piwik no script img

Endlich als Flüchtling anerkanntIch bin eine Linde mitten in Berlin

Nach zwanzig Jahre politischem Kampf gegen das System des politischen Islams bin ich angekommen: Als Geflüchtete, aber zu Hause.

„Als ich Asyl bekommen habe, habe ich mich zum ersten Mal wirklich zugehörig zu einem Ort gefühlt“ Foto: dpa

N un bin auch ich ein Refugee. Im Oktober 2017 habe ich aus politischen Gründen Istanbul verlassen und bin nach Deutschland gekommen. Ich trug nichts bei mir als einen kleinen Koffer, die Traumata der Vergangenheit und all meine Identitäten.

Es war der Beginn einer neuen Reise, mit einer Menge Fragezeichen, Zukunftssorgen und Ängsten im Kopf. Ich habe mein Leben lang gelernt, immer wieder von vorne zu beginnen. Es wurde regelrecht zur Routine für mich, immer wieder von null anzufangen.

Aber dieses Mal war es anders, das spürte ich tief in mir. Denn ich war inzwischen eine erwachsene Frau in ihren Vierzigern, die mit den ganzen Schwierigkeiten des Lebens gekämpft hatte. Dieses Mal will ich diejenige sein, die gewinnt, sagte ich mir, als ich durch die Straßen Leipzigs lief, eine Istanbuler trans Journalistin im Exil.

Die letzten zwanzig Jahre meines Lebens habe ich gegen das sexistische, patriarchalische, rassistische und antisemitische System des politischen Islams angekämpft, das der Zusammenschluss der AKP und der Gülen-Bewegung geschaffen hatte. Doch ich wollte ein menschenwürdiges Leben leben. Ich wollte schöpferisch sein, als Journalistin, als Frau und als Mensch.

Mein Welt steht still

In den drei Jahren, die ich nun als trans Journalistin im deutschen Exil lebe, haben mich, wie Sie sich sicher vorstellen können, weder LGBTI-Vereine und queere Medien unterstützt noch grün-rote Politiker*innen, die in den sozialen Medien Tag und Nacht unter dem Hashtag #TransRights Inhalte teilen, oder NGOs der türkeistämmigen Community in Deutschland.

Vor etwa zwei Wochen rief mein Anwalt an, als ich gerade meinen Spaziergang machte. Aufgeregt sagte er mir, dass ich mein Asyl bekommen habe. In dem Moment war es, als stünde meine Welt still.

Ich hörte, was mein Anwalt sagte, aber ich verstand nichts. Ich spürte meine Füße nicht mehr und brach auf der Stelle zusammen. Weil es regnete, wurde ich von oben bis unten nass. Zum ersten Mal seit langer Zeit musste ich lachen. Denn als Istanbulerin mit einem nichttürkischen Namen wurde ich in Deutschland offiziell als Geflüchtete anerkannt. Ich bin ein Refugee.

Die wichtigsten Wendepunkte meines Lebens kamen stets am Ende einer Dekade. Zum Jahrtausendwechsel wurde ich eine neue Michelle. Jetzt, zum Beginn eines neues Jahrzehnts, erneuere ich mich wieder.

Mein Selbstvertrauen aus Istanbul ist zurück

Das ist meine Chance auf ein neues Leben. In diesem freien Land kann ich meine Träume verwirklichen. Wenn ich nun durch die Straßen gehe, kann ich nicht aufhören zu lächeln. Sogar mein Gang hat sich verändert. Mein altes Selbstvertrauen aus Istanbul ist zurück.

An dem Tag, an dem ich Asyl bekommen habe, habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich zugehörig zu einem Ort gefühlt. Auf dieser Welt gab es jemanden, der dachte, dass auch ich als Mensch wertvoll und wichtig bin. Ich bin eine Linde mitten in Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Ihr Bericht und ihre metaphorische Sprache sind anrührend, da kann ich mich nur den Foristen anchließen. Ich wünsche Ihnen , dass Sie sich (trotz aller Widrigkeiten, die möglichreweise noch kommen mögen) Ihren zärtlichen Blick auf die Welt erhalten und Ihre Träume bewahren und weiter verfolgen können. Lassen Sie sich nicht von den vielen negativen Haltungen und Blicken auf die hiesige Gesellschaft zu sehr beeindrucken (Kartoffelland, Land des Rassismus etc.). Trotz aller Unvollkommenheiten haben wir hier eine Gesellschaft, in der doch vieles möglich ist und die wir uns so erhalten sollten. Was ich nicht so ganz verstehe ist, dass Sie von den Grünen, den LGBTI und türkischen Community nicht unterstützt wurden?? Ich kann es nur erahnen, wenn ich an die überkritischen und verurteilenden Kommentare gegen die hiesige Gesellschaft , auch in der TAZ denke.

  • Danke, für das Mitteilen dieser berührenden Geschichte - und alles Gute für den weiteren Weg!



    Vielleicht begegnen wir uns ja einmal.

  • Linden sind wundervolle Bäume und typisch für Berlin. Im Sommer überdecken sie den Großstadtgestank mit einem wundervoll-süßlichen Duft, ziehen Bienen und Hummeln an und hinterlassen klebrige Straßen und Gehwege, wenn die Blüten im Frühherbst abfallen.Immer wenn die Linden duften, sind die Berliner um ein Vielfaches besser gelaunt als im Rest des Jahres. Und auch dann filtern sie immerhin die Luft für uns. Möge der schöne Brauch der Friedenslinde allen Alt- und Neubürgern mehr Zufriedenheit bringen.

  • Linden sind wundervolle Bäume und typisch für Berlin. Im Sommer überdecken sie den Großstadtgestank mit einem wundervoll-süßlichen Duft, ziehen Bienen und Hummeln an und hinterlassen klebrige Straßen und Gehwege, wenn die Blüten im Frühherbst abfallen.Immer wenn die Linden duften, sind die Berliner um ein Vielfaches besser gelaunt als im Rest des Jahres. Und auch dann filtern sie immerhin die Luft für uns. Möge der schöne Brauch der Friedenslinde allen Alt- und Neubürgern mehr Zufriedenheit bringen.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Das ist schön! Hoffe, Sie haben weiter viel Grund zu lächeln :-)

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    ....Sei neben mir und sieh,

    was mir geschehen ist.

    Es ist vorbei, die Spuren noch im Herzen.

    Kein Platz für mich, für Schlaf in diesem Bus.

    Die Füße vertrocknet, der Traum versank im Auge.

    Die Polizei sagte stopp.

    Geht zurück, geht zurück.

    Alle dann in den Waggons, nur ich allein auf dem Gleis.

    Das Schlauchboot sank, und mein heißes Herz für Europa wurde kalt.

    Die Welt schlief, nur wir waren wach,

    hungrig, durstig, müde.

    Wir sind ja weggegangen, schwieriger wird es zurückzukehren.

    Das ganze Sich-Zerreißen, für ein bisschen Ruhe.

    Nicht meine Ruhe.

    Die Ruhe meiner Familie.

    Yasser Niksada(14 Jahre) in Afghanistan geboren

  • "Das ist meine Chance auf ein neues Leben."



    Alles Gute für Ihren weiteren Weg!

    "Wenn ich nun durch die Straßen gehe, kann ich nicht aufhören zu lächeln."



    Was die Seife für den Körper, das ist das Lachen für die Seele.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Seife und Lachen allein wären mit der Pflege des Körpers und der Seele überfordert.

      Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und für manche Seele ist es gesünder zu weinen als zu lachen.

      Alles eine Frage der Angemessenheit. Und der inneren Freiheit.