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AfD-Vizepräsident in BrandenburgBlumen statt Würde

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Die AfD wird ohne Not zu einer normalen Partei gemacht – was das Leben vieler Menschen in Deutschland unnormal macht, was sie beleidigt und bedroht.

Der Verfassung treu: Ulrike Liedtke (SPD) gratuliert Andreas Galau (AfD) Foto: dpa

S chon ist der wunderbare Sommer vorbei, es geht rasend auf Weihnachten zu, und jeder hat noch wichtige Termine. Schülerinnen und Schüler weltweit streiken zum Beispiel (hoffentlich) weiterhin freitags, weil die Politik nichts gegen die katastrophalen Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels unternimmt.

Das Gegenteil von weltweit ist vielleicht Brandenburg, wo sich am Dienstag der neue Landtag konstituierte. In Brandenburg wird jede braune Soße gegessen, die auf den Tisch kommt. Als Abgeordneter des Brandenburger Landtags fragt man sich wahrscheinlich: Dürfen diese Kinder das eigentlich? Die Regierungen, gegen die sie krakeelen, sind doch demokratisch gewählt! Und ist etwa Artikel 30, Absatz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg nicht vollkommen klar: „Es besteht allgemeine Schulpflicht“ – also auch freitags!?

Die Abgeordneten des Brandenburger Landtags nehmen ihre Verfassung beim Wort, komme, was da wolle. Artikel 69, Absatz 1 etwa: „Der Landtag wählt in seiner ersten Sitzung aus seiner Mitte ein Präsidium, bestehend aus dem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und weiteren Mitgliedern. Für die Wahl des Präsidenten und der Vizepräsidenten haben die Fraktionen das Vorschlagsrecht in der Reihenfolge ihrer Stärke. Jede Fraktion ist berechtigt, im Präsidium vertreten zu sein.“

Nicht so mutig wie die SchülerInnen

Aus dieser gesetzlichen Vorgabe haben die Abgeordneten im neu gewählten Landtag zu Potsdam die Verpflichtung und die moralische Rechtfertigung „in der Verantwortung vor der deutschen Geschichte“ (Helmut Kohl) abgeleitet, am Mittwoch den AfD-Abgeordneten Andreas Galau im ersten Wahlgang als Vizepräsidenten der märkischen Volksvertretung durchgehen zu lassen. Denn die AfD stellt ja nun mal die zweitstärkste Fraktion im Hohen Haus, wa?! Wer will schon so mutig sein wie SchülerInnen und sich über Regeln hinwegsetzen?

Galau bekam dabei nicht nur 13 Stimmen mehr als die 23 seiner Fraktion: Die ebenfalls neu gewählte Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) zeigte ihre weiche Kante gegen die „NPD in Blau“ (SPD-Fraktionschef Mike Bischoff), indem sie dem Ex- „Republikaner“-Mitglied Galau mit strahlendem Lächeln einen Blumenstrauß überreichte.

Möglicherweise hat sie dabei leicht abgewandelt einen Satz ihres Parteifreundes Otto Wels vor sich hingedacht, laut ausgesprochen im Reichstag am 23. März 1933: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Verfassungstreue nicht.“

„Kapitulation ohoho“

Und Galau mag, das Grünzeug in Empfang nehmend, triumphierend gedacht haben, dass dieser Kurt Tucholsky so schlecht nicht war, als Voraussehender, wie mit Faschisten immer umgegangen wird in Deutschland: „Ihr müsst sie lieb und nett behandeln, erschreckt sie nicht – sie sind so zart! Ihr müsst mit Palmen sie umwandeln, getreulich ihrer Eigenart“.

Ich selber, wenn ich dieses Bild – und ähnliche Bilder – sehe, summe nur noch „Kapitulation ohoho“ von Tocotronic vor mich hin. Nicht, dass die deutsche Öffentlichkeit keine Restsignale der Selbstachtung im Umgang mit der völkischen AfD senden würde: Die Abgeordneten im Bundestag zeigen bislang Rückgrat, wenn es darum geht zu verhindern, dass ihre Sitzungen von einem AfDler geleitet werden; und die hessische Filmförderung hat sich gerade von ihrem Chef Hans Joachim Mendig getrennt, nachdem dieser mit AfD-Kader Meuthen einen „konstruktiven politischen Gedankenaustausch“ (Meuthen) sich leisten zu müssen glaubte.

Aber die täglichen Meldungen über die Zusammenarbeit der demokratischen Parteien mit der AfD von Rügen über die Mecklenburgische Seenplatte bis nach Sachsen-Anhalt zeigen, in welche Richtung die Reise geht: Die AfD wird ohne Not zu einer normalen Partei gemacht – was das Leben vieler Menschen in Deutschland unnormal macht, was sie beleidigt und bedroht.

Das auszusprechen gilt als unfein. Aber es zu wissen kann lebensrettend sein. Danke also, Frau Liedtke, für die sprechenden Blumen – danke, Deutschland, für deine Lahmarschigkeit, deine Geschichtsvergessenheit, für deinen moralischen Bankrott. Ich habe im November meinen wichtigsten Termin des Restjahres – da bekomme ich einen neuen Reisepass.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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23 Kommentare

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  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Das ist schon ein anderer Schnack, als die Zusammenarbeit von Lokalpolitikern mit der AfD in der Wüstenei.

    Man wählt sie in Ämter und Würden, überreicht lächelnd einen Blumenstrauß, um den Kameraden verstehen zu geben, sie mögen etwas forscher vorangehen auf ihrem Weg die Demokratie abzuschaffen.

  • 0G
    06455 (Profil gelöscht)

    Das war leider zu befürchten. Macht es aber nicht besser.



    Als nächste Handlung kommt irgendwann eine Koalition mit den Nazis.



    Aus den ganzen abscheulichen Gräueltaten des vergangenen "Vogelschisses" haben wohl viele nicht gelernt oder wollen es nicht wissen.



    Diese lächelnde SPD Frau ist ....



    Ich will keine Anzeige wegen Beleidigung.

  • Erst werden sie beblümt, dann werden mit ihnen Koalitionen begonnen und wenn Höckes Tag von Potsdam kommt, hat sich hoffentlich jeder anständige Mensch in Sicherheit gebracht.

  • Man kritisiert in dem Artikel tatsächlich, dass die Landesverfassung geachtet wird?



    Nach dem Motto, Gesetze und Verfassungen sind nur relevant, wenn es uns passt.



    Klingt nach dem Demokratieverständnis eines Mr.Trump.

  • War ne demokratische Wahl und ist ne zugelassene Partei laut Wahlgesetzgebung und Grundgesetz.

    Die Partei hat 23 Prozent der Wählerstimmen bekommen und kann damit alle Posten besetzen auf die es gewählt wird und an allem teilnehmen was alle anderen auch können.

    Also ist alles so wie es sein soll.

    Alles andere wäre undemokratisch.

    • @mactor:

      hmmmm...



      dann willst Du also den abgeordneten vorschreiben, wen sie -gegen ihren willen- wählen sollen?

      was ist denn daran demokratisch?

  • Ich mag die AFD auch nicht. Aber man kann sich die Verfassung nicht biegen, wie es einem gerade passt. Die AFD ist demokratisch gewählt und damit im Parlament grundsätzlich genauso genauso zu behandeln wie alle anderen Parteien/Fraktionen auch. Wenn man das nicht will, muss man auf ein Verbot der AFD hinwirken. Das Grundgesetz stellt allerdings- mit guten Gründen - hohe Anforderungen an das Verbot einer Partei, die in Bezug auf die AFD derzeit nicht erfüllt sein dürften.

    • @Lockenkopf:

      Wussten Sie schon, dass Sie in einer Demokratie die Möglichkeit haben, sich die Diktatur selbst zu wählen, aber in einer Diktatur nicht die Demokratie wählen können?

    • @Lockenkopf:

      "Die AFD ist demokratisch gewählt"

      Ja. War die NSDAP auch.



      Hitler kam in den Reichstag durch freie und geheime Wahlen in einer demokratisch verfassten Gesellschaftsordnung.

      Das bedeutet gar nichts!

      Wenn Antidemokraten Antidemokraten wählen ist das formell ein demokratischer Vorgang. Aber eben nur formell.

    • @Lockenkopf:

      Demokratisch gewählt schon, so wie die NSDAP, aber nicht die in unserer Demokratie allgemein geltenden Werte vertretend und damit ein Gegner dieses Systems, so wie die NSDAP.

