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Musikalische SelbstbefragungDer Pop der Alltagsgeräusche

Die norwegische Künstlerin Hanne Hukkelberg kommt mit ihrem Album „Birthmark“ auf Tour. Ihr Sound klingt etwas zu sehr nach skandinavischem Design.

Diese Spüle, auf der Hanne Hukkelberg sitzt, sieht nach Berlin aus, nicht nach nordischem Design Foto: Mike R. Cruz

Spaziert man mit einem Song von Hanne Hukkelberg auf den Ohren durch die Welt, kann das den beglückenden, manchmal auch irritierenden Effekt haben, dass die Umgebung mit der Musik verschmilzt: Macht die Rolltreppe dieses verschleifte Geräusch oder gehört es zum Stück? Und woher kommt dieses seltsame Pochen?

Infos zu Platte und Tour

Hanne Hukkelberg: „Birthmark“ (Ingrooves/Rough Trade) Live: 12. 10., Peng Festival, Essen, 13. 10., Turmzimmer, Hamburg, 14. 10, Monarch, Berlin, 16. 10., Mousonturm, Frankfurt, 17. 10., Feinkost Lampe, Hannover

Dank unendlicher technischer Möglichkeiten, gibt es ja reichlich Musik, die Alltagsgeräusche mittels Loops oder Samples integriert. Doch Hukkelbergs Kompositionen wirken zunächst so reduziert und minimalistisch, dass man solche Überlappungen nicht erwartet. Umso nachhaltiger ist der Überraschungseffekt.

Das gilt erst recht für ihr unlängst erschienenes Album „Birth­mark“. Auf der Oberfläche wirkt es puristischer, weniger verspielt als frühere Arbeiten der norwegischen Künstlerin. International segelt die 40-Jährige von jeher etwas unter dem Radar, verglichen mit skandinavischen Musikerkolleginnen, mit denen sie doch einiges verbindet.

In Norwegen ist Hukkelberg schon ein Popstar

Mit Robyn die Affinität zum R&B, mit (der frühen) Björk die Klarheit der Kompositionen, mit Karin Dreijer alias Fever Ray die Bereitschaft zur Selbstbefragung. In Norwegen ist Hukkelberg schon ein Popstar. Bereits für ihr während ihres Aufenthalts in Berlin entstandenes zweites Album „Ryke­straße“ (2006) bekam sie den wichtigsten norwegischen Musikpreis „Spellemanprisen“.

Anders als sonst hat Hukkelberg für „Birthmark“ ihre Stücke am Klavier komponiert – an einem Klavier, dass sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Dementsprechend klar wirken die Melodien. In den fertigen Songs spielt das Instrument jedoch eher selten die dominante Rolle, die übernimmt ihre Stimme. Ihr gelingt der Spagat, gleichzeitig geradeheraus und verspielt zu klingen.

Zusammengehalten werden die Stücke durch Percussion-Elemente (wofür Haushaltsgeräte zweckentfremdet sind), elektronische Beats, Field Recordings und Samples – und einer starken Rhythmusfixierung, etwa in dem eingängigen „Catch Me If You Can“. Nach ostentativem Geklöppel und Gedengel klingt das trotzdem nie, die Oberfläche bleibt eingängig und Pop.

Symbolbild für das ganze Album

Im groovenden, fast R&B-artigen Song „Crazy“ scheint jemand auf einer mechanischen Schreibmaschine herumzuhacken, zwischendurch ist immer wieder der heute vergessene Sound zu hören, wenn das Schreibfeld in die nächste Zeile geschoben wird. Dieser Klang des analogen, entschleunigten, durch die zwischengeschaltete Gerätschaft aber auch Distanz einnehmenden Schreibens taugt als Symbolbild für das ganze Album.

Vielleicht ausgelöst durch den Tod der geliebten Großmutter, wirken einige der Songs wie Briefe an Familienmitglieder und andere (ehemals) wichtige Menschen. Hukkelberg will Grundsätzliches durchsprechen, übersieht aber auch die kleinen Details nicht. Und redet dabei über Dinge, die man vielleicht tatsächlich besser in einen Brief packt, als sie am Esstisch anzusprechen.

Etwa die Beschäftigung mit dem für sie offenkundig befremdlichen Glauben ihrer gläubigen Eltern in „Faith“, einem Song, bei dem ihre R&B-Affinität ebenfalls durchscheint. Trotz ihrer Skepsis lässt sie ihre Abwägungen nicht abwertend klingen. Ihre Eltern haben eine gleichberechtigte Stimme, wenn sie antworten: „I just got my faith / Aren’t we all lost / In a vacuum space / Can you ex­plain / What’s in your brain / Can you explain / The places you’ve been / All the things you’ve seen“.

Selbstbefragung, statt Selbstvergewisserung

Ihre Zweifel an deren Denkweise nutzt Hukkelberg für eine Selbstbefragung, nicht für eine Selbstvergewisserung. Diese Offenheit zieht sich auch durch Stücke, bei denen sie mit ihrem früheren Selbst in den Dia­log tritt. Das Befragen des eigenen Ich in unterschiedlichen Lebensphasen zieht sich wie ein roter Faden durch das Album.

Manchmal klingt das Ergebnis dann doch fast zu aufgeräumt – weniger auf der Text­ebene, die Verwirrung zulässt, als im Sound, der bisweilen ein bisschen zu viel nach skandinavischem Design klingt. Auf der Klangebene dürfte in den Songs durchaus etwas mehr Chaos stecken – so, dass man sich als Hörer nicht nur fragt: Woher kommt diese Sound? Sondern auch: Wie zum Teufel kommt sie auf diese Idee?

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