: Die Kirche ist sich selbst der Nächste
Bremens Evangelische Kirche berät über ihren Jahreshaushalt: Die Kirchensteuereinnahmen sind gestiegen. Für soziale Aufgaben bleibt trotzdem nur ein winziges Scherflein über
Von Benno Schirrmeister
Auch in soziale Werke gehen Kirchensteuereinnahmen der Bremer Evangelischen Kirche (BEK) – allerdings zu einem verschwindend geringen Anteil von 1,62 Prozent. Das ergibt eine Auswertung des BEK-Haushalts, den das Säkulare Forum Bremen zum Beginn der kirchlichen Haushaltsberatungen vorgelegt hat. Demnach hat die kleinste Gliedkirche der Evangelischen Kirche Deutschlands im laufenden Haushaltsjahr für ihre im engeren Sinne karitativen Einrichtungen 800.000 Euro aufgewandt – bei Kirchensteuereinnahmen von 49,3 Millionen Euro netto, also abzüglich der Transfers nach Niedersachsen und der Verwaltungsgebühr: Mit der wird rund ein Drittel der Kosten beglichen, die dem Finanzamt durchs Führen und Pflegen der Kirchen-Mitgliederliste entstehen.
„Die Behauptung, Kirchenmitglieder trügen über ihre Kirchensteuer zur Finanzierung der kirchlichen Sozialeinrichtungen und mit zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei, ist falsch“, resümierte SFB-Sprecher Herbert Thomsen die Ergebnisse. Besonders vergrätzt ihn, dass die Kirche durch direkte Zuschüsse, vor allem aber verdeckte Subventionen wie den Erlass von Grundsteuer und Gebühren allein in Bremen noch zusätzlich rund 20 Millionen einstreicht – ohne erkennbare Gegenleistung: „Die Kirche kann sich auf Staatskosten den Mantel der christlichen Nächstenliebe umhängen“, sagt er.
Trotz höherer Einnahme-Erwartungen für 2020 wird sich an dem Gesamttableau auch wenig ändern: Von den prognostizierten 67 Millionen Euro Brutto-Einnahmen fließen nach Darstellung des BEK-Schatzmeisters gerade mal 460.000 Euro in sozial-diakonische Arbeitsfelder wie Streetwork, Altenarbeit und Flüchtlingshilfe. Mehr als das Hundertfache wird hingegen in den Erhalt des Konzerns investiert: Gemeinden und gesamtkirchliche Seelsorge, Organe und Verwaltung, Bauten, gesamtkirchliche Arbeit und Verpflichtungen innerhalb der EKD kommen auf über 47 Millionen.
Die BEK selbst bewertet die Zahlen freilich anders. Während unstrittig ist, dass das Diakonische Werk zu über 99 Prozent durch Nutzer*innen, Sozialversicherung und Staat finanziert wird – der Kirchensteueranteil betrug hier in Bremen im vergangenen Jahr 0,19 Prozent – legt der Leitende Theologe der BEK, Bernd Kuschnerus, Wert auf einen erweiterten Begriff des Sozialen: „Auch Kirchenmusik ist soziale Arbeit“, sagte Kuschnerus bei der Pressekonferenz im Vorfeld der Herbstsitzung des Kirchenparlaments. Das Gleiche gelte für andere Tätigkeiten. Man müsse „sehen, was diese Gesellschaft im Inneren zusammenhält“, sagt er.
Dass es die Kirche nicht ist, belegen dabei empirisch die „Sozialer Zusammenhalt“-Studien der Bertelsmann-Stiftung und der Bremer Jacobs University. „Je höher die durchschnittliche selbstberichtete Religiosität in einem Ortsteil ist“, hat das Team des Sozialpsychologen Klaus Boehnke darin bezogen auf Bremen nachgewiesen, „desto geringer ist dort die Akzeptanz von Diversität.“
Als besonders soziale Einrichtungen bewertet die Kirche selbst zudem ihre Kitas: Wahr ist, dass sie da, anders, als andere freie Träger, einen Eigenanteil von immerhin zwölf Prozent der Gesamtkosten schultert. Allerdings verlangen weder Arbeiterwohlfahrt noch Deutsches Rotes Kreuz von ihren Angestellten einen Treueschwur. Und bei ihnen läuft auch kein Mitgliederwerbeprogramm im Hintergrund mit. Anders die Kirche: So werden die hier erwarteten Ausgaben von 7,8 Millionen Euro im Kirchenhaushalt unter dem Posten „Diakonische und missionarische Arbeit“ rubriziert.
„Es sind christliche Einrichtungen“, bestätigt auch Kuschnerus. Und „selbstverständlich“ werde dort auch „religiöse Bildung“ vermittelt, die „Erziehung zu christlichen Werten“. Diese mache „ein Sinnganzes deutlich“. Man erfülle damit aber „einen staatlichen Auftrag“ und werde „keinem Kind seinen Glauben aufzwingen“. Nur etwa 25 Prozent der Kinder seien schließlich protestantischer Konfession. Man könne entsprechend „sicher sein, dass dort keinerlei Mission oder Ähnliches stattfindet“.
Bernd Kuschnerus, Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche
Das ist kein schlüssiges Argument, denn genau darum geht es bei Mission ja: „Der Begriff meint in Bezug auf jede Religion, deren Aktivität, den eigenen Glauben und die damit verbundenen Bräuche anderen mitzuteilen“, heißt es im guten alten „Oxford-Lexikon der Weltreligionen“. Insofern bleibt schleierhaft, was „religiöse Bildung“ und „Erziehung zu christlichen Werten“ sein soll, wenn nicht Mission. Dass die derzeit nicht mit Feuer, Schwert und Zwangstaufe durchgeführt wird, hätte man ja ohnehin vorausgesetzt.
Das Herumeiern hat allerdings einen arbeitsrechtlichen Hintergrund: Offen und ehrlich die Hintergedanken beim Kita-Betrieb zu kommunizieren, könnte sowohl Andersgläubige verprellen als auch in der Bremer Verwaltung für Unruhe sorgen, die sich eher säkular gibt. Würde die BEK dagegen aufhören, die Kitas als Teil ihres religiösen Geschäfts zu definieren, müsste sie konsequenterweise auch auf Diskriminierung bei der Einstellung von ErzieherInnen verzichten.
Das will man aber nicht: „Wir stellen in der Regel Menschen christlichen Glaubens ein“, bekannte sich der Leiter der Kirchenkanzlei, Johann Noltenius zu der Praxis. Diese ideologische Auslese ist nur zulässig, sofern ein „direkter Zusammenhang“ von Bekenntnis und Tätigkeit vorliegt, hatte der Europäische Gerichtshof im vergangenen Jahr entschieden: Damals hatte die BEK JobbewerberInnen selbst im Bereich Raumpflege ein Glaubensbekenntnis abverlangt.
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