Klaus-Helge Donath über die Umweltproteste in Russland: Die Angst lässt nach
Im Sommer ging es in der russischen Hauptstadt Moskau hoch her. Nicht nur junge Leute demonstrierten gegen die Versuche der Herrschenden in der Hauptstadt, Kandidaten aus den machtfernen Zirkeln von der Wahl zum Stadtparlament auszuschließen. Die Strategie des Kreml ging zunächst auch auf, ungeliebte Bewerber aus oppositionellen Kreisen fernzuhalten. Trotz Erfolg zeigte sich jedoch, wie schwierig es der politischen Führung fällt, die Zügel in der Hand zu halten und auf Gewalteinsätze zu verzichten, um nicht noch mehr Menschen gegen sich aufzubringen.
Auch der landesweite Test der Öko-Protestler an diesem Wochenende, aus der Vereinsamung des ökologischen Widerstands herauszutreten, ist bisher nur ein Versuch. In den letzten Jahren gab es viele Demonstrationen und Unmutsbekundungen in fast allen Teilen Russlands. Die meisten blieben jedoch disparat und isoliert. Nur selten gelang es, Gemeinsamkeiten über einzelne Probleme hinaus zu nutzen. Trotz engerer Kommunikation und neuer Medien, die das Vernetzen so viel einfacher machen als früher. Der Ansatz, Vereinsamung und Vereinzelung zu überwinden, wird nicht sofort durchschlagenden Erfolg zeitigen. Es mag aber als Zeichen gelten, dass sich das Bewusstsein der jüngeren Generation verändert. Wichtiger vielleicht sogar: die Aktivisten nehmen bewusst in Kauf, von der repressiven Staatsmaschinerie drangsaliert zu werden. Die Angst lässt nach. Früher, zur Sowjetzeit, galt dies nur für ein kleines Häuflein von Dissidenten.
Die Annahme, diese Formen des Aufbegehrens seien bereits die Keimzelle eines unaufhaltsamen Wechsel des Systems, ist gleichwohl überzeichnet. Häufiger erlitten Russlands oppositionelle Kräfte, wie etwa 2012, Rückschläge, mit denen nur wenige in dieser Härte und Reichweite gerechnet hätten.
Wie der Staatsapparat mit diesen Protesten umgeht, ist entscheidend. Befriedigt er bestimmte Bedürfnisse, lässt er sich auf die Unzufriedenen ein, legt er wieder so ein Mittel auf wie die Annexion der Krim, wo kaum einer außen vor bleiben wollte? Alles ist denkbar – auch wenn es von außen so aussehen mag, als hätte die kleine Riege auf der Machtetage im Kreml weder Kraft noch Rettungsvisionen.
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