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Fotoausstellung in BerlinVerlust und Versehrung

Johanna Diehls Einzelausstellung „In den Falten das Eigentliche“ im Haus am Waldsee. Oder: die falschen Bilder der westdeutschen Nachkriegszeit.

Johanna Diehl: In den Falten das Eigentliche, Installationsansicht, Haus am Waldsee, 2019 Foto: Roman März/Haus am Waldsee

Die Fotografin Johanna Diehl stöberte erst lange an den Rändern Europas herum. Sie brachte faszinierende Aufnahmen von verlassenen und umgewidmeten Synagogen in der Ukraine und von in Moscheen verwandelten Kirchen aus Zypern mit. Sie entdeckte Ruinen der Architekturavantgarde in Südfrankreich und verlassene Stätten des Landwirtschaftentwicklungsprogramms unter Benito Mussolini in Süditalien. Jetzt spürt sie in der Ausstellung „In den Falten das Eigentliche“ dem Verschwiegenen und Verdrucksten der westdeutschen Nachkriegszeit nach.

Der Titel geht zurück auf Walter Benjamin. Der Philosoph sprach von Erinnerungen die aufklappen wie ein Fächer, wobei in den Falten das Eigentliche, längst Vergessene wieder zum Vorschein komme. Statt eines aufzuklappenden Geschichtsfächers erbte Johanna Diehl jede Menge Notizbücher ihrer Großmutter. Von 1936 bis 2009 vermerkte die Dame darin die Termine ihres Lebens. Es fanden sich darin also sachliche Notizen, Emotionales kam nicht zur Sprache, so die Enkelin. Auf der Suche nach den unauffindbaren Gefühlen befragte auch der Sohn seine Mutter sehr eindringlich.

Diesen Brief stellt die Enkelin jetzt in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung „In den Falten das Eigentliche“ im Haus am Waldsee aus. Der Vater, 1942 geboren und 1983 durch Selbstmord aus dem Leben geschieden, fragte zwei Jahre vor seinem Tod unter anderem: „Wann betreute mich welches Kindermädchen? Wie zärtlich warst du mit welchem Sohn? Was empfandest du bei wie vielen Bombenangriffen nach meiner Geburt? Wann wurde von wem die Hundepeitsche benutzt?“ Es sind Fragen, die auf seelische Nöte schließen lassen.

Die Kinderbilder fehlen

Diehl stellt auch Digitalprints der Urlaubsdias ihrer Großeltern aus. Auf denen sieht man die Großmutter aus einem imposanten Wigwam in Kanada treten und auf einer Sonnenliege gleich neben einer Palme sitzen. Das Auge trifft auch auf ein imposantes Kreuzfahrtschiff, das von einem Gewimmel kleinerer Boote umgeben ist. Was man auf den Fotos so gut wie nie sieht, auch nicht auf denen, die Diehl nicht in die Ausstellung brachte, sind die Kinder der Reisenden.

Die Ausstellung

"In den Falten das Eigentliche" von Johanna Diehl läuft noch bis zum 23. Februar. Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30 in 14163 Berlin. Der Katalog mit Texten von Katja Blomberg und Annette Tietenberg erscheint am 15. Januar in der Buchhandlung Walther König und kostet 24,- Euro

Historisch ist dies nachvollziehbar. Reisen traten in jenen Jahren die Erwachsenen meist ohne Sprösslinge an. Und die hatten auch noch nicht ihre eigenen Facebook- und Instagram-Accounts, auf denen sie ihre Befindlichkeiten visuell kundtun konnten. Diehl deutet diese Absenz des Vaters auf den Urlaubsfotos als Lücke. Und die will sie sichtbar machen. Mit künstlerischen Mitteln natürlich.

Zwischen die Botschaften all des Seefahrer- und Sonnenbaderglücks setzt Diehl an zwei Fotowänden Aufnahmen von Objekten, die an Prothesen und Korsette erinnern, an Körperzähmungs- und Mängelkompensationsinstrumente also. Es handelt sich dabei aber nicht direkt um medizinische Apparaturen, sondern um Requisiten des Choreografen Johann Kresnik.

Die von den Eltern verlassenen Kinder

„Er gab sie in der Inszenierung `Hänsel und Gretel` an der Volksbühne den Tänzern, um deren Bewegungen einzuschränken“, erzählt Diehl der taz. Für sie sind diese Ausstattungsstücke Symbole von Verletzung, Versehrung und Verdrängung. „Kresnik hat ‚Hänsel und Gretel‘ in seiner Arbeit auch als ausgesetzte, als von ihren Eltern verlassene Kinder gesehen“, meint Diehl.

Der Dialog der historischen Fotos mit den inszenierten Kostümteilen ist fruchtbar. Die Spur von Verlust und Versehrung schreibt sich in die auf den ersten Blick unschuldig wirkenden Urlaubsfotos ein.

Diehl verfolgt in dieser Ausstellung aber auch noch andere Wege der Sichtbarmachung einer Zeit. Auf einer weiteren Fotowand konfrontiert sie Aufnahmen der Wohnräume ihrer Großeltern mit Aufnahmen von Klangerzeugern elektronischer Musik aus jener Zeit. Musikavantgarde versus Einrichtungsbiedermeier – auch dieser Kontrast zeichnete die 1950er und 1960er Jahre aus.

Die Sitzgruppe mit und ohne Hitlerporträt

Eine Sitzgruppe aus Esstisch und Stühlen aus jener Zeit fand Diehl im Familienalbum auch auf einem Foto aus der NS-Zeit wieder. Neben dem Esstisch prangte da noch ein Hitlerporträt – verdrängte Kontinuitäten, die erst mit der Konfrontation der verschiedenen Fotos ins Auge fallen.

Diehl verknüpft in diesem Zusammenhang auf eine besondere Art auch ihre beiden Herkunftsfamilien. Dem Schweigen – und dem Selbstmord – in der väterlichen Linie steht die eher gestaltende mütterliche Linie gegenüber. Bruder ihres Großvaters mütterlicherseits war der documenta-Gründer Arnold Bode.

Als Belastung oder Erschwernis empfindet die Künstlerin dieses Erbe nicht. Von einem von Bode geprägten Begriff, dem des visuellen Begreifens, lässt sich die 42-jährige Künstlerin bei dieser Ausstellung auch leiten. Die Anordnung von Bildern zur Erkenntnisgewinnung ist zentraler Aspekt von „In den Falten das Eigentliche“.

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