SPD-Politiker über Pressefreiheit: „Ich vertraue der Thüringer Polizei“
Thüringens Innenminister Georg Maier spricht über einen kritischen Polizeieinsatz gegen Journalisten, über Neonazis und die Pressefreiheit.
Am 8. November 2018 waren Journalisten im thüringischen Fretterode, um eine Neonaziveranstaltung zu dokumentieren. Auf dem Grundstück des NPD-Funktionärs Thorsten Heise trat ein verurteilter Kriegsverbrecher der SS als Redner auf. Die Journalisten, die die Polizei zum Schutz angerufen hatten, wurden von dieser bei ihrer Arbeit massiv behindert. Unter anderem kündigten die Beamten zwei Fotografen an, ihre Privatanschrift „zum Schutz privater Daten“ an Neonazis herauszugeben, die sich über die Fotos beschwert hatten.
Nur wenige Monate zuvor waren zwei Journalisten von Neonazis in Fretterode körperlich attackiert und schwer verletzt worden. Der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) hat in den Antworten auf zwei Kleine Anfragen der Abgeordneten Katharina König-Preuss (Linke) zu dem Vorgang Stellung bezogen. Darin schien es so, als würde das Problem nicht verstanden werden.
Nachdem der NDR im August dieses Jahres darüber berichtet hatte, kommentierte auch die taz. Nach einem kurzen Gespräch zwischen taz-Chefredakteur Georg Löwisch und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow bei Twitter verwies Ramelow darauf, doch bitte bei Innenminister Maier nachzufragen, welche Folgen nach diesem Vorfall zu erwarten sind. Dies haben wir bei einem Gespräch in Erfurt getan.
taz am wochenende: Herr Maier, welche Erkenntnisse haben Sie heute zu dem Polizeieinsatz in Fretterode, bei dem Journalisten die Weitergabe von persönlichen Daten angedroht wurde?
Georg Maier: Es ist mir sehr wichtig, klar zu machen, wie hoch ich persönlich Pressefreiheit gewichte und wie hoch sie auch in der Thüringer Polizei gewichtet wird. Wir reden jetzt über einen Vorgang, der schon fast ein Jahr her ist. Inzwischen hat sich einiges getan. Ich bin erst seit zwei Jahren im Amt. Von Anfang an habe ich gesagt: Der Kampf gegen die Feinde der Demokratie, in Thüringen insbesondere gegen rechtsextreme Bestrebungen, ist bei mir Chefsache. Das steht auf der Agenda ganz oben.
Und in Fretterode?
In der Analyse ist es so, dass die Entscheidungen der eingesetzten Polizisten vor Ort berechtigt zu hinterfragen sind. Wenngleich man immer berücksichtigen muss, dass die Polizisten in eine Situation reinkommen, die sie sehr selten erleben. Es fehlt einfach das Erfahrungswissen über zugespitzte Auseinandersetzungen zwischen Pressevertretern und rechtsradikalen Veranstaltungen, egal ob privater oder öffentlicher Natur. Trotzdem müssen die Beamten die Situation bereinigen und sich schnell entscheiden, wie sie das machen. In der Rückschau gibt es berechtigte Kritik an einzelnen Äußerungen der Kollegen.
Es geht ja um zwei Dinge: darum, dass sichergestellt wird, dass weiter berichtet werden kann, und darum, dass die Polizisten androhten, die privaten Daten der Journalisten herauszugeben. Sie haben in der Antwort auf Kleine Anfragen von Katharina König-Preuss …
Es ist tatsächlich so: Ich habe die Kleinen Anfragen unterschrieben. Ich unterschreibe hunderte Kleine Anfragen. Zurückblickend hätte die Antwort an zwei Stellen ausführlicher sein können. Ich möchte Folgendes klarstellen: Eine Weitergabe von persönlichen Daten von Journalisten an gewaltbereite Neonazis findet nicht statt. Ich mache da keinen Hehl draus: Ich bekämpfe die Feinde der Demokratie mit allem, was in meiner Macht steht. Und da sehe ich Journalistinnen und Journalisten an meiner Seite.
Jahrgang 1967, ist SPD-Politiker und seit August 2017 Innenminister von Thüringen im Kabinett von Bodo Ramelow (Die Linke).
Können Sie es verstehen, dass Journalisten es besorgniserregend finden, wenn man solche Drohungen von der Polizei bekommt?
Wie die Kolleginnen und Kollegen der Polizei in Fretterode in diesem Punkt reagiert haben, ist nicht in Ordnung. Das habe ich auch versucht in der Antwort auf die Kleinen Anfragen zum Ausdruck zu bringen.
Ferner ist es so, dass Aufnahmen des NDR von der Situation zeigen, dass die Polizisten nicht ankündigten, dass die Daten womöglich irgendwann nach Prüfung der rechtlichen Ansprüche weitergegeben werden könnten, sondern dass sie unmittelbar durch die Polizisten an die Beschwerdeführer, also NPD-Mann Thorsten Heise und sein Umfeld, weitergegeben werden sollten. Warum haben Sie nicht deutlich in der Beantwortung der Kleinen Anfrage gesagt, dass der Einsatz gewaltig schiefgegangen ist?
Ich sehe es nicht so, dass der Einsatz „gewaltig schiefgegangen“ ist. Fakt ist, dass hier verschiedene schutzwürdige Interessen aufeinandertrafen. Fakt ist auch, dass sich die Polizei mit der Staatsanwaltschaft Mühlhausen über das weitere Vorgehen verständigte. Wir reden hier also nur über die Frage, ob die unmittelbare Weitergabe von Personalien an den Veranstalter vor Ort zulässig gewesen wäre oder nicht. Und da erhalten Sie ein klares Nein. Das hätte man auch in der Kleinen Anfrage sagen können. Das hätte ich vielleicht auch sagen müssen.
Und folgt daraus jetzt eine Dienstanweisung oder Klarstellung für künftige Einsätze?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Die Rechtslage bezüglich der Weitergabe von Daten ist klar. Die wird den Kolleginnen und Kollegen immer wieder im Rahmen ihrer Ausbildung vermittelt. Pressefreiheit genießt in unserer Ausbildung einen sehr hohen Stellenwert. Und das wird auch weiterhin der Fall sein. Wir werden aktuelle Fälle in unserer Ausbildung auch immer zum Anlass nehmen, noch einmal präzise darüber zu sprechen.
Braucht es vielleicht auch einen Ausbau des Komplexes Pressefreiheit in der Aus- und Weiterbildung?
Dass bereits eine Entwicklung eingetreten ist, sieht man. Sie nehmen jetzt auf einen Fall Bezug, der im November stattfand, aber nicht auf das, was aktuell Sache ist. Bei ähnlichen Ereignissen, bei denen Journalisten Rechtsextremen gegenübertreten und ihre journalistischen Aufgaben wahrnehmen, haben sie sich zuletzt sehr positiv über die Thüringer Polizei geäußert. Fragen Sie mal bitte Kollegen, wie der Eichsfeldtag von Thorsten Heise zuletzt gelaufen ist, wie die Polizei dort agiert hat. Nur weil ein Kollege in einer einzelnen Situation eine falsche Aussage getätigt hat, gibt es nicht zwangsläufig weiteren Schulungsbedarf. Man muss die Gesamtschau betrachten.
Tatsächlich haben wir uns auch mit dem Eichsfeldtag beschäftigt. Nach unseren Informationen gab es dort einen ähnlichen Vorfall, bei dem laut darüber nachgedacht wurde, dass Neonazis Listen einsehen können sollten, in die sich Journalisten eingetragen hatten. Das ist dann aber wohl nicht passiert, weil Sie nach einem Hinweis persönlich interveniert haben.
Wenn Sie das vom Ergebnis her betrachten, ist das ja nicht erfolgt.
Genau wie das in Fretterode nicht erfolgt ist. Das Problem ist aber: Sobald so etwas im Raum steht, wird Berichterstattung aktiv verhindert, weil die Journalisten dann erst einmal an ihre Sicherheit denken müssen und damit beschäftigt sind, mit Anwälten zu telefonieren und mit der Polizei zu verhandeln. In Fretterode konnten die Journalisten eine halbe Stunde ihrer Arbeit nicht nachgehen.
Beim Eichsfeldtag gab es nach meinem Kenntnisstand, auch vor dem Hintergrund, was in Fretterode passiert ist, Rücksprachen, Rückfragen und Diskussionen über diese Frage. Das ist richtig. Es ist nicht immer ganz leicht für die Kolleginnen und Kollegen der Polizei, mit allen rechtlichen Feinheiten richtig umzugehen. Ebenso ist es für die Presse nicht leicht zu verstehen, wenn nach Einschätzung der Polizei Maßnahmen vor der Pressefreiheit stehen. Diese rechtlich schützenswerten Interessen gilt es abzuwägen. Letztlich hat man dann richtig entschieden.
Sie sprachen davon, dass es eine Gefahrenabwägung brauche, bevor private Daten von Journalisten herausgegeben werden. Mittlerweile gibt es auch die Neue Rechte. Wo ziehen Sie die Grenze?
Ich bin sehr davon überzeugt, dass die Thüringer Polizei die Klientel gut kennt. Ich vertraue der Thüringer Polizei ganz ausdrücklich, weil sie mir auch in vielen Einsätzen bewiesen hat, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Thüringen ist eines der Länder, das nachweislich Erfolge im Kampf gegen rechtsradikale Strukturen erreicht hat. Und wir haben zuletzt alles in unserer Macht Stehende dafür getan, Journalistinnen und Journalisten freie Berichterstattung zu ermöglichen.
Ich glaube, dass, wenn es wieder zu solchen Situationen kommt, alle Polizistinnen und Polizisten dieses Landes dafür sensibilisiert sind. Ich habe auch mit dem Journalistenverband fest vereinbart, dass wir in der Polizeischule eine Kooperation starten, bei der Journalisten ihre Sicht schildern und ihre aktuellen Beispiele vorstellen und diese dort gemeinsam bearbeitet werden. Umgekehrt sollen Polizisten bei Treffen von Journalisten ihre Sicht darstellen. Polizei- und Pressearbeit basiert auf gegenseitigem Miteinander, Vertrauen und Akzeptanz der Arbeit des anderen.
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