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Italiens RegierungskriseEin kühnes Experiment

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

RegItaliens Sozialdemokraten wollen mit ihrem Eintritt in die Regierung Schlimmeres verhindern. Es könnte ihnen sogar gelingen.

Nicola Zingaretti ist erst seit März 2019 PD-Chef. Jetzt wird es ernst für ihn Foto: imago images/Independent Photo Agency Int.

J etzt sieht es also doch danach aus, dass Italien in Zukunft von der populistischen Partei Fünf Sterne gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) regiert wird. Nach tagelangem Gezerre bis hin zur offenen Feindseligkeit bewegen sich die beiden aufeinander zu, anscheinend gewillt, unter dem alten Premier – Giuseppe Conte – eine neue Regierung aufzulegen.

Es wäre mehr als nur eine neue Regierung– eine solche Koalition ist Wagnis, ein kühnes Experiment. Denn bis vorgestern waren das Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) und der PD nur durch eines verbunden: Abneigung, Hass, Feindschaft. Und natürlich stellt sich die Frage, ob da eine Koalition entsteht, die durch nichts als den Selbsterhaltungswillen und die Angst vor Neuwahlen zusammengehalten werden würde.

Noch vor drei Wochen, als der rechtspopulistische Lega-Chef Matteo Salvini aus heiterem Himmel die Regierung platzen ließ, verkündete PD-Chef Nicola Zingaretti, es gebe keine Alternative zu Neuwahlen. Doch sowohl sein Vorgänger und innerparteilicher Gegenspieler Matteo Renzi, der die Parlamentsfraktionen kontrolliert, als auch viele Zingaretti-Gefolgsleute zogen da nicht mit, setzten durch, dass der PD versucht, mit den Fünf Sternen ein Bündnis zu schmieden.

Die Logik dieses Projekts leuchtet ein: Es geht hier um nichts weniger als darum, den Griff Salvinis nach der „ganzen Macht“ (so er selbst) zu verhindern – also zu vermeiden, dass einer der wichtigsten EU-Staaten komplett in die Hände eines italienischen Viktor Orbán fällt.

Dieses Übel konnte immerhin verhindert werden. Doch wie wirkt sich ein solches Bündnis auf die eigenen Erfolgsaussichten aus? Diese Frage muss sich vor allem Zingaretti stellen. Er ist erst seit März 2019 als Parteichef im Amt, ihm war es gelungen, einen leisen Aufschwung einzuleiten, als er den PD bei den Europawahlen auf gut 22 Prozent führte, nachdem er bei den nationalen Wahlen 2018 auf nur noch 18,7 Prozent abgestürzt war.

Jetzt hingegen hätte die neue Koalition erst einmal die eher unschöne Aufgabe, den Staatshaushalt 2020 zu verabschieden – und da steht die unpopuläre Aufgabe an, Milliarden einzusparen. Eben diese „staatspolitische“ Verantwortung nannte Renzi, als er den Regierungseintritt des PD forderte. Doch gerade mit solchen höheren Verantwortungen hat der PD mehr als schlechte Erfahrungen gemacht. Im November 2011 verzichtete er – damals als sicherer Sieger gehandelt – nach dem Sturz Silvio Berlusconis auf sofortige Wahlen, um stattdessen mitten in der Eurokrise das Blut-, Schweiß- und Tränenkabinett Mario Montis mitzutragen. Die Wahlen vom Februar 2013 sahen dann den Triumph der Fünf Sterne.

Ein gleicher Abstieg des PD auch diesmal lässt sich nur verhindern, wenn die Partei es schafft, gemeinsam mit dem M5S ein ehrgeiziges Reformprogramm anzuschieben. Dafür sind die Voraussetzungen gar nicht einmal so schlecht. Ob die Steuerpolitik – Entlastung der unteren und mittleren Einkommen statt der von Salvini zugunsten der Gutverdiener angestrebten Flat Tax –, ob ein gesetzlicher Mindestlohn, Investitionen in die Green Economy international die Abkehr von Salvinis Europabashing (die Fünf Sterne stimmten im Europaparlament für von der Leyen): Die Schnittmengen zwischen PD und Fünf Sternen dürften größer sein als die zwischen Fünf Sternen und Lega.

