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Filmfestspiele mit FamilienthemenDer Baum, an dem alles endet

Familiengeschichten bei den Filmfestspiele von Venedig: „A Herdade“ behandelt Dynastien in Zeiten der Nelkenrevolution.

Schauspielerin Sandra Faleiro Foto: ap

D ieser Jahrgang der Filmfestspiele von Venedig ist, neben seinem Interesse an Zeitgeschichte, einer der Familiengeschichten. Einige davon sind beeindruckend, andere eher weniger. Dazu am Montag mehr. Zu den besseren Beispielen von Familienthemen im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig gehört „A Herdade“ („The Domain“) des portugiesischen Regisseurs Tia­go Guedes. In diesem Fall auch, weil sich bei ihm zeitgeschichtliche Fragen untrennbar mit den internen Angelegenheiten der porträtierten Familie mischen.

Ein älterer Mann ist zu Beginn des Films auf einem weiten Feld bei Sommerwetter zu sehen. Hinter ihm eine große Limousine. Die Kamera schwenkt langsam nach links, gibt den Blick auf einen wuchtigen Laubbaum frei, an dem, wie am Ende der Kamerafahrt zu sehen ist, ein lebloser Körper baumelt. Der Mann befiehlt seinem Begleiter, er solle João aus dem Wagen holen. Ein Junge erscheint, blass, stellt sich zu dem älteren Mann. Der sagt zu ihm: „Sohn, ich will, dass du dies siehst, damit du weißt: Wenn etwas vorbei ist, ist es vorbei.“

Im Jahr 1976 ist dieser João Fernandes, der als Kind seinen toten Bruder anschauen musste, mittlerweile ein stattlicher Mann und der Eigentümer des Lands, auf dem der Baum weiterhin steht. Das Landgut der Familie Fernandes ist riesig, man baut von Getreide bis zu Wein so ziemlich alles an, was der Boden hergibt. Obwohl João als unbestrittener Autokrat auf seinem Anwesen herrscht, ist er liberalen Ideen zugeneigt. Mit dem salazaristischen Regime will er denn auch nichts zu tun haben, so weit irgend möglich. Regierungsvertretern gegenüber, die ihn auf seinem Grund unerbeten besuchen, verhält er sich entsprechend selbstbewusst undiplomatisch.

Dann überträgt eines Tages das Fernsehen die Bilder vom Ende der Nelkenrevolution, die zum Sturz der Diktatur in Portugal führt. João, von Albano Jerónimo mit schnittig-herrischer Männlichkeit gegeben, will erst noch nicht so richtig begreifen, dass das auch für ihn Änderungen einläutet. Er versucht sich aber mit den Kommunisten, so gut es irgend geht, zu arrangieren. In der Familie selbst duldet er hingegen nach wie vor keinen Widerspruch. Dass insbesondere seine Frau Leonor (gebrochen gefasst: Sandra Faleiro) einen hohen Preis dafür zahlen muss, die Frau eines mächtigen Großgrundbesitzers zu sein, macht der Film sehr früh deutlich. Bis dann irgendwann das Ende auch dieser patriarchalen Herrschaft absehbar wird.

Regisseur Tiago Guedes lässt die Machtverhältnisse dieser Familie mit Hofstaat sichtbar werden

Tiago Guedes konzentriert sich zunächst auf seine Hauptfigur João, lässt im Figurenkarussell um ihn herum jedoch allmählich die Machtverhältnisse, persönlichen Konstella­tionen und Komplikationen dieser Familie mitsamt eigenem Hofstaat sichtbar werden. Und zeichnet nach, wie der Wunsch, eine Familiendynastie, als bürgerliche Form der Aristokratie, fortzuführen, an ihr natürliches Ende kommt, sobald sich niemand mehr in der Familie findet, der an dieses Imperium glaubt.

Der Baum vom Anfang wird auch am Ende des Films noch einmal als Symbolbild gezeigt. Diesmal nicht mehr bei Tag, sondern in finsterer Nacht, in der sich bloß noch die Schatten der Figuren gegen den dunklen Himmel abheben. Der Baum indes wächst weiter, egal, wem er gehört.

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Kulturredakteur
Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.
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