    • 0G
      06227 (Profil gelöscht)
      @Lockenkopf:

      zum Wort 'demokratisch' gehört für mich einiges mehr als 'ein Herrschaftsystem mit Souveränität des Volkes' sondern noch eine Reihe von dem was ich 'Spielregeln' nenne:



      Ablehnung von Hass & Menschenfeindlichkeit. Bekenntnis zu Wissenschaftlichkeit (bzw. Ablehnung von als unwissenschaftlich entlarvten Positionen, also 'blacklist' statt 'whitelist'). Gewaltverzicht gegenüber sowohl Mitmensch als auch Umwelt (impliziert auch verbale und psych. Gewalt). etc..



      Wenn ein signifikanter Teil der Wählerschaft diese Spielregeln ignoriert (und das als 'demokratische Freiheit' verkauft wird) kann das ganze nicht funktionieren. Eine Gemeinschaft die funktionieren soll kann nicht tolerant gegenüber der Intoleranz sein. Lösung ist komplizert weil niemand entmündigt weden will und soll - ich sehe die einzige Chance in sozial gerechter Bildung die ob. genannte 'Spielregeln' vermittelt. Und im Widerspruch.

      • @06227 (Profil gelöscht):

        Toleranz heißt ja nicht Gleichgültigkeit. Widerspruch, Aufklärung, alles wunderbar. Aber ich kann einer gewählten Partei nicht aus inhaltlichen oder ideologischen Gründen weniger parlamentarische Rechte zugestehen als anderen Parteien. Man stelle sich mal vor, wie laut der Aufschrei des Autors des obigen Artikels ausfallen würde, wenn der parlamentarische Bannstrahl der anderen Parteien etwa Die Linke treffen würde.

        • 0G
          06227 (Profil gelöscht)
          @Lockenkopf:

          Widerspruch kann durchaus bedeuten, eine*n Vertreter*in der AfD -ganz demokratisch- nicht als Parlamentsvize zu wählen. Klappt im Bundestag ja auch (noch). Mehrheitlich in so ein Amt gewählt zu werden (also mit Stimmen der demokratischen Parteien) ist kein parlamentarisches Recht.



          Die Stelle der Landesverfassung '...jede Fraktion hat das Recht vertreten zu sein...' muss sich nach meinem Empfinden der Gewissensentscheidung für oder gegen entsprechende Kandidat*innen zu stimmen unterordnen. Selbst wenn sich da ein 'Regelbruch' hineininterpretieren lässt.

    • @Lockenkopf:

      Ach so. Gewählt zum Vize von wem? Dann sind Blumen und ein Lächeln samt Pfötchen geben von einer Sozialdemokratin also demokratische Pflicht? Ekelhaft, wie wenig Rückrad diese zu bieten hat.

      • @Vollgut2000:

        "Dann sind Blumen und ein Lächeln samt Pfötchen geben von einer Sozialdemokratin also demokratische Pflicht? "

        Ihre frage zeigt einen weg auf wie man es richtig machen könnte:in keinem artikel irgendeiner landesverfassung steht geschrieben dass repräsentanten rechtspopulistischer parteien einen rechtsanspruch auf



        " Blumen und ein Lächeln samt Pfötchen geben" haben.

        die verweigerung solcher höflichkeitsrituale gegenüber einer partei die gegen die grundwerte einer demokratischen gesellschaft verstösst



        ist eine möglichkeit deren nichtakzeptanz öffentlichkeitswirksam symbolpolitisch zum ausdruck zu bringen

  • Starker Beitrag. Ich weiß auch nicht, was das ist, das zu dieser indifferenten "einer von uns"- Haltung führt. Als könnten Nachbarn keine Nazis sein. Oder wieso es immer noch Leute gibt, die glauben, dass wenn man sich die Brandstifter ins Haus holt, sie dieses Haus dann doch wohl verschonen werden. Antidemokraten als Hüter der Demokratie, es ist der reine Wahnsinn. Wieso ist Meinungsfreiheit neuerdings die Freiheit zu jeder beliebigen Meinung? Und wieso wird möglichen Lehren aus der Vergangenheit zunehmend mit dem Satz begegnet, das sei ja doch nicht vergleichbar?



