ORTSTERMIN: DIE „TITANIC“ FEIERT IHREN SIEG ÜBER DEN PAPST VOR DEM HAMBURGER LANDGERICHT: „Aus den Tränen junger Knaben“
Die Nacht war lang. Kein Wunder: Man gewinnt schließlich nicht jeden Tag gegen den Papst. Sechs Männer und Frauen sitzen auf der Mauer vor dem Hamburger Landgericht. Sie trinken Bier aus Flaschen. Müde sehen sie aus. „Es ging schon etwas länger gestern“, sagt einer.
Die Party stieg, weil der Vatikan seine einstweilige Verfügung gegen das Satiremagazin Titanic zurückgezogen hat. Das Blatt hatte den Papst auf einer Titelseite mit gelben Flecken in der Leistengegend abgebildet. Ein undichter Papst – es sollte eine Satire auf die „Vatileaks“ genannte Affäre sein, bei der Interna aus der Papstumgebung nach draußen drangen.
Fanta sei das im Papst-Schritt, sagen die Titanic-Redakteure. Der Heilige Stuhl sah das anders, am Freitag sollte es zur Verhandlung kommen. Einen Tag vorher machte der Vatikan dann seinen Rückzieher – und die Titanic lud trotzdem zum Happening ein.
Hupend fährt ein weißer Ford-Transporter vor: Verstärkung. Weitere Mitstreiter bringen Kaffee. Ein Zelt wird ausgeladen, die Stangen fallen scheppernd zu Boden. Es war tatsächlich ein langer Abend. Ein junger Mann in grauer „Die Partei“-Uniform („100% Polyester“) nimmt einen kräftigen Schluck aus einer Dose. Auf dem Etikett steht „Weihwasser“. „Aus den Tränen junger Knaben“, sagt ein dicker Uniformierter mit Fliegerbrille.
Die Polizei küommt vorbei. So eine Aktion muss natürlich angemeldet sein. „Sind Sie verantwortlich?“, fragt der Beamte den Dicken. „Jein. Ich bin der Stellvertreter.“ – „Können Sie sich ausweisen?“ – „Nö.“ Ein anderer wedelt mit der Hand: „Ich hab einen Ausweis. Ich bin der Stellvertreter vom Stellvertreter.“ Später wird er sich noch als Propagandaminister vorstellen.
Mittlerweile liegt auch Stroh auf dem Boden, schließlich soll echte Mittelalter-Atmosphäre geschaffen werden. Um zu zeigen, „was Katholizismus wirklich bedeutet“, klärt der Dicke auf. Ein anderer hat sich eine schwarze Kutte übergeworfen, ein Holzkreuz baumelt um seinen Hals. Er segnet die umstehenden Journalisten und Passanten und nimmt einen Schluck Weihwasser.
Und dann ist er endlich da, der Boss: Titanic-Chefredakteur Leo Fischer. Mit typischem, leichtem Grinsen und weißem Hemd begrüßt er seine Mitstreiter. „Moin, Leo, na, schon wach?“, wird ihm entgegengerufen. „Ging mir schon mal besser“, sagt Fischer. Reeperbahn. Goldener Handschuh. So genau weiß er das nicht mehr.
Auf einmal steht ein Eisbär da. Er stimmt „Funky Town“ an, tänzelt durch die Menge – und wird fast von einer umfallenden Konstruktion erschlagen, an der das Titanic-Papst-Cover aufgehängt ist. Das Gesicht ist ausgeschnitten, damit Passanten ihre Köpfe hindurchstecken können. Eine Pipi-, äh, Fanta-Fleck-Attrappe kann nach Belieben angehalten werden.
„Hurra. Der Besen ist da“, ruft eine Frau. Später soll noch symbolisch eine Hexe verbrannt werden. Das diene alles der humanistischen Aufklärung.
Ist der Kirchen-Kreuzzug nun vorbei? „Ich möchte mich nicht mehr mit der katholischen Kirche befassen“, sagt Fischer. „Wir sind nicht nur für diese Hetze da, sondern für Hetze aller Art.“
BENJAMIN KNAACK
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