Politik macht. „Die Menschen sind, wie sie sind. Wir müssen bedenken, was sie sein sollen.“ Während Jeanne idealistisch handelt, erweisen sich die sie umgebenden Männer in den Wirren des Kriegs als morallose Pragmatiker oder gleich als brutale Zyniker.

Jeanne verweigert sich den Ratschlägen, vorsichtiger und mit mehr Nachsicht zu agieren. Kurz darauf trifft die Nachricht ein, dass der König keine weiteren Anläufe, Paris zu befreien, genehmigen wird. Jeanne verweigert das Warten aus politischer Räson. Bei einer Audienz fertigt der König Jeanne mit Phrasen ab. Sie ist aus der Gunst gefallen.

Während der Inquisition wird Jeanne von englischen Soldaten in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg bewacht

Dumonts zweiter Film zum Leben Jeanne d’Arcs unterscheidet sich deutlich von seinem Vorgänger. Die Musik ist auf die Zwiesprachen der göttlichen Stimmen mit Jeanne reduziert. Zu Elektropop legt sich eine weitere Deutungsebene über den Film, die sich bei genauerer Betrachtung auch in anderen Details durch den Film zieht. Dumonts Kunst besteht darin, diese Ebene mit Ambivalenz zu durchweben.

Da sind zum einen die Bilder, deren Symmetrie weniger eine Strenge transportieren als eine spirituelle Qualität; zum anderen durchzieht den Film Violett als zentrale Farbe. Eine Farbe, die in der katholischen Liturgie für Perioden des Übergangs steht, zugleich aber mit dem christlichen Mystizismus verbunden ist.

Die Politik der Farbwahl wird besonders zu Beginn des Inquisitionsprozesses deutlich, der im Einflussbereich des englischen Gegenkönigs in Frankreich gegen Jeanne angestrengt wird. Einer der Prozessbeteiligten nach dem anderen kniet vor einem prunkvollen Altar nieder, in dem Violett als Farbe dominiert. Das Gespräch zwischen den Kirchenmännern vor dem Prozess klingt im Schillern zwischen Lob und Drohung wie ein Austausch unter Mafiosi.

Der Bischof von Beauvais als Vorsitzender des Inquisitionsprozesses fügt sich mit seinem violetten Gewand in den Prunk des Altars ein, scheint Teil der Ausstattung der Kapelle zu sein. Dass Violett sich überdies aus dem Rot und Blau der Uniformen der englischen Soldaten mischen lässt, unterstreicht den Bezug zur Politik von Jeannes Umgebung.

In einer Transformationsphase

Violett fungiert in Dumonts Film als Herrschaftsfarbe eines Machtapparats, der im Spätmittelalter, ohne es zu wissen, in einer Transformationsphase ist. Die kirchenpolitischen Ränkespiele des 15. Jahrhunderts, die sich im Prozess gegen Jeanne d’Arc zeigen, kulminieren zu Ende des Jahrhunderts im Großen Abendländischen Schisma mit diversen Gegenpäpsten und schließlich der Reformation.

Bevor diese politischen Umwälzungen sich vollziehen, ist der Mystizismus, der sich in Jeannes göttlichen Stimmen zeigt, eine der zentralen Bewegungen, in denen sich der Druck nach Veränderung der Kirche, aber auch weltlicher Herrschaftsstrukturen äußert.

Nicht zuletzt ist Violett, als Lila abgetönt, auch die Farbe der zweiten Welle der Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert. Dazu passt, dass Jeanne als Jugendliche, die gezwungen ist, sich im Inquisitionsprozess selbst zu verteidigen, mit erhobenem Kopf dem geballten Herrschaftswissen der alten weißen Männer der katholischen Kirche des Mittelalters gegenübersteht und die Repression der Inquisition zu spüren bekommt.

Dumont ist seit seinem Regiedebüt mit „The Life of Jesus“ 1997 zu einem der interessantesten französischen Regisseure und zum Dauergast der Filmfestspiele von Cannes geworden. Bevor er sich 2017 der Kindheit von Jeanne d’Arc zuwandte, drehte er „Die feine Gesellschaft“; ein Film über zwei sozial gegensätzliche Familien, die in einem kleinen Ort im Norden Frankreichs aufeinandertreffen.

Zwischen den beiden Teilen seines Heiligen-Musicals drehte er die Miniserie „Coincoin and the Extra-Humans“ (Quakquak und die Nichtmenschen), die die Handlung des Films „P’tit Quinquin“ (Kindkind) von 2014 fortführte. Aktuell arbeitet er an seinem nächsten Film „On a Half Clear Morning“ über die Krise einer Journalistin und Kriegsberichterstatterin (Léa Seydoux).

Ohne allzu eindeutige Deutungen

Dumont hat gemeinsam mit Jean Bréhat, Muriel Merlin und Rachid Bouchareb die Produktionsfirma 3B Productions/Tessalit Films gegründet. Bouchareb drehte vor etwa zehn Jahren „Tage des Ruhms“ und „Outside the Law“, zwei Meilensteine für die Erinnerung des Zweiten Weltkriegs und der Dekolonisation im französischen Kino. Ein Projekt, das Bouchareb kurz darauf mit einer 50-teiligen Reihe von Miniporträts von Kämpfenden auf der Seite Frankreichs im Zweiten Weltkrieg fortsetzte.

Die Verbindung zu Bouchareb und die Produktionsfirma verweisen auf eine weitere Fährte, die sich als Deutungsangebot im Film findet. Während des Inquisitionsprozesses wird Jeanne von englischen Soldaten in einem nordfranzösischen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg bewacht. Dumont hat in allen seiner letzten Filme eine Vorliebe für nordfranzösische Landschaften gezeigt.

Der Film

„Jeanne d’Arc“. Regie: Bruno Dumont. Mit Lise Leplat Prudhomme, Jean-­François Causeret u. a. Frankreich 2019, 138 Minuten

Das mag einerseits damit zu tun haben, dass der Regisseur in der kleinen Stadt Bailleul ganz im Norden Frankreichs geboren ist; im Zusammenspiel mit Jeanne d’Arc, die als Referenzfigur für französische Politik vor allem seit dem 19. Jahrhundert am Bedeutung gewonnen hat, ist in den Bunkern des Zweiten Weltkriegs jedoch auch eine Anspielung auf weitere Gründungsmythen erkennbar.

Die große Kunst von Dumont in seinen Jeanne-d’Arc-Filmen liegt darin, die Figur in einer populären Form für das 21. Jahrhundert relevant zu halten, ohne ihr allzu eindeutige Deutungen überzustülpen. Jeanne d’Arc ist bei Dumont Rebellin, tragische Figur, junge Frau in einer Männerwelt, Nationalheldin und Popikone in fließenden Übergängen. Der Nürnberger Grandfilm-Verleih gibt anlässlich des Kinostarts von „Jeanne d’Arc“ Gelegenheit, sich auch den Vorgänger „Jeannette“ in deutschen Kinos anzusehen. Auch den sollte man sich nicht entgehen lassen.

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