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Einjähriges Bestehen der „Gilets Jaunes“Tränengas statt Torte

Vor einem Jahr gingen die „Gelbwesten“ in Frankreich das erste Mal auf die Straße. Bei einer Geburtstagsdemo kommt es erneut zu Gewalt.

Eine „Gelbweste“ wird bei einer Demonstration in Paris einen Tränengasbehälter los Foto: Kamil Zihnioglu/AP/dpa

Paris taz | Die Barrikaden brennen schon Stunden vor der Demonstration, die um 14 Uhr beginnen sollte. Vor einem Einkaufszentrum auf dem Pariser Place d'Italie kam es am Samstag zu ersten heftigen Zusammenstößen. „On est là, on est làaaa„ (Wir sind noch immer da!) sangen trotzig einige „Gelbwesten“, andere stimmten ein „Happy birthday“ für die nun ein Jahr alte Bewegung an.

Wenig später attackierten schwarz gekleidete und vermummte Personen eine Bankfiliale. Bevor die zahlreich anwesende Polizei einschreiten konnte, waren die Fassade mit Pflastersteinen zertrümmert. An mehreren Stellen brannten Mülleimer wie Signalfeuer, mindestens drei Autos wurden umgestürzt, auch die Glasscheiben von Bushaltestellen fielen der mutwilligen Zerstörung zum Opfer. In den Nachrichtensendern wurde konstatiert, „wie erwartet“ seien da „schwarze Blöcke“ am Werk.

Zu ihrer Geburtstagsfeier konnten die „Gilets jaunes“, die Demonstrierenden mit ihren gelben Warnwesten als Emblem, von Seiten der Staatsführung gewiss nicht mit einer Torte rechnen. Und statt Kerzen auf einem Kuchen brannten in Paris am Samstag erneut Barrikaden.

Es waren nicht Tränen der Rührung, die auf der Place d'Italie im Südosten der französischen Hauptstadt flossen; es war die unvermeidliche Reaktion auf einen massiven Beschuss mit Reizgasgranaten durch die Polizei. Etwas später kamen auch Wasserwerfer der Polizei zum Einsatz, als die ursprünglich von den Behörden bewilligte Kundgebung für illegal erklärt und die Auflösung der Ansammlung angeordnet wurde.

Kurz, in Paris, aber auch in mehreren anderen Städten wie Toulouse, Nantes, Marseille, widerlegten Tausende von aufgebrachten und mobilisierten „Geldwesten“ mit ihren Kundgebungen die seit Wochen wiederholte Behauptung der Medien, wonach die Bewegung nicht nur abgeflaut, sondern am Ende sei. Dennoch wurde auch sichtbar, dass diese bisher wenig strukturierte und heterogene Bewegung weniger Leute auf die Straße bringt als vor einem Jahr und in den ersten Monaten ihrer Existenz.

Die Demonstration frisst ihre Kinder

Am 17. November 2018 hatten rund 300.000 Menschen an Dutzenden oder Hunderten von Orten Kreisel, Kreuzungen oder Zufahrten zu Autobahnen und Supermärkten besetzt. Dort harrten sie zum Teil wochenlang aus, um ihren Forderungen nach mehr Kaufkraft, besseren Infrastrukturen und Volksrechten Nachdruck zu verleihen. Politologen und Sicherheitsexperten fragten sich, wer sich wohl hinter dieser Revolte eines scheinbar neuen Typs verberge, ohne aber je „Drahtzieher“ benennen zu können.

Wer immer als SprecherIn auftrat, wurde umgekehrt sogleich von der Basis für illegitim erklärt und häufig sogar bedroht. Wortführerinnen wie Ingrid Levavasseur oder Jacline Mouraud gingen deswegen rasch auf Distanz zur Bewegung, die sie mitinitiiert hatten.

Andere wie Priscillia Ludosky, Eric Drouet oder Jérôme Rodrigues (er hat selber ein Auge durch eine auf ihn gefeuerte Polizeigranate verloren) bleiben trotz aller Einschüchterungsversuche weiterhin engagiert, ohne sich deswegen aber als Chefs aufspielen zu wollen oder auch nur im Namen der Bewegung sprechen zu können.

Die Gewalt der Polizei

Die Kundgebungen am Samstag belegten aber auch, dass die Staatsführung, die zu Jahresbeginn einige Zugeständnisse an die Kaufkraft der Haushalte mit geringen Einkommen gemacht hat, auch weiterhin vor allem mit Repression antwortet. Im Verlauf des ersten Jahres der „Gilets jaunes“ wurden mehr als 10.000 Personen inhaftiert, 3.100 von ihnen sind – meist im Schnellverfahren – strafrechtlich verurteilt worden.

Das Kollektiv „Désarmons-les!“, das die Opfer von Polizeigewalt registriert, spricht von 2.000 bis 3.000 Verletzten, davon haben 24 ein Auge und fünf eine Hand verloren. Vermutlich durch eine „verirrte“ Tränengasgranate der Polizei wurde in Marseille eine ältere Frau getötet.

War es das wert?, fragen sich manche „Gelbwesten“ der ersten Stunde. Die Zwischenbilanz ist für viele wie ein halbvolles Glas: Es ist einiges in Bewegung gekommen, aber noch wenig wirklich erreicht worden. Heute wird in der Bewegung diskutiert, wie der Kampf mit anderen Mitteln und vor allem zusätzlichen Kräften fortgeführt und verstärkt werden könnte.

