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Die Mär vom Grünen-BallonverbotAufgeblasener Zankapfel

Einfach zu verlockend: Zwar will Niedersachsens Grünenchefin gar keine Luftballons verbieten, aber Karriere machte diese die Behauptung trotzdem.

Wenn das die Freiheitsfreunde sehen: aufblasbares, nicht ganz frisches Grünen-Wahlkampfhilfsmittel Foto: dpa

Hamburg taz | Es war eine Sache von Stunden: Mitten in der Nacht zum Donnerstag schickte die Neue Osnabrücker Zeitung eine Vorabmeldung in die Welt, „Niedersachsens Grüne für Luftballonverbot“, stand oben drüber. Demnach hatte die Landesvorsitzende der Aufwind-Partei, Anne Kura, dem Blatt gegenüber begrüßt, dass sich das nordrhein-westfälische Gütersloh Anfang September zur „ballonfreien Zone“ erklärt habe.

Genauer besehen hatte der örtliche Umweltausschuss nur beschlossen, dass in der Bertelsmann-Bastion auf öffentlichen Flächen und bei städtischen Veranstaltungen keine mit Gas gefüllten Luftballons mehr in die Luft steigen sollen. Aber mit der Genauigkeit war’s so eine Sache am Donnerstag.

Auch wenn der Ballon, historisch gesprochen, ein Londoner ist, 1824 erfunden von Michael Faraday an der Royal Institution: Es war kein antienglischer, kein aus Brexittrotz sich speisender Impuls, sondern ein, nun ja, grüner: Kura hatte presseöffentlich ja einfach nur darüber nachgedacht, dass dem vergleichsweise kurzen Spaß am aufsteigenden Gummihohlkörper der qualvolle Tod von Vögeln gegenübersteht: Die fressen später in der Landschaft herumliegende Ballonfetzen und verhungern, den Bauch voll Gummi. Applaus kam für die Gütersloher Idee dann auch aus Mecklenburg-Vorpommern, unter anderem, von BUND und, tja, Grünen.

Auch wenn sich nun eine ballonfreie Bad Zwischenahner Woche abzeichnet: Die anfängliche Nachricht wurde recht bald korrigiert von Neuer Osnabrücker (und der so flugs verbreitenden Agentur). Aber Grüne und Verbot: Es war wohl einfach zu verlockend für Augenmaß oder gar Faktentreue, nach Veggie-Diktatur in Kitas und Verbrennungsmotoren-Stalinismus.

Grüne und Verbot: einfach zu verlockend für Augenmaß oder gar Faktentreue

Dazu dann mit Meinungen die Erdatmosphäre weiter aufzuheizen, und das so erwartbar wie möglich: Das ging schneller, als so ein Luftballon platzt. FDP-Funktionsträger und wirtschaftsnahe Presse wähnten, klar, die Freiheit in Gefahr, auch die Niedersachsen-CDU twitterte eine Traurige-Kulleraugen-Optik: Am aufgeblasenen Gummi zu rühren, das scheint unter diesen Leuten ein Angriff auf unbeschwerte Kindergeburtstage, ach was: die Kindheit an sich zu sein – und die ist ja ohnehin nicht mehr, was sie war, mit all den verordneten „Schaumküssen“ und orwellsch neugeschriebenen „Die kleine Hexe“-Ausgaben. Und die AfD … ach, nicht noch mehr Bühne für diesen haufen.

Hatten wir oben vom allzu Erwartbaren geschrieben? Den Kontrapunkt setzte ausgerechnet SPD-Landeswirtschaftsminister Lies per Griff zum Poesiealbum – oder ließ eine Pressemitteilung zum Grundrecht auf die zivile Luftfahrt remixen, wer weiß: „In den Himmel steigende Luftballons haben die Menschen schon immer mit Träumen und Hoffnungen verbunden“, teilte jedenfalls sein Ministerium mit. „Warum sollten wir ihnen diese Gefühle nehmen?“

Kinder ohne Freude also, ja: der Mensch, aller seiner Träume beraubt: Man konnte sich vorkommen wie in einem Michael-Ende-Buch. (Dürfen die eigentlich noch so erscheinen, wie wir sie, mehr oder minder zufällig, kennen?)

Vergleichsweise neu war dann doch noch etwas in der bundesweit resonierenden Erregungsfarce: Ein Kommentator des Berliner Tagesspiegels korrigierte sich angesichts der geänderten Ausgangsnews und thematisierte dabei ganz kritisch sein persönliches Framing: „Als die dpa am Donnerstagmorgen meldete, die Grünen in Niedersachsen würden generell Luftballons verbieten, habe ich das geglaubt“, schrieb also jener Joachim Huber. „Warum habe ich das getan? Ich traue den Grünen ein solches Verbot durchaus zu.“

Ach ja, die Wasser-predigen-und-Wein-trinken-Trope durfte nicht fehlen: Die ganz Plietschen unter den Framenden entdeckten, dass die vermeintliche Habeck-Fanpartei, das Vogelwohl an anderer Stelle bereitwillig der Wind-Lobby unterwerfend, so heißt es, selbst einen „Luftballon Europa“ als Wahlkampfmittel feilbietet, 15 Cent das Stück. Das Naturkautschuk-Ding freilich ist im Shop mit dem Hinweis versehen: „Der Umwelt zuliebe bitte nur in Innenräumen verwenden!“ Aber auch das las wohl nur, wer das wollte.

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