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Sicherheitsversagen in HalleWorte, die fehlen

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Der Staat hat beim Schutz der Synagoge in Halle versagt. Bislang gibt es aber weder eine Entschuldigung noch Rücktrittsforderungen.

An Solidarität fehlt es nach Halle nicht – aber an politischen Konsequenzen Foto: Hendrik Schmidt/dpa

E s ist nicht so, dass die deutsche Öffentlichkeit nach dem Anschlag von Halle einfach zur Tagesordnung übergeht. In Berlin, München, Marburg und vielen anderen Städten sind viele tausend Demonstranten auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit der jüdischen Minderheit und ihre Abscheu gegenüber dem rechtsradikalen Attentäter deutlich zu machen. Politiker der Großen Koalition versprechen, jetzt endlich gegen den Hass im Internet vorgehen und Aufklärung im Vorfeld betreiben zu wollen. Wir werden sehen, was daraus wird.

An guten Wünschen und Versprechungen mangelt es also nicht. Und doch haben die Bekundungen aus der Politik einen schalen Beigeschmack. Denn auch vier Tage nach dem Anschlag hat sich kein verantwortlicher Politiker dazu bequemt, sich für das eklatante Versagen beim Schutz der Synagoge zu entschuldigen. Nur eine verschlossene Tür verhinderte, dass es in dem Gotteshaus zu einem Blutbad kam.

Aber niemandem geht ein Schuldeingeständnis über die Lippen – nicht den sachsen-anhaltischen Landesministern, nicht dem Bundesinnenminister, nicht der Kanzlerin. Stattdessen hat der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, behauptet, die Polizei habe „gute Arbeit“ geleistet und der fehlende Polizeischutz sei auf eine Gefährdungsanalyse des Bundeskriminalamts zurückzuführen. Kein Wort dazu, dass die Jüdische Gemeinde um Schutz gebeten und ihn nicht erhalten hatte. Stattdessen wird die Schuld weitergegeben.

Bei anderen Gelegenheiten wird schnell nach „personellen Konsequenzen“ gerufen. Für Halle hat niemand auch nur einen Rücktritt ins Gespräch gebracht. Dieses Nichtverhalten, diese fehlende Entschuldigung lässt den Verdacht entstehen, dass dieses Attentat doch nicht für so ganz wichtig erachtet wird. Es befördert die Vermutung, dass all die wohlmeinenden Erklärungen der üblichen Routine entsprechen, die nach jedem Anschlag abgespult wird. Diese Wurschtigkeit trägt nicht dazu bei, das Vertrauen der bedrohten Juden in die deutsche Politik zu stärken. Dabei wäre nichts nötiger als genau das.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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10 Kommentare

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  • Diese Normalisierung von Polizeischutz ist lächerlich.

    Man handelt nicht fahrlässig, wenn man ohne Polizeischutz seine Religion ausübt.

    Man sollte den ganzen Polizeischutz abschaffen. Trotz dieser Tat. Das ist reine Symbolpolitik für Sicherheit.

  • Worte, die fehlen ... auch hier fehlen sie: Im Nachgang verweisen viele auch Sie Klaus Hillenbrand zu Recht auf den bloßen Zufall der ein Massaker in der Synagoge verhindert hat und darauf, dass staatliche Verantwortung für gefährdete Menschen in Deutschland besteht und effektiver Schutz von Nöten ist ebenso wie konsequente Ermittlung und Strafverfolgung von Tätern und dahinter stehender rechter Netzwerke. Diese klaren Forderungen und die Solidarität fehlten und fehlen nun aber für die anderen erklärten Ziele rechter Täter. Juden, Muslime und Antifaschistische Gruppen nannte dieser Täter ausdrücklich als seine "Ziele" und tötete dann ja tatsächlich einen echten oder vermeintlichen Muslim, sowie vollkommen willkürlich eine Passantin. Rechte (Terror-) Gruppen, Netzwerke oder einzelne Täter zielten zunächst strategisch und vermehrt seit Anfang der 90er Jahre "nur" gegen (muslimische) Flüchtlinge und Migrant:innen bzw. längst deutsche Muslime mit Wort und Tat und fühlten sich durch gesellschaftliches Stillschweigen oder gar stillschweigende Unterstützung bestätigt ebenso wie durch staatliches Schutzversagen und mangelnde Strafverfolgung. Im Schatten praktizierter Menschenverachtung und Feindgruppendefinition konnte auch Antisemitismus erst heimlich nun wieder so dreist und gefährlich offen gedeihen. Wir brauchen Solidarität und Schutz für ALLE Zielgruppen rechter Gewalt und effektive Aufklärung und Strafverfolgung der Täter(gruppen) und Netzwerke unabhängig davon ob die Opfer Muslime, Juden, Antifaschisten oder CDU Politiker sind, die sich deutlich gegen Menschenverachtende Hetze positionieren.

  • Die Logik terroristischer Anschläge ist, den autoritären Staat zu befördern – da waren sich die wenigen Linksextremen und die mehrheitlich rechtsextremen Attentäter immer mit dem Staatsapparat sehr einig. Man sollte jedenfalls die nachträgliche Aufklärungsarbeit verbessern und den Staat und die liebe Zivilgesellschaft von aller Prävention befreien, weil wir sonst - egal wer den Kampf gegen den Terror gewinnt – den Überwachungsstaat haben! Alles Moralisieren ist abgründig fehl am Platze!

  • Täter wie der von Halle und ihre Aktivitätsräume sind vermutlich noch nicht einmal mit Totalüberwachung des Netzes wie in China aufspürbar und dann bräuchte man auch noch Leute, um denn Netzaussagen im realen Leben nachzugehen. Wenn sich gegenteiliges herausstellt, wie z.B. beim Fall des Berliner Attentats, revidiere ich selbstverständlich meine Meinung



    Für präventive Maßnahmen jemanden abzustellen bedeutet, dass er anderweitig nicht eingesetzt werden kann. Ich habe bislang nicht gehört, dass die Hallensische Gemeinde Ziel von Drohungen war, die so etwas wie präventiven Polizeischutz begründen könnten. Desweiteren gibt genügend andere Kleinveranstaltungen, bei denen man mit Gewalt rechnen kann, bei denen auch keine Polizei abgestellt wird. Stand jetzt sehe ich nicht, wo die Schuld der Polizei liegen soll.

    • 0G
      06313 (Profil gelöscht)
      @FancyBeard:

      "Ich habe bislang nicht gehört, dass die Hallensische Gemeinde Ziel von Drohungen war"

      Jüdische Einrichtungen - Schulen, Synagogen, Gemeindehäuser, etc. - sind seit Jahrzehnten in ganz Deutschland beliebtes Anschlagsziel von rechten Antisemiten und solchen, die aus dem Nahen Osten kommen. Jüngstes Beispiel: am 4.10. ein Syrer, mit einem Messer auf einen Polizisten losging, der die Neue Synagoge in Berlin bewachte. Ich weiß nicht, wo Sie in den letzten 20-30 Jahren waren, aber die Zahl an antisemitischen Übergriffen in Deutschland nimmt täglich zu. Insofern werden jüdische Einrichtungen bewacht - was vermutlich auch auf die unrühmliche Geschichte dieses Landes zurückzuführen ist. Die Jüdische Gemeinde in Halle hatte anlässlich des höchsten Jüdischen Feiertags (Jom Kippur) im Vorfeld um Polizeischutz gebeten. Dieser wurde als nicht notwendig erachtet.

      "Stand jetzt sehe ich nicht, wo die Schuld der Polizei liegen soll."

      Es ist allgemein bekannt, dass jüdische Einrichtungen vor alle

  • RS
    Ria Sauter

    Was ist jetzt richtig? Wurde um Schutz gebeten oder nicht?



    Jemand tritt eventuell zurück und wird durch ein neues Gesicht ersetzt.



    So billig kann die Lösung doch nicht sein.

  • Sag mal so. In Kölle steht im Park gegenüber durchgehend - wie ich meine - ein Polizeijeep. Das ja & dachte - das gilt bundesweit. But. Herr Hillenbrand -

    Zitier Sie mal



    “… Es sei irritierend, dass Stahlknecht zu der Bewertung gelange, die Sicherheitsbehörden hätten sich keine Vorwürfe zu machen. „Bei einer derart unkritischen Bewertung muss man sich zwangsläufig die Frage stellen, ob die Bereitschaft besteht, aus begangenen Fehlern Lehren zu ziehen“, so Schuster weiter.



    Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, fehlenden Polizeischutz beklagt. Die Behörden hätten der Gemeinde mehrfach Schutz verweigert, als er konkret darum gebeten habe.



    Stahlknecht wies diese Aussagen zurück. Er könne nachweisen, dass man keine Bitte um Schutz ausgeschlagen habe. Auch für den wichtigsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, am vergangenen Mittwoch habe es vorab keine Bitte um Schutzmaßnahmen gegeben.“



    taz.de/Nach-Anschlag-in-Halle/!5629164/ - 13. 10. -

    Ist es da aber journalistisch korrekt - ?



    Am selben Tag & - nichts genaues - weiß frauman ja scheint’s noch nicht - hm?!



    Hier - in Ihrer Weise zu schreiben?

  • Rücktrittsforderungen? Es hat doch niemand bei seiner Doktorarbeit falsch zitiert, Bonusmeilen privat genutzt, "Dirndl-Füllung" bewundert, oder eine illegale Parteispende als "jüdisches Erbe" deklariert.

    Nein, nein! Niemand will das antisemitische Wählerpotential kampflos der AfD überlassen. Nichts tun und ablenken (Kampf den "Killerspielen"), ist dabei die wirkungsvollste Waffe. Darin hat man seit Jahrzehnten viel Übung und der Erfolg gibt ihnen recht, oder etwa nicht?

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    auch in halle sind fast 2000 demonstranten auf die straße gegangen, falls dies von relevanz für die einführung des artikels sein sollte.



    in der aufzählung folgt dann "An guten Wünschen und Versprechungen mangelt es also nicht. "



    ganz ehrlich: "drauf geschissen" wäre im duktus dieses artikels auch eine mögliche formulierung gewesen. lieber wieder hinlegen und die anderen machen lassen wäre besser gewesen.

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Und es ist nicht das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft alleine, das hier zur Disposition steht.



    Solange wir allerdings weiterhin Menschen mit einem Mandat zum Regieren, also kompetenter Sachwaltung und vorausschauender Gestaltung, betrauen, die sich ausschliesslich an Machterhalt und der eigenen Grossartigkeit berauschen, gibt auch keinerlei Anlass, auf vertrauensstärkende Signale dieser Mandatinhaber zu warten.



    Weil...da wird nichts kommen, bis es offene Revolten gibt, die sich mit einem die demonstrierenden Bürger als Feindbild betrachtende, hochgerüstete Polizeitruppen nicht niederschlagen können.



    Die Rechtsradikalen dieses Staates haben die derzeitign Machthaber hier ganz alleine zu verantworten. Und das Eine, das man von diesen Leuten noch weniger erwarten sollte, als kompetente Sachwaltung...ist Verantwortungsgefühl.



    Eigene Fehler werden negiert, mit sehr viel Einsatz von staatseigenen Ressourcen verschleiert oder deren Offenbarung verhindert. Daher, stellen wir, die Zivilgesellschaft, uns an Synagogen, vor Moscheen und Kirchen sowie Tempel, wenn wir Religion im öffentlichen Raum präsent haben wollen. Ansonsten, stellen wir uns doch einfach gemeinsam, alle Religionen, Ethnien und Geschlechter, alle "Anders....." Gegen Rassismus, ausgrenzung und nationalistisch verbrämten Grössenwahn und weisen die vom Hass zerfressen Seelen in die Schranken.



    Immer Montags...zur Abwechslung mal für und nicht gegen Solidarität! Überall.