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Kritik an Bremer SPD-Fraktionschef„Ein Foto stellt keine Nähe her“

Für heftige Reaktionen gesorgt hat Mustafa Güngörs Wahl zum Chef der Bremer SPD-Fraktion: Den Verdacht der AKP-Nähe weist er zurück.

Emotionen sind doch etwas Schönes! Mustafa Güngör in seinem neuen Büro. Foto: Kay Michalak (Fotoetage)
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Güngör, wie wollen Sie die gespaltene Fraktion wieder zusammenführen?

Mustafa Güngör: Wir haben keine gespaltene Fraktion.

Ihr Wahlergebnis von 11 gegen 12 klingt danach.

Wenn sich eine Fraktion bei zwei geeigneten Kandidaten für ein Amt, mit der denkbar knappsten Mehrheit für einen von beiden ausspricht besagt das nur: Beide hätten es machen können, jeweils mit eigenen Akzenten vielleicht, aber beide mit dem klaren Auftrag, in den Stadtteilen das Vertrauen zurückzugewinnen und den Rechtsruck in dieser Gesellschaft zu bekämpfen.

Im Interview: Mustafa Güngör

Mustafa Güngör, 41, ist Politologe und selbstständiger IT-Kaufmann, er wurde Montag zum Vorsitzenden der SPD-Fraktion gewählt, deren bildungspolitischer Sprecher er seit 2007 ist. Er ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Osterholz und war von 2006 bis 2008 Juso-Chef in Bremen Stadt.

Als Bildungspolitiker ist Ihnen wichtig, integrativ zu wirken …?

Man muss in der Politik immer integrativ wirken. Es geht meistens um das Zusammenführen verschiedener Interessen – neben der eigenen, sozialdemokratischen Programmatik. Alle Stadtteile und Quartiere haben unterschiedliche Bedürfnisse – und ich will, dass wir eine klar quartiersbezogene Politik machen. Da kann ich als inte­grierter Bürger vielleicht schon meinen Teil zu beitragen, bestimmt auch als Bildungspolitiker – aber in erster Linie als Sozialdemokrat. Wer, wenn nicht wir, sollte für den Zusammenhalt der Gesellschaft stehen?

Als Sie 2016 forderten, dass Privatschulen Kinder von Geflüchteten nicht aufnehmen sollten, hatte das nicht für Eintracht gesorgt …!

Das war damals eine Position, auf die wir uns bei einer Fraktionsklausur geeinigt hatten. Ich habe das als Bildungspolitiker in der Öffentlichkeit so vertreten. Persönlich habe ich keine Probleme mit Privatschulen: Ich würde mein Kind zwar dort nicht hinschicken, aber dass beispielsweise die kirchlichen Schulen auch ihren Beitrag zur Integration leisten und Flüchtlingskinder aufnehmen, das finde ich gut und richtig. In dieser Diskussion war damals eine Emotionalität drin, die möglicherweise auch andere Gründe hatte.

War die geschürt?

Das weiß ich nicht. Sie stand in keinem Verhältnis zu der Handvoll Fälle, um die es da tatsächlich ging. Es waren im Ganzen zehn oder zwölf Kinder von Geflüchteten, die am Ende bei einer Privatschule in einen Vorkurs aufgenommen werden sollten.

Emotional wird auch auf Ihre Wahl zum Fraktionschef reagiert. Wie bewerten Sie das?

Emotionen sind doch etwas Schönes! Ich habe sehr viele Glückwünsche und Gratulationen bekommen, Facebook-, Twitter-, Whatsapp- und Direktnachrichten.

Es gab auch Parteiaustritte.

Ah, diese Emotionen meinen Sie: Die Parteiaustritte bedauere ich, kann sie aber auch nicht nachvollziehen. Wenn es persönliche Kritik an mir gibt, bin ich schon immer ein Mensch gewesen, der das im direkten Gespräch versucht zu klären. Das persönliche und politische Gespräch ist die Form, die erwachsene und demokratisch sozialisierte Menschen suchen sollten, um Konflikte auszutragen.

Ist das eine jener Ablehungserfahrungen, die viele Menschen mit Migrationshintergrund oft machen?

Auch wenn mir gegenüber in der Öffentlichkeit beleglose, heftige und mich kränkende Vorwürfe gemacht worden sind: Ich will diesen Menschen nicht zu nahe treten, indem ich ihre Beweggründe interpretiere.

Die benennen als Grund eine AKP-Nähe, die Sie bestreiten …?

Ja.

Gleichzeitig haben Sie Nähe selbst hergestellt, indem Sie im Februar ein Foto von sich mit AKP-Mann Mustafa Şentop getwittert haben. Warum?

Ein Foto mit einem Politiker stellt doch noch keine Nähe zu seiner Partei her. Ich habe mich bei meinem Besuch im türkischen Nationalparlament mit dem stellvertretenden Vorsitzenden unserer Schwesterpartei, der CHP getroffen. Und mit dem habe ich die gleichen Dinge besprochen wie mit dem damaligen Vizepräsidenten des Nationalparlaments, Mustafa Şentop,

… dem Architekten der diktatorischen türkischen Verfassung: Bloß warum twittern Sie das?

