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„Skaten, ein Lebensgefühl“

Die Skateboardszene steckt irgendwo zwischen Subkultur und professionellem Sport. Veith Kilberth promoviert dazu an der Uni Flensburg. Er sieht Olympia als fremde Macht

Skatet auch selbst: Veith Kilberth Foto: Daniel Wagner

Interview Carlotta Kurth

taz: Herr Kilberth, Skaten gilt seit den 1970er-Jahren als alternative Subkultur, die rebellieren will. Gegen was eigentlich?

Veith Kilberth: Im Sinne einer „Counterculture“ geht es darum, anders zu sein, nonkomform und selbstbestimmt. Zwar ist das leiser und weniger aggressiv geworden, aber das macht die Skateboardkultur immer noch aus.

Warum forschen Sie in Flensburg zu so einem Thema?

Professor Jürgen Schwier lehrt hier an der Europa Universität und einer seiner Forschungsschwerpunkte sind Trendsport und sportbezogene Jugendforschung. Er war einer der ersten Forscher, die sich Ende der 1990er-Jahre mit dem Phänomen Skateboarding wissenschaftlich auseinandergesetzt haben.

Ist Skateboarding in der Wissenschaft ein Spezialthema?

Ja. Jürgen Schwier und ich haben einen wissenschaftlichen Band über Skateboarding herausgegeben, der das Spannungsfeld zwischen jugendlicher Bewegungskultur und Kommerzialisierung behandelt. In der Wissenschaft wird Skateboarding erst jetzt etwas populärer.

Inwiefern grenzt sich Skateboarding gegenüber anderen Sportarten ab?

Durch seine Ausdrucksfähigkeit. Skaten durchdringt all deine Lebensbereiche, alle deine Freunde sind Skater und Skaterinnen, die Klamotten, die Musik hat etwas damit zu tun. Es ist identitätsstiftend. Skaten wird so zu einem Lebensgefühl. Man kann experimentieren und selbstbestimmt an seine Grenzen gehen, ohne dass es von außen vorbestimmt wird. Es ist ein Vehikel der jugendlichen Vergemeinschaftung.

Ist das der Grund, warum viele Skater dagegen sind, dass Skaten 2020 olympisch wird?

Also mit X Games und Street League haben wir ja schon seit längerem so etwas wie Weltmeisterschaften. Aber mit den Olympischen Spielen geht die sportliche Institutionalisierung von Skateboarding einher. Das heißt, es wird zu einer offiziellen Sportart. Regeln müssen erlassen und Kampfrichter sowie Trainer ausgebildet werden. Die Welt des Leistungssports wirkt befremdlich auf die Skateboard-Szene. Man hat das Gefühl, dass die Identität von Skateboarding neu verhandelt wird. Mit Olympia greift eine fremde Macht ein.

Wer sind die Skateboarder, die Olympia unterstützen?

Das sind eigentlich nur diejenigen, die direkt davon profitieren. Wettbewerbsskater, die sich genau in diesem Bereich sehen, die einen Trick trainieren nur für einen bestimmten Wettkampf. Das ist aber wirklich die Minderheit der Skater.

Wird es nach Olympia zwei Lager geben?

Es gibt durchaus ein gewisses Potential dazu. Dadurch, dass es aber nur wenige sind, die Olympia befürworten, wird es nicht die ganze Szene spalten. Je mehr Skateboarding in die Sportrichtung geht, umso mehr Skateboarder wollen sich davon abgrenzen. Die subkulturelle Gestalt wird also wenig beeinflusst.

Foto: Leo Preisinger

Veith Kilbert, 43, ist Sportwissenschaftler und promoviert an der Uni Flensburg über die Skateboardkultur. Er war selbst Profi-Skateboarder und ist Mitinhaber des Skatepark-Planungsbüros „Landskate“.

Sind Sie pro oder kontra?

Ich schließe mich der Haltung von Tony Hawk und Co. an, die sagen, dass Olympia Skateboarding mehr braucht als Skateboarding Olympia. Aber ich sehe durchaus auch die positiven Aspekte, wie die Förderung der Teilhabe von Frauen oder die infrastrukturelle Förderung. Perspektivisch werden vielleicht mehr Skateparks gebaut. Außerdem wird sich der Bekanntheitsgrad von Skateboarding weltweit erhöhen.

Warum glauben Sie, dass durch Olympia mehr Frauen skaten werden?

In Tokio treten insgesamt 40 Männer und 40 Frauen an, wobei dieses paritätische Verhältnis überhaupt nicht den aktuellen Stand widerspiegelt. Eigentlich sind es derzeit grob geschätzt nur zehn Prozent Mädchen und Frauen, die skaten. Dadurch, dass durch die Olympia-Teilnahme auch das Frauenskaten gefördert wird, ist es viel populärer geworden. Das hat auch dazu geführt, dass es bei immer mehr Wettkämpfen Frauengruppen gibt, was in der Vergangenheit nicht selbstverständlich war. Gleichzeitig werden zunehmend Skaterinnen von Marken der Skate-Szene unterstützt.

Haben es Frauen tendenziell denn schwerer in der Szene?

In der Vergangenheit war das eindeutig der Fall. In den letzten Jahren hat sich jedoch einiges in eine positive Richtung verändert. Trotzdem kann von gleichen Verhältnissen jetzt noch nicht die Rede sein. Frauen sind aufgrund der relativ starken Sportförderung gewissermaßen verdammt, bei Sportwettbewerben mitzumachen. Das heißt, dass, um gefördert und gesponsert zu werden, sich Skateboarderinnen vor allem auf das Trickkönnen konzentrieren müssen. Männer haben hingegen zwei Zugänge zu Sponsoren: einerseits durch Wettbewerbsergebnisse und andererseits mittels Video-Dokumentationen von Tricks auf der Straße. Das wird von den Skatern und den Marken der Szene am stärksten geschätzt. Hier gibt es ein großes Potential der Frauen, zu den Männern aufzuschließen.

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