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60 Jahre SandmännchenEs ist so weit

60 Jahre alt wird das Männchen mit der Zipfelmütze. Auch heute noch bringt es die Kleinsten ins Bett – inzwischen sogar per App.

Der Sandmann schickt seit 60 Jahren die Kinder ins Bett Foto: Julian Stähle/dpa

Belehrung und Erbauung in zehn schnellen Minuten am Abend. Am Anfang und am Ende der glockenhelle Kinderchor mit dem disparaten Universal-Plädoyer jeden Kindes jemals: „Es ist noch nicht so weit“. Doch! Es ist so weit, ab ins Bett! Wenn das Sandmännchen vorbei ist: Küsschen, Licht aus, schlafen.

DDR-Sozialisierte mögen sich erinnern an den ersten großen Schritt in die Erwachsenenwelt: die Erlaubnis, bis zur zweiten Ausstrahlung wach bleiben zu dürfen. Diese Verlängerung des Tages um eine Stunde war im Zweifelsfalle hart erkämpfte und verdiente Freiheit. War nicht alles schlecht, wie der Ostalgiker so sagt.

60 Jahre alt wird das Männchen mit der Zipfelmütze und dem Säckchen Sand im Anschlag also. In Stop-Motion-Technik zeigten die kurzen Vorspänne der Sendung mal mehr, mal weniger pädagogisch wertvolle Gutenachtgeschichten des Ostfernsehens eine kindgerechte Aufbereitung sozialistischer Gegenwart und Zukunft. Voller Hoffnung und Sonne, spannende Technologie und Völkerfreundschaft inklusive. Das war ja wirklich nicht alles schlecht.

In Deutschland wird um sieben geschlafen

Und so überlebte das Sandmännchen sogar noch das Ende der DDR und bringt bis heute die Kleinsten ins Bett. Neben der Fernsehausstrahlung beim MDR, dem RBB und dem Kinderkanal gibt es ihn inzwischen sogar als App. Das Merchandising der trotz der Kürze der Sendungen recht teuren Serie finanziert einen Teil der Produktionskosten. Versuche, das Format zu exportieren, scheiterten regelmäßig. So deutsch, dass jeden Abend gewissenhaft um sieben geschlafen wird, ist man anscheinend nur in, nun ja, Deutschland.

Hier schaut man ja auch immer zur selben Zeit den „Tatort“, oder den „Polizeiruf“, den anderen Klassiker des DDR-Fernsehens, der die Zeitenwende nach dem Ende der Mauer überlebt hat. So schauen wir also in altersgerechte Zielgruppen ausdifferenziert immer wieder Mord und Totschlag oder den „lieben Sandmann“.

Blöd nur, dass die Vorfreude auf die allabendliche Wiederkehr des Sandmännchens eben gleich wieder gebrochen wird durch das Wissen um den unmittelbar folgenden Bettbefehl. Auch das ist selbstverständlich nicht ohne erzieherischen Wert. Man kann schließlich nicht früh genug damit beginnen, bei Kindern kognitive Dissonanzen zu erzeugen, sonst lernen die ja nie mit der Tatsache umzugehen, dass das Leben nun mal eine miese Kanaille ist, die sich einen Kehricht um deine Bedürfnisse schert.

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1 Kommentar

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  • Ein Nachtrag zum DDR-Sandmännchen sei, bei aller Sympathie, erlaubt: So ganz unpolitisch, wie heute dargestellt, waren die Geschichten nicht. Ich erinnere mich noch gut an eine Folge, es war kurz vor dem Ende der DDR. Das Sandmännchen steht mit seinem Sandmobil am Rand eines Flusses - weit und breit keine Brücke. Da kommt ein 'Genosse der NVA' mit einem realsozialistischen Brückenpanzer angerollt, klappt die Brücke über den Fluss - und das Sandmännchen kann weiterfahren. Der Sandmann ist gerettet...... Man stelle sich mal vor, was im Westen seitens der Freidensbewegung los gewesen wäre, hätte 'unser' Sandmännchen mit einem Nato-Panzerfahrer kooperiert.