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Davie Selke bei Hertha BSCEtwas aus der Zeit gefallen

Mehr als sentimentale Bundesliga-Aufwallungen: Davie Selke und Hertha BSC sind Zitate aus den Zeiten des Rumpelfußballs.

Manchmal ist Davie Selke immer noch oben Foto: reuters

E s wird maximal über Union gesprochen dieser Tage, weil die da in Köpenick so anders sind und so viel Bewegung drin ist und überhaupt, sie singen ständig, und selbst wenn sie nicht singen, ist das toll. Da vergisst man leicht schon mal, dass es noch einen anderen Hauptstadtklub gibt.

Und damit meine ich nicht TeBe, wo die Fans sich ihren Verein zurückgeholt haben, grandioserweise. Damit meine ich jenen Klub, der auch in der Bundesliga spielt, die letzten Jahre auf eine Art, die an Verweigerung grenzt.

Pál Dardai hat einen Stil eingeführt, so mutlos und ohne Anspruch an sich selbst, als würde er Charlottenburg gern die Zeit zurückgeben, in der man es sich in seiner Nische bequem gemacht hatte, ohne noch groß was zu erwarten als den nächsten Aperol Spritz. Hertha BSC, die graue Maus, ist noch ein ganzes Stück grauer geworden, seit Dortmund und die Bayern auch an die Wuhlheide kommen werden.

Es hat sich offenbar so etwas wie resignative Verzweiflung breitgemacht rund ums Olympiastadion, man kann es schon an der Betextung der Heimtrikots sehen. Letztes Jahr wurde noch angepriesen, dass das Heimtrikot „im dynamischen Streifenlook“ erscheine – und zwar „inspiriert vom pulsierenden Lebensgefühl Berlins“. Und weiter: „Zeige mit diesem Schmuckstück im ‚Hauptstadt-Style‘, was es heißt Herthaner zu sein!“

Dieses Jahr gibt’s ein paar Streifen und Farbverläufe weniger, dafür steht da nur noch: Das Trikot sei ein Zitat an längst vergangene Zeiten, „eine Hommage an die alten Jerseys von vor 20 Jahren aus der legendären Champions-League-Saison 1999/00“.

Der neue Mario Gómez?

„Träumst Du von Aufbruch oder von Untergang?“, sang Gustav einst, bei Hertha hat man die Frage längst beantwortet. Letztes Jahr war Hertha mal kurz ziemlich groß in den Medien, es ging darum, dass der Nationalmannschaft ein Stürmer fehlte. Und da, es muss so um den Februar herum gewesen sein, fiel findigen Beobachtern Davie Selke wieder ein.

Ebenjener Davie Selke, der einst bei Werder Bremen als große deutsche Sturmhoffnung gestartet war, bei RaBa Leipzig dann allerdings derartig heruntergewirtschaftet wurde, dass es danach nur noch für die Hertha reichte.

Und dann ist er auch noch ständig verletzt. Es ist wie verhext, Davie Selke bringt alle Qualitäten mit, die einst Mario Gómez ausgezeichnet haben: Schnelligkeit, Kopfballstärke, ausgezeichnetes Timing, einen sauberen Abschluss. Aber – da passt er ganz gut zu dem Klub, für den er aufläuft – sein Können ist etwas aus der Zeit gefallen. Vor zwanzig Jahