piwik no script img

Radprofi gestorbenDer ewig Geschlagene

Raymond Poulidor, 83, ist gestorben. Er galt als notorischer Zweiter der Tour de France und war einer der populärsten Rennradfahrer Frankreichs.

Damals noch ohne Helm: Poulidor auf der Tour 1965 in der Provence Foto: imago

Das Herz eines Rekordmannes hat aufgehört zu schlagen. Raymond Poulidor starb in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch aufgrund von Herzproblemen und Erschöpfung im Alter von 83 Jahren. Bei 33 dieser Jahre verbrachte er den Monat Juli bei der Tour de France, 14 Mal als Sportler, 19 Mal als Markenbotschafter des Sponsors des Gelben Trikots. Stets war er umringt von Neugierigen, als Fahrer schon, aber auch als Pensionär. Denn der Sohn eines Bauern, der selbst auch noch die Mistgabel schwang, war trotz seiner Erfolge immer auch Prototyp des normalen Franzosen.

Er hatte nicht die aristokratische Ausstrahlung seines Dauerrivalen Jacques Anquetil, er besaß auch nicht die Urgewalt des Belgiers Eddy Merckx. Ein Kämpferherz aber hatte er stets. Motiviert haben mochte ihn die Armut, in der er aufwuchs. Mit dem Radsport begann er auf dem Rad seiner Mutter. Zur Radsportkarriere trieb ihn der Hunger.

Schon als Zehnjähriger wollte er nur deshalb reich werden, um viel Kuchen essen zu können, erzählte er Journalisten. Denn täglich sei er auf dem Schulweg an einer Bäckerei vorbeigekommen – und habe sich als Einziger nicht die Leckereien leisten können.

Zum Ende seiner Karriere sagte er: „Ich bin glücklich, wenn ich meine Töchter vor dem Bäckerladen herumstreichen sehe und sie all diese Süßigkeiten verschlingen dürfen.“ Eine der beiden, Corinne, heiratete später den niederländischen Radprofi Adrie van der Poel und gebar Mathieu – das größte Multitalent des Radsports zwischen Cyclocross, Mountainbike und Straße.

Acht Mal auf dem Podium

Auf Mathieu van der Poel wartet das Abenteuer Tour de France noch. Der Opa war 14 Mal dabei. Nur ein einziges Mal erreichte er nicht die Top Ten. 1975 erkrankte er während der Tour, fuhr aber trotzdem durch und kam noch auf Platz 19. Bei der nächsten Auflage der Tour wurde er als 40-Jähriger Gesamtdritter.

Acht Mal insgesamt stand er auf dem Podium, niemals aber gewann er die Tour – ein Rekord des Geschlagenseins. Genau dies machte Poulidor auch einzigartig. Sein Name fand Eingang in den französischen Sprachgebrauch. Als „Poulidor“ bezeichnete man Politiker , die bei Wahlen den Kürzeren zogen.

Bei den Radsportfans war Poupou, glaubt man zeitgenössischen Darstellungen, beliebter als Anquetil. Das führte dazu, dass er bei Kriteriumsrennen auch höhere Antrittsgelder einstreichen konnte. Legendär wurde ihr Duell 1964 auf dem Puy de Dome. 56 Sekunden Vorsprung hatte Anquetil vor dieser letzten Bergetappe der Rundfahrt. Eine Vierergruppe hatte sich abgesetzt, die Spanier Julio Jimenez und Federico Bahamontes sowie die Franzosen Anquetil und Poulidor. Eine Minute Zeitgutschrift lockte für den Etappensieg, 30 Sekunden für den zweiten Platz. Poulidor hatte den Gesamtsieg schon vor Augen.

Er neu­tralisierte Attacken der Spanier. Er sah, wie Anquetil schwächelte. Das verlieh ihm Selbstbewusstsein. Einem neuerlichen Antritt der spanischen Rivalen konnte er indes nicht folgen. Die Zeitgutschriften waren dahin, Anquetil aber beherrschte er. Ellenbogen an Ellenbogen fuhren sie den Berg hoch. Dann löste sich Poupou, Anquetil verlor an Boden, verteidigte sein Gelbes Trikot aber um 14 Sekunden und gewann das abschließende Zeitfahren.

Nach seinem Karriereende ist er einer meiner größten Unterstützer geworden

Poulidor

Poulidor musste Anquetil auf dem Podium einen Gratulationskuss auf die Wange drücken. Eine zusätzliche Strafe. „Als wir Rivalen waren, habe ich ihn gehasst. Und ich denke, dass es andersherum genauso war. Nach seinem Karriereende ist er aber einer meiner größten Unterstützer geworden“, erzählte Poulidor.

Der Rivale, der zum Freund wurde, starb bereits vor 32 Jahren. Jetzt folgt ihm Poulidor. Weiterhin erzählen können von dieser Etappe Bahamontes, inzwischen 91, und Julio Jimenez, 85. Der Radsport der damaligen Zeiten sorgt offenbar, trotz bestätigten Amphetaminkonsums der Protagonisten, für lange Lebensspannen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!