    Ich fürchte, der Hauptgrund ist Faulheit.

    • 0G
      06227 (Profil gelöscht)
      @Benedikt Bräutigam:

      v.A. wir Meinungsfreiheit neuerdings als Immunität gegen Widerspruch verstanden.



      Tatsächlich ist die berliner Republik mit der weimarer mehr schlecht als Recht vergleichbar, und die 'lehren aus der Vergangenheit' halte ich für ein...ungesundes Argument. Das würde ja im Umkehrschluss bedeuten dass der Antisemitismus in den 20ern noch in Ordnung ging - es gab ja keine Vergangenheit aus der man Lehren ziehen konnte. Es braucht keine historische Evidenz um Menschenfeindlichkeit abzulehnen.

  • Nun habt euch doch nicht so. Der Mann sieht doch nett aus, ein wenig feist vielleicht und Grinsen und Blick etwas von oben herab, aber das durchaus verständlich, denn so geht Machtergreifung in "langsam aber sicher". Danke SPD!

  • Ich bin sehr dafür, die AfD in Quarantäne zu stecken, eben wegen des Normalisierungseffekts, möchte aber anmerken, dass ein Verfassungsorgan (der Landtag) ein nicht ganz so entspanntes Verhältnis zum Gesetz, zur Landesverfassung gar, haben sollte wie streikende Schüler*innen.

  • Die Tatsache ist halt, dass diese Partei diskriminiert wird, was eigentlich demokratischen Prinzipien zuwiderläuft. Entweder man glaubt an Demokratie oder eben nicht. Dann muss man auch die Prinzipien leben. Die politische Bekämpfung der Opposition muss sich an die Regeln halten, nämlich das, was man auch gegen sich in der Opposition akzeptieren würde

    Der Verweis auf Otto Wels zeigt die ganze Hysterie. Die AfD hat nicht vor unser politisches System abzuschaffen, die Verfassung mit einem Gesetz auszusetzen und die Abgeordneten der derzeitigen Regierungsparteien zu inhaftieren.

    Die Tatsache ist aber, dass gelebte Demokratie in Deutschland gar nicht verstanden ist und Hysteriker unsere Demokratie untergraben:

    " die hessische Filmförderung hat sich gerade von ihrem Chef Hans Joachim Mendig getrennt, nachdem dieser mit AfD-Kader Meuthen einen „konstruktiven politischen Gedankenaustausch“ (Meuthen) sich leisten zu müssen glaubte."

    Ja, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, der Chef der Filmförderung muss gehen, weil er mit der parlamentarischen Opposition redet. Verrücktes Land.

    • @Ansgar Reb:

      Eine Partei, die einen Höcke zum Landesvorsitzenden hat, der sich offen Wölfisches raunend zu Säuberungsaktionen bekennt, ist eine Nazipartei, die nur noch nicht verboten wurde. Das Bekämpfen des Gegners ist zudem geradezu eine Grundlage demokratischer Gemeinwesen. Und implizieren Sie hier nicht so eine Mär, die AfD würde nicht alle möglichen Menschen und Haltungen als "links" titulieren und bekämpfen, von der Presse über Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, NGOs bis hin zur Kultur. Das Schwadronieren, was nach der "Machtergreifung" alles getan werden soll können Sie sich aus Verlautbarungen verschiedenster Parteimitglieder mal vor Augen führen, um zu begreifen, dass es mit einem Button im BT noch lange nicht getan ist.

    • @Ansgar Reb:

      Zustimmung in allen Punkten. Zudem kommt der AfD die Hysterie, die um sie veranstaltet wird, auch noch zugute, weil sie sich herrlich in der Opferrolle suhlen kann. Noch ein Grund, sie wie eine ganz normale Partei zu behandeln.

  • …anschließe mich.

    Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen.



    Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch.



    Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals.



    Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist,



    während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.

    Bertolt Brecht Flüchtlingsgespräche 1940/41

    unterm—



    Dieses Ranwanzen hat leider dorten Tradition.



    Manfred Stolpe (ja ja IMSPD) moderierte mal.



    In alter Frische - auf allen Schultern tragen - ne Runde.



    Bis ihm jemand unauffällig steckte - das mit - auch NPDler!



    Käme vielleicht nich so gut. 👹