Verschleppte mexikanische Studenten: Fünf Jahre und zurück auf null
Seit fünf Jahren suchen die Eltern der oppositionellen Studenten vergeblich nach ihren Kindern. Doch das mexikanische Justizsystem ist korrupt.
G enau fünf Jahre ist es her, seit in der mexikanischen Stadt Iguala Polizisten und Kriminelle eine Gruppe oppositioneller Studenten brutal angegriffen haben. Sechs Menschen wurden an jenem 26. September 2014 getötet, mehrere der Lehramtsanwärter schwer verletzt und 43 von ihnen verschleppt.
Seither fordern die Angehörigen Aufklärung und Gerechtigkeit. Sie wollen wissen, was mit ihren verschwundenen Söhnen passiert ist. Und sie wollen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür haben sie demonstriert, Politiker, Staatsanwälte und Forensiker getroffen, internationale Menschenrechtsgremien angerufen und ihr Land nach geheimen Gräbern abgesucht. Fünf Jahre lang. Tag für Tag. Doch bis heute sind die Eltern der Studenten des Ayotzinapa-Lehrerseminars in ihrem Anliegen kaum einen Schritt weitergekommen.
Im Gegenteil: Wenige Tage vor diesem traurigen Jahrestag mussten sie jüngst miterleben, dass zahlreiche Verdächtige aus der Haft entlassen wurden. 77 der 142 Verhafteten sind wieder auf freiem Fuß. Darunter einige Hauptverdächtige. So etwa Gildardo López Astudillo, ein führendes Mitglied der Guerreros Unidos, jener Bande, die bei dem Angriff eine zentrale Rolle gespielt hat.
Der Grund für die Freilassung: Die Gefangenen wurden bei den Verhören gefoltert, folglich dürfen deren Aussagen nicht verwendet werden. So sieht es das Istanbul-Protokoll zum Umgang mit Folter vor und das ist auch richtig so. Doch für die Angehörigen ist das ein schwerer Schlag: zurück auf null. Zu Recht erklärte der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Alejandro Encinas, die Entscheidung offenbare, wie verfault das mexikanische Justizsystem sei.
Die Vorgängerregierung hat alles unternommen, um die Hintergründe zu vertuschen. Obwohl einiges dafür spricht, dass Militärs und Bundespolizisten in den Fall verwickelt sind, bemühten sich der damalige Präsident Enrique Peña Nieto und seine Sicherheitspolitiker, das Massaker als Problem örtlicher Polizisten, korrupter Lokalpolitiker und Krimineller darzustellen. Zudem ermittelten die Strafverfolger schlampig, Beweise wurden schlecht gesichert, die Angehörigen nie ernst genommen. Nur vier Monate nach dem Angriff wollte der Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam den Fall für abgeschlossen erklären und verkündet eine „historische Wahrheit“, für die es de facto keine Beweise gab. Da ist es nur folgerichtig, dass man für ein paar Schuldige sorgte und die dafür nötigen Aussagen durch Folter erpresste – eine Praxis, die in Mexiko ohnehin alltäglich ist.
Vor diesem Scherbenhaufen steht nun der seit knapp einem Jahr amtierende Präsident Andrés Manuel López Obrador. Der Staatschef hat den Ayotzinapa-Fall zur Chefsache erklärt, sein Menschenrechtsbeauftragter unternimmt alles für die Aufklärung des Verbrechens. Regelmäßig trifft sich Encinas mit den Angehörigen, eine Wahrheitskommission wurde gegründet, gegen Murillo Karam sowie den damals zuständigen Polizeichef wird ermittelt. Letzterer soll gezielt Beweise produziert haben, um die „historische Wahrheit“ zu belegen.
Diese Maßnahmen sind bemerkenswert, auch wenn sie etwas darüber hinwegtäuschen, dass López Obrador im Fall der weiteren 40.000 Verschwundenen wesentlich weniger unternimmt als bei diesem Verbrechen, das international Schlagzeilen schrieb.
Ob aber die Eltern der Studenten jemals erfahren werden, was man ihren Liebsten angetan hat, ist fraglich. Nicht nur, weil die Peña-Nieto-Regierung in dem Bestreben, die Wahrheitsfindung zu boykottieren, gute Arbeit geleistet hat. Selbst beim besten Willen wird López Obrador die korrupten, gewalttätigen Strukturen der mexikanischen Politik mittelfristig nicht aufheben können. Dazu sind sie zu tief in die Gesellschaft eingeschrieben. Wer gegen die Falschen aussagt, läuft weiterhin große Gefahr, das nicht zu überleben. Das trifft auch für den Ayotzinapa-Fall zu.
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