Regieren von der Tribüne aus

El Salvadors neuer Staatschef Nayib Bukele präsentiert sich gern als „coolster Präsident der Welt“. Der 38-Jährige ist extrem populär. Unbequeme Fragen unabhängiger Journalisten allerdings mag er gar nicht

San Salvador: Verstörende Show vor dem Präsidentenpaar Foto: Casa Presidencial de El Salvador

Aus San Salvador César Fagoaga

Wenn man den richtigen Kontext nicht kennt, könnte das Foto erschrecken. Unter der unbarmherzigen Mittagssonne von El Salvador kniet eine Gruppe von Männern, den Blick auf den Asphalt gerichtet, umringt von Militärs mit automatischen Gewehren. Sie warten vor einer Tribüne, auf der ein Paar thront, das Recht sprechen wird.

Aber wir sind nicht im Kolosseum von El Salvador, das, auch wenn es so aussieht, wohl keine Bananenrepublik mehr ist. Die Männer auf dem Boden sind Teil einer Elitetruppe und demonstrieren einen Einsatz für den Fall einer Geiselnahme innerhalb eines Busses. Die Militärs, die neue Uniformen tragen, die sie gerade von der US-Armee gespendet bekommen haben, sind tatsächlich Militärs. Es ist der 15. September, und die neue Regierung hat die Armee auf die Straßen von San Salvador gebracht, um mit einem eines John Rambo würdigen Aufmarsch den Unabhängigkeitstag zu feiern.

Auf der Tribüne, im Zentrum von allem, verfolgt der salvadorianische Präsident Nayib Bukele die Szene mit einem schüchternen Lächeln. Zu seiner Rechten seine Frau, in seiner linken Hand, auf dem Foto kaum zu sehen, der vergoldete Stab, der ihn als Oberkommandierenden der Streitkräfte ausweist.

Moment. Wenn man den richtigen Kontext kennt, ist dieses Foto genauso erschreckend.

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Cesar Fagoaga, 37, ist Chefredakteur des 2014 gegründeten Online­mediums Revista Factum in El Salvador. Sein Schwerpunkt liegt auf Recherchen zu Korruption und Gewalt. www.revistafactum.com

Mit seinen gerade 38 Jahren ist Bukele der jüngste Präsident seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen 1992. Aufgestiegen dadurch, dass die Menschen die Korruption der politischen Extreme satthatten, gewann er die Präsidentschaftswahl mit großem Vorsprung, und in diesen ersten drei Monaten stieg seine Beliebtheit stetig an.

Die Umfragen ergeben, dass sein größter Erfolg bislang darin besteht, die Zahl der Fälle eines gewaltsamen Todes reduziert zu haben. Das ist eine gute Nachricht für ein Land, das 2015, als auf 100.000 Einwohner 103 gewaltsame Todesfälle kamen, zum gewalttätigsten der Welt geworden war. Die große Frage ist, wie er das gemacht hat. Und das ist der Punkt, wo das Panorama undurchsichtig wird.

Bukele hat zu Beginn seiner Amtszeit einen „Plan zur territorialen Kontrolle“ vorgestellt, ein Paket von Maßnahmen, die überhaupt nicht neu waren und in vielem an das erinnerten, was die Vorgängerregierungen gemacht hatten: den Staat in die Gemeinden bringen, die Telefonate, die aus den Gefängnissen herausgehen, überwachen, die Modernisierung der Polizei und sehr viel Blabla.

Die Regierung führte Änderungen ein, die Zweifel an der neuen Sicherheitspolitik wecken. Anders als früher schließt die Polizei nunmehr in die Todesstatistiken nicht mehr diejenigen ein, die bei den sogenannten Zusammenstößen zwischen Polizei und Bandenmitgliedern ums Leben kommen. Das sind nicht wenige: 2016 wurden mehr als 590 Bandenmitglieder bei mutmaßlichen Zusammenstößen mit der Polizei getötet. Auf einen getöteten Polizisten kamen in diesem unerklärten Krieg 59 getötete Bandenmitglieder.

Die erste Frage ist offensichtlich: Wie werden die Toten gezählt? Wird die gleiche Methodologie benutzt oder eine andere? Nur wenn das geklärt ist – und der Journalismus bleibt diese Antwort noch schuldig –, können wir zu den nächsten Fragen übergehen: Wie hat Bukele das in nur drei Monaten erreicht? Hat er mit den Banden verhandelt wie Ex-Präsident Funes 2012? Regiert man anders? Sind die Banden einen Schritt weiter in ihren politischen Aktivitäten und führen insofern erfolgreichere Verhandlungen?

Anfang September, genau zum Ende von Bukeles ersten 100 Tagen im Amt, verbot das Präsidialamt zwei Medien den Zugang zu den Pressekonferenzen

Das Problem ist, dass es auf der anderen Seite niemanden gibt, der bereit ist, diese Fragen zu beantworten. Präsident Bukele hat nicht nur bewiesen, dass er ein Meister darin ist, per Twitter zu regieren – zum Vergnügen der Meme-Produzenten antworten ihm seine Minister mit Tweets wie: „Wie Sie befehlen, Präsident.“ Er hat auch gezeigt, dass es nutzen kann, eine Ausbildung als Werbefachmann zu haben, wenn man regieren will.

Seit seiner Zeit als Präsidentschaftskandidat hat sich Bukele bemüht, ein Narrativ jenseits aller Grautöne zu erschaffen. Natürlich hat er das nicht erfunden, aber in einer so polarisierten Gesellschaft wie der salvadorenischen – zwölf Jahre lang haben wir uns im Bürgerkrieg der 1980er Jahre gegenseitig umgebracht – wird es immer fruchtbar sein, einen Freund-oder-Feind-Diskurs zu fahren. Jede Kritik, jedes Infragestellen wurde mit virtuellen Shitstorms, Verhöhnungen und einer ausgeklügelten digitalen Strategie zum Schweigen gebracht. Widerspruch ist verboten, besonders wenn der infrage Gestellte der Präsident der Republik ist, der Träger aller nationalen Hoffnungen. Ludwig XIV. wäre stolz.

Im Visier dabei immer: die Presse. Beschränkte sich der Präsident zunächst darauf, Fragen auszuweichen oder Interviewanfragen zu ignorieren, ging er dann dazu über, die Arbeit jener Medien, die im unbequem wurden, direkt zu blockieren. Anfang September, genau zum Ende seiner ersten 100 Tage im Amt, verbot das Präsidialamt zwei Medien (Revista Factum und El Faro) den Zugang zu den Pressekonferenzen. Die Begründung war, dass Journalisten dieser Medien einmal beim Versuch, eine Frage zu stellen, etwas laut geworden waren.

Internationaler Druck sorgte dafür, dass das Präsidialamt die beiden Medien wieder zuließ. Nicht ohne aber zuvor einen digitalen Shitstorm gegen die entsprechenden Journalisten loszutreten, der bis heute andauert.

Wie bei der Militärparade beobachtet der Präsident diese Angriffe von der Tribüne aus. Dort, wo er sich sicher, ausreichend entfernt und gepanzert fühlt, schaut er sich auch andere heikle Themen an. Das wichtigste davon: die Lage Tausender salvadorianischer Migranten in den USA. Nach der Unterzeichnung eines Abkommens, das aus El Salvador einen „sicheren Drittstaat“ macht – ja wirklich: Das Land, aus dem heraus 2018 die meisten Asylanträge gestellt wurden, ist jetzt Aufnahmeland für Asylsuchende –, traf sich Bukele mit US-Präsident Donald Trump, um die öffentliche Diskussion zu seinen Gunsten zu wenden. Nach den Fotos und Tweets von beiden in der UN-Generalversammlung verkündete das Präsidialamt, die Beziehungen zu den USA seien jetzt wiederhergestellt – als wären sie irgendwann abgebrochen worden.

Kein Wort darüber, welche Konsequenzen die Verlegung der US-Südgrenze um Tausende Kilometer nach Zentralamerika hat. Der fremdenfeindlichste Präsident, den die USA je hatten, hat in Bukele, dem Wunderboy mit der Vorliebe für Militärparaden, seinen perfekten Verbündeten gefunden. Sollten wir uns noch fragen, warum?