Erika Heines Zuhause muss weg

Seit knapp einem Jahr lebt die Wohnungslose Erika Heine in Hannover in einem Minihaus am Straßenrand. Sie mag die Gegend, doch es gibt auch Nachbarschafts-Konflikte. Die Stadt will die Hütte nicht dulden. Nun entschied ein Gericht: Am Samstag darf geräumt werden

Soll nach Willen des Gerichts abgerissen werden, weil es zu nah am „fließenden Verkehr“ steht: Erika Heines Mini-Haus in Hannover-Ricklingen Foto: Christian Wyrwa

Von Simone Schmollack

Der Stein des Anstoßes steht am Straßenrand im Stadtteil Ricklingen in Hannover: eine klitzekleine Hütte aus Sperrholz. Gerade mal Platz für eine Matratze, einen Feuerlöscher, ein Bio-Klo, einen Wasserhahn, eine winzige Kochstelle. Doch dieses „Little Home“ (Minihaus), eine Behausung für die wohnungslose Erika Heine, muss weg. So entschied es jetzt das Verwaltungsgericht Hannover und wies damit den Eilantrag der 62-Jährigen, mit ihrem winzigen Haus dort bleiben zu können, zurück. Am Samstag soll das Haus entfernt werden.

Die Stadt, gegen die sich Klage und Eilantrag richteten, argumentiert, der Frau seien bereits andere Stellplätze sowie ein Platz in Obdachlosenunterkünften angeboten worden. „Hilfsangebote der Landeshauptstadt Hannover […] hatte die Antragstellerin zuvor sämtlich abgelehnt. Insbesondere hatte sie das Angebot zurückgewiesen, ihr Mini-Haus auf einem vom Verein vermittelten Privatgrundstück abzustellen“, heißt es dazu in einer Presseerklärung des Verwaltungsgerichts.

Heine wollte aber offenbar weder einen anderen Standort noch einen Platz in einer staatlichen Unterkunft. Sondern eher die Nähe zur aktuellen Nachbarschaft, zu Menschen mit einem normalen Leben. Doch die wollten das scheinbar auch nicht so recht. So soll es in der Vergangenheit immer wieder zu kleinen Auseinandersetzungen zwischen der Frau und den Anwohner*innen und den Eigentümer*innen des angrenzenden Grundstücks gekommen sein.

Das Gericht sieht die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ gefährdet: „Der fließende Verkehr bewegt sich in nächster Nähe um das Mini-Haus der Antragstellerin herum.“ Zudem bedürfe Heine einer „straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis“. Die hat die Stadt nicht erteilt. Und: Wohin mit dem Müll und dem Abwasser? Auch nicht geklärt, teilte das Verwaltungsgericht mit.

Heine war die erste Frau, die in Hannover in einem Minihaus am Straßenrand wohnte. Die Hütte hatte ihr vor knapp einem Jahr der Verein „Little Home“ in Köln geschenkt. Der Verein baut seit drei Jahren diese kleinen Häuser, um Wohnungslosen zu helfen. Sie biete den Betroffenen einen „(Über-)Lebensraum sowie einen ersten Einstieg in weitere Hilfen“, heißt es auf der Homepage des Vereins: „Dadurch können sie weiterhin in größtmöglicher Freiheit auf der Straße leben, ohne deren Gefahren unmittelbar ausgesetzt zu sein.“ Gefahren wie Überfälle, Kälte, Nässe.

Ein Minihaus kostet nach Angaben des Vereins etwa 1.200 Euro, die Organisation finanziert Bau und Aufstellung hauptsächlich über Spenden. 109 Obdachlosen konnte der Verein mittlerweile helfen. 41 von ihnen haben dem Verein zufolge einen Job und 48 sogar einen festen Wohnraum.

Einer Statistik der Wohnungslosenhilfe Hannover zufolge gibt es rund 4.000 wohnungslose Menschen in der niedersächsischen Hauptstadt. Etwa 400 von ihnen sollen regelmäßig auf der Straße schlafen, davon ein Drittel Frauen. Frauen versuchen, ihre Wohnungslosigkeit stärker als Männer zu verstecken und vorübergehend bei Bekannten unterzukommen.

„Das Mini-Haus dürfte nicht den Anforderungen an die öffentliche Sicherheit und Ordnung entsprechen“

Verwaltungsgericht Hannover

Als der Verein „Little Home“ Erika Heine das Minihaus übergab, konnte sie es kaum fassen. Anderen gehe es doch viel schlechter, soll sie damals zu Sven Lüdecke, dem Erfinder der Minihäuser in Deutschland und Gründer des Kölner Vereins, gesagt haben. Als die Hütte für die Frau auf einem Kirchengelände in Hannover aufgestellt wurde, war er extra angereist. Es sei herausragend, wie sich die Frau politisch engagiere, sagte Lüdecke.

Das sehen andere Wohnungslose in Hannover nicht in jedem Fall so. „Frau Heine sind andere Stellplätze angeboten worden, die sie hätte annehmen können. Was ist das Problem?“, sagte eine andere Wohnungslose zur taz. Die Frau möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, weil sie „öffentlich keinen Stunk“ machen möchte. Sie selbst lebt seit Jahren auf der Straße, in einem Zelt oder in Obdachlosenunterkünften. „Das Schlimmste ist“, sagt sie, „dass wir keine Möglichkeiten haben, unsere Sachen zu lagern.“ Damit meint sie Platz für Sommer- und Winterkleidung. „Dann müssen wir die nicht immer mit uns rumschleppen.“ Eine Möglichkeit, die so ein Minihaus bietet.

Erika Heine kann gegen den Beschluss Beschwerde einlegen. Ob sie das tut, ist noch unklar.