Anti-Bullshit-Philosophie: Der Troll in uns
Von Trotteln, Lügnern und anderen Bullshittern: Der Philosoph Philipp Hübl hat Vorschläge gegen eine anhaltend aufgeregte Gesellschaft.
„Wird schon stimmen“: Das ist ein Satz, den sich Trottel häufig sagen, ehe sie liken und forwarden und mit Glaubwürdigkeit ausstatten, was das vielleicht nicht verdient hätte. „Trottel“ ist hier gemeint in Philipp Hübls Sinn: Der Berliner Philosoph hat drei Typen von Beteiligten ausgemacht an der Produktion von – Bullshit. Den versteht der 44-Jährige heute, „im digitalen Zeitalter“, als „Unfug aller Art“: als „Lügen, Fake News, Verschwörungstheorien, Pseudowissenschaft und Geschwurbel“.
Klar: Lüge und Desinformation und gefährliches Halbwissen sind nicht erst ein Problem, seit es ein weithin zugängliches Netz gibt und Menschen in geschlossenen Facebook-Gruppen kursierende Memes als bessere Tagesschau ansehen. Dass Hübl nicht wohlfeil mit dem Finger auf irgendwelche abstrakten Trolle zeigt, „die Russen“ oder anderweitige kein bisschen edle Wilde, das stärkt sein Argument: Seine „Trottel“ sind gerade nicht immer nur die anderen.
Was aber tun gegen die eigenen Ressentiments, den eigenen blinden Fleck, das bei jeder und jedem wirksame Bestätigungsvorurteil? „Bullshit-Resistenz“ wäre wohl die Antwort des Verfassers unter anderem einer Einführung in eine „Philosophie des Unbewussten“: „Bullshit-Resistenz“ hieß sein schmaler Band, 2018 erstmals erschienen (Nicolai Publishing & Intelligence, 112 S., 20 Euro). Darin formuliert er eine Art des analytischen Denkens, zu dem sich immer wieder anhalten muss, wer nicht hereinfallen will aufs leicht in die Irre zu lenkende Bauchgefühl. Anstrengend, das räumt er selbst ein, aber auch ohne echte Alternative.
Philipp Hübl beim Philosophischen Café: Mo, 11. 11., 19 Uhr, Hamburg, Literaturhaus
Ist das mitunter fahrlässige Mitspielen von Trottelinnen und Trotteln vergleichsweise harmlos, haben es die andern beiden Typen in sich: Den „Bullshitter“ begreift Hübl als einen an Debatten Teilnehmenden, dem die Wahrheit schlicht egal ist; der etwa die eigene Expertise umso dröhnender behauptet, je wackeliger sie ist. Noch mal weniger Skrupel schließlich haben bei ihm die „Lügner“: Die behaupten auch, wovon sie wissen, dass es nicht stimmt, aus unterschiedlichen Motiven.
Was aber spielt alles hinein, wenn jemand darauf besteht, als schon länger irgendwo Lebender mehr Rechte zu haben als irgendwelche erst später zur Party Gekommenen? (Ehe Sie nun allzu schnell antworten: Es könnte hier um „Flüchtlingswellen“ beklagende „Nazis“ so sehr gehen wie um Bewohner*innen von Hamburg-St. Pauli.) Warum sehen wir Bekannten Dinge nach, die bei anderen eine Höchststrafe verdienen würden?
Anders gefragt: Wie viel Tribalismus kommt im Fußballstadion zum Tragen – und wie viel beim Gang ins Wahllokal? Wie viel als Identität stiftend erlebte Moral ist uneingestanden dabei, wenn Menschen politische Debatten führen? Warum sind Wut- eigentlich „Ekelbürger“? Wie unterscheidet sich aber auch das eine Sprechverbot vom anderen?
In seinem jüngsten Buch, ein wenig kalkuliert „Die aufgeregte Gesellschaft“ betitelt (C. Bertelsmann 2019, 432 S., 22 Euro), sucht Hübl solche Fragen zu beantworten. Wieder geht er dabei von der klassischen philosophischen Problemstellung Vernunft gegen Gefühl aus, und ein wenig auch: Biologie gegen Gesellschaft, Gene gegen Gelerntes. Solide mit Hinweise auf aktuelle Forschung unterfüttert, piekst er erneut an so mancher bequemer Selbstgewissheit, um, verkürzt gesprochen, anzukommen beim Appell: Haltet mehr aus!
Die sprichwörtliche Kirsche auf dem Sahnehäubchen war da gewesen, die eigne, die ja nicht erst bei genauem Hinsehen mit allerlei Privilegien ausgestattete Position stärker mit auszuleuchten. Aber so ist das halt mit diesen blinden Flecken.
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