Kommentar von Kaija Kutter über das Urteil im Fall der Friesenhof-Heime: Juristisch gewonnen, moralisch verloren
Nun ist es raus. Die Schließung von zwei Mädchen-Camps der Friesenhof-Heimfirma im Jahr 2015 war „rechtswidrig“. Dieses Urteil gab das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein am Montag bekannt. Begründung: Etwaige Missstände hätten mit der Trägerin „aufgearbeitet und beseitigt“ werden können, die Schließung wäre nicht nötig gewesen. Denn die der Konzeption zugrunde gelegte „konfrontative Pädagogik“ sei der Heimaufsicht bekannt gewesen.
Das Urteil könnte dazu führen, dass die Betreiberin zivil auf Schadensersatz klagt. Sollte das passieren, wäre das Geld zu verschmerzen. Denn das Urteil bedeutet nicht, dass die von der damaligen SPD-Sozialministerin Kristin Alheit verantwortete Schließung fachlich falsch war. Alheit handelte damals richtig. Es galt zu verhindern, dass Kinder Schaden nehmen.
Die Schließung und der Friesenhof-Untersuchungsausschuss haben Methoden wie Punktesysteme und Phasenmodell, die die Rechte der Kinder extrem einschränken, in die Diskussion gebracht. Sogar der Deutsche Ethikrat hat inzwischen solche Methoden geächtet, da sie zu „Ohnmachtsverfahrungen“ und „Anpassung aus Resignation“ führen. Und auch die einstigen Protagonisten der „konfrontativen Pädagogik“ sagen, dass diese Methode, die für einen bewusst rigiden Umgang steht, sich nicht für den Alltag in Heimen eignet.
Um dieses Urteil einzuordnen, muss man Paragraf 45 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes kennen. Der sieht im Umgang mit Heimträgern eine Art Kuschelpädagogik vor. Die Heimaufsicht gilt bisher als juristisch schwach und eher an Beratung orientiert.
Die Hürde, ab der eine Erlaubnis wegen Kindeswohlgefährdung entzogen werden darf, richtet sich nach der juristischen Schwelle, ab der Kinder aus Familien genommen werden. Doch in Heimen arbeiten Profis. Hier sollen Kinder es gerade besser haben, sprich: Es müsste als Kriterium das Recht auf gewaltfreie Erziehung und in Würde und ohne seelische Verletzung gelten.
Schon nach Schließung der ebenfalls vom Betreiber angefochtenen Haasenburg-Heime 2013 wurde vom Land Brandenburg eine Reform des Paragrafen 45 angemahnt. Das wurde verschleppt. 2015 nach Schließung des Friesenhofs starteten Jugendminister eine neue Initiative. Unter anderem sollte die Heimaufsicht die Betriebserlaubnis entziehen können, wenn sich ein Träger als nicht zuverlässig erweist. Doch diese Reform war Teil eines größeren Pakets, das scheiterte.
Das Jugendministerium in Kiel will die Urteilsbegründung zum Friesenhof „genau prüfen“, so Sprecher Christian Kohl. „Das Urteil verdeutlicht den Bedarf für eine Reform des Paragraf 45.“ Jugendminister Heiner Garg (FDP) startete gerade erst eine dritte Gesetzesinitiative. Damit wolle man Kinder und Jugendliche „bestmöglich schützen“, sagte er. Es gebe hier „kein Erkenntnis-, wohl aber ein Handlungsdefizit“. Da hat er recht. Die Lehre aus diesem Urteil darf nicht sein, dass Landesjugendämter künftig gar nichts tun. Das Land Brandenburg hat immerhin 2017 eine „Verwaltungsvorschrift“ erlassen, an Hand derer alle Heim-Konzepte überprüft werden sollen – zumindest auf dem Papier.
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