Am 5. Dezember, wenn die Gewerkschaften gegen die Pläne einer Rentenreform zu einem unbefristeten Streik im öffentlichen Verkehr aufrufen, wollen die „Gilets jaunes“ mitmarschieren. Für sie wäre das der ideale Anlass, die seit Monaten erhoffte „Konvergenz“ mit anderen sozialen und politischen Bewegungen von der Theorie in die Tat umzusetzen. Präsident Macron und seine Regierung befürchten einen „heißen“ Herbst.

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5 Kommentare

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  • Ein wenig arg verkürzt ist das aber nun schon, was man hier in der taz zu lesen bekommt.



    Zum Beispiel wird hier der Eindruck erweckt die populären ehemaligen Gilet-Jaune-Protagonistinnen Ingrid Levavasseur oder Jacline Mouraud wären nicht mehr politisch aktiv. Das Gegenteil ist aber der Fall. Beide haben sich zwar von den Gelbwesten abgesetzt, aber nur um ihr politisches Engagement zu konkretisieren. Sie kandidieren für die franz. Linkspartei "France Insoumise" bei den kommenden Gemeindewahlen:



    www.fr.de/politik/...m_campaign=webpush



    Die Gilet Jaunes sind offenbar an einem Wendepunkt angelangt, der in der Logik jeder heterogenen Bewegung angelegt ist: Irgendwann geht es los mit dem Versuch sie von Außen einzukassieren und zu instrumentalisieren. Da dabei die beiden konkurrierenden Lager so sehr weit auseinanderliegen erscheint es logisch dass das nun so abläuft wie in der FR zu lesen ist:



    "Die trotzkistische „Neue antikapitalistische Partei“ (NPA) hatte den rechtsextremen, aus dem berüchtigten Studentenverband GUD hervorgegangenen „Zouaves“ schon per Communiqué vorgeworfen, sie hätten mehrere ihrer Mitglieder angegriffen und spitalreif geschlagen. Ähnlich tönt es von der Gegenseite zurück. Auf beiden Seiten gibt es jeden Samstag blutige Köpfe."



    www.fr.de/politik/...sten-11751434.html



    Ich denke da ist ein Klärungsprozess im Gange, der fällig geworden ist. Allerdings wirkt sich das natürlich extrem destruktiv auch auf die Bewegung aus. Es bleibt zu hoffen dass die Okkupation von Rechts abgewiesen werden kann oder/und dass sich noch mehrere dazu entschließen können dem Vorbild von Ingrid Levavasseur oder Jacline Mouraud zu folgen.

  • „Bevor die zahlreich anwesende Polizei einschreiten konnte, waren die Fassade mit Pflastersteinen zertrümmert. An mehreren Stellen brannten Mülleimer wie Signalfeuer, mindestens drei Autos wurden umgestürzt, auch die Glasscheiben von Bushaltestellen fielen der mutwilligen Zerstörung zum Opfer“



    Jaja, da fühlen sich doch die beteiligten GelbwestInnen wieder richtig gut! Da hat man’s dem „System“, den „Eliten“ und vor allem Präsident Macron mal wieder so richtig gezeigt! Dass es stellvertretend die Anwohner traf, die womöglich mit dem System usw. genauso wenig am Hut haben – wen kümmert’s. Hauptsache, man konnte richtig Wut und Frust ablassen.



    Die Japaner zeigen uns, wie es auch anders gehen könnte: In Konzernzentralen befindet sich oft eine Gummi-Skulpturen des jeweiligen Konzernchefs, die wütende Mitarbeiter mit Fußtritten und Boxhieben traktieren können. Das Ergebnis ist das gleiche: Wut und Frust sind weg und Unbeteiligte werden geschont.



    Warum sollte das nicht auch in F. gehen? An allen öffentlichen Straßen und Plätzen min. 1 Gummipuppe von Macron, das sollte doch zu machen sein!

    • @Pfanni:

      "Jaja, da fühlen sich doch die beteiligten GelbwestInnen wieder richtig gut!" (Pfanni)



      Diesen zynischen Eindruck könnte man haben, wenn man an dieser sehr oberflächlichen Darstellung der taz hängenbleibt. Liest man aber auch andere Zeitungen dann kann man, am Beispiel der FR, dies entdecken:



      "Im Süden von Paris randalierten am Samstag größtenteils Vermummte und lieferten sich einen regelrechten Straßenkampf mit der Polizei. Ein Großteil von ihnen trug keine gelbe Warnweste, das Erkennungszeichen der „Gelbwesten“."



      Was sich hier abbildet ist ein Kampf zwischen Rechts-und Linksaußen um Deutungshoheit und Hegemonie beim Versuch der Okkupation der Gilet Jaunes-Bewegung. Diese Kämpfe in Form von Strassenschlachten tragen sie zum einen untereinander und auch gegen die Polizei aus. Was die Gelbwesten davon halten scheint dabei keines der Lager zu interessieren.



      www.fr.de/politik/...ueck-13226380.html

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Also bei mir ist eigentlich mehr das hier hängen geblieben:

      "Das Kollektiv „Désarmons-les!“, das die Opfer von Polizeigewalt registriert, spricht von 2.000 bis 3.000 Verletzten, davon haben 24 ein Auge und fünf eine Hand verloren.

      Vermutlich durch eine „verirrte“ Tränengasgranate der Polizei wurde in Marseille eine ältere Frau getötet."

      Was für Granaten werden da eingesetzt, die zum Verlust einer Hand führen können? Oder zum Tod.

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Frag ich mich auch, auf den videos sieht das mehr nach Krieg als nach Polizeieinsatz aus, solche Granaten gehören verboten.