Ich habe ihn nicht in dieser Rolle besucht, sondern weil er Vizepräsident des türkischen Nationalparlaments war. Das hat sich so ergeben.

Und warum twittern Sie es?

Wenn es diesen Tweet nicht gegeben hätte, hätte das Gespräch ja trotzdem stattgefunden. Vielleicht wäre es interessanter, über den Gesprächsinhalt etwas zu erfahren. Der Vorwurf, den ich mir persönlich mache, ist, dass ich mich im Kommentar zu den beiden Bildern nur für das Gespräch und das offene Ohr bei beiden bedankt habe, und nichts über den Inhalt geschrieben habe: Das Thema, wie mit pflegebedürftigen Migrantinnen der ersten Generation zu verfahren ist, ist mir sehr wichtig.

So ein Foto wirkt in den Wahlkampf hinein.

Nein, das hatte nichts mit dem Bremer Wahlkampf zu tun. Was soll das denn bringen, wenn ich mich mit unserer Schwesterpartei und anschließend mit dem Parlamentsvizepräsidenten treffe? Das müssen Sie mir erst einmal erklären.

Grundsätzlich symbolisiert es Nähe.

Der CHP und AKP zusammen? Also wie mir das im Wahlkampf hätte helfen sollen, verstehe ich nicht. Ganz deutlich: Ich teile weder die Positionen der AKP noch bin ich Sympathisant, geschweige denn Erdoğan-Anhänger. Ich bin überzeugter Sozialdemokrat.

Das Twitterbild wäre keine Botschaft?

Gestern hat sich der Bürgermeister mit dem chinesischen Konsul getroffen. Ich hoffe, da ist jetzt keine politische Nähe zur Politik in China abzuleiten. Nein, ich will das nicht ironisieren, ich will auch nicht zynisch sein. Aber ich finde es unfair, dass es statt um einen Gesprächsinhalt immer nur um ein Foto geht – und zwar nur um eins von zwei Bildern.

Wo ist aus Ihrer Sicht der Platz des Vorsitzenden einer SPD-Fraktion, wenn demokratisch gewählte Abgeordnete verhaftet werden?

Da braucht man nicht mal Fraktionsvorsitzender zu sein. Das ist eine Frage der Sozialisation und der politischen Haltung. Gewählte Abgeordnete gehören ins Parlament – und die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut.

Dann ist ihre Verhaftung, wie im Fall der HDP-Abgeordneten 2016, ein Anschlag auf die Demokratie?

Ja. Das ist ein Anschlag auf die Demokratie. Selbstverständlich. Das haben wir in einem gemeinsamen Antrag mit CDU und Grünen seinerzeit ja auch verurteilt.

Aber Sie haben damals doch genau diesen Satz bekämpft?

Gucken Sie sich den Antrag an. Er ist ein eindeutig formuliert.

Dann erinnern sich die damaligen Abgeordneten falsch?

Das müssen Sie mit denen klären. Das will ich nicht beurteilen. Aber ich stehe zu dem Antrag, so wie er dann von der Bürgerschaft auch mit meiner Stimme beschlossen wurde. Es gab ursprünglich einen Antrag der Linksfraktion, den die FDP mittragen wollte. SPD, Grüne und die CDU fanden: Wir finden uns da nicht vollständig wieder. Dann gab es einen Änderungsantrag – und der hat dazu geführt, dass sich drei große Parteien hinter den Text stellen konnten, der die Politik der Türkei klar verurteilt hat. Und nicht zwei kleinere Parteien. Schöner hätte ich es gefunden, wenn wir, wie beim Bildungskonsens, auch die Linke dabei gehabt hätten. Und sogar fast die FDP.

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2 Kommentare

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  • Ach, der Güngör... ich denke gerne zurück an eine Personalversammlung Bremer Lehrkräfte im Pier 2 anno 2011. Das Maß an Arroganz und Selbstgefälligkeit, das Herr Güngör als Gesprächspartner auf dem Podium da an den Tag gelegt hat gegenüber den versammelten Pädagog*innen war so unterhaltsam wie erinnerungswürdig.

  • Sehr vielen Dank für das schön Interview mit der Entlarvung der SPD.

    Eine Positionierung zu den Wurzeln der SPD findet nicht mehr statt. Das wären nach Marx die Religionskritik und die Arbeiterschaft.



    Oder überhaupt mal eine konsistente Positionierung.

    Ich sehe in der Person Güngörs keine Formulierung der gemeinsamen Klasseninteressen der Proletarier und Lumpenproletarier, sondern eine Partikulargruppenbefriedigung.



    "eine klar quartiersbezogene Politik"

    Ergo eine Politik zur Spaltung der Gesellschaft, weil die Gruppen sich (politisch) nicht mehr homogenisieren und ein gemeinsames Interesse formulieren müssen.