Über wenigstens eine positive Voraussetzung verfügt Zingaretti bei diesem Experiment: Nachdem ausgerechnet sein innerparteilicher Gegner die Wende im PD eingeleitet hat, steht die Partei geschlossen hinter dem Versuch, in die Regierung zu gehen. Doch für Zingaretti bleibt Renzi – womöglich stärker noch als die Fünf Sterne – die größte Hypothek. Es wird sich zeigen müssen, ob er auch in Zukunft als einer der größten Ego-Shooter der italienischen Politik auftreten will oder aber ob er wirklich so etwas wie „staatspolitische“ Verantwortung kennt.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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5 Kommentare

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  • Wenn die Koalition erfolgreich sein soll in einem abwehrkampf gegen die neuen italienischen Faschismus, muss man unbedingt die Landbevölkerung des Südens und vor allem Sardiniens eine ökonomische Perspektive geben, das wird und klingt reformistisch, nicht ohne eu Programme möglich sein, der Aufbau von interkulturelle Genossenschaften sowohl Agrar, als auch kultureller think Tanks , wie es die italienische Linke formuliert, wären Anlass für konkret Utopien. Gramsci neu denken

  • 9G
    94778 (Profil gelöscht)

    Die unschöne Aufgabe Milliarden einzusparen.



    Genau darum geht's. Wo wird gespart? bei den kleinen Leute.



    Was passiert. In 5 Jahren HABEN sie einen italienischen Orkan, was ja Sinn und Zweck der Übung ist. Auch bei den tollen"'Sozial' Demokraten'", von denen die Faschos nur verlängerter Arm und Erfüllungsgehilfe sind. Es sind halt Kapitalisten.



    Frei Bahn für freie Wirtschaft . Die Fascho- Ideologie gibt's dann als Beilage für die abgehängten Massen gratis.



    Der Laden brummt. Was will man mehr.



    "Hinter dem Faschismus steht das Kapital "

    • 9G
      94778 (Profil gelöscht)
      @94778 (Profil gelöscht):

      ...italienischen Orban..

  • wenn in italien dauerhaft eine übernahme des staates durch rechtspopulisten und neofaschisten verhindert werden soll,müssen deutschland und die eu aufhören italien neoliberale spardiktate aufzuzwingen,die zur zunahme von armut sozialer ungleichheit und abstiegsängsten führen



    wenn berlin und brüssel ihre politik gegenüber italien nicht ändern wird herr Salvini davon profitieren .und das wäre für das europäische projekt sehr schlecht.



    italien sollte es erlaubt und ermöglicht werden ein ökokeynesianisches konjunkturprogramm im dienste des klimaschutzes und der vollbeschäftigung aller die arbeiten wollen zu realisieren



    das wäre auch für griechenland das beste.und ohne griechenland und italien gibt es kein europa



    die europäische union sollte beschliessen dass ab dem jahre x alle schiffe die europäische häfen anlaufen keine oder möglichst geringe kohlendioxidemmissionen und giftigen abgase mehr verursachen dürfen.



    das würde viele arbeitsplätze in den werften schaffen



    auch der bau von mobilen windkraftwerken auf den ozeanen ,die europa mit dem energieträger wasserstoff versorgen,die ökologische landwirtschaft und die ökologische modernisierung der grossstädte ,die gewinnung von rohstoffen im asteroidengürtel ,die verbesserung der pflege und anderer leistungen des gesundheitswesens , und die erweiterung des öffentlichen angebotes von bildung und kultur können viele arbeitsplätze schaffen.



    gleichzeitig soll der arbeitszwang in ganz europa abgeschafft werden.arme dürfen nicht mehr durch die drohung des totalentzugs jeder sozialen sicherheit entrechtet und geknechtet und in den niedriglohnsektor gezwungen werden.



    wenn es beim lohnabstandsgebot bleiben soll bedeutet das dass die löhne steigen müssen



    eine derartige politik wäre möglich hat aber das ende des freihandels und die einführung von kapitalverkehrskontrollen zur vorraussetzung.



    wenn die eu eine zukunft haben will muss sie sich vom neoliberalismus verabschieden

  • "komplett in die Hände eines italienischen Viktor Orbán fällt..."

    Fast schon eine Verharmlosung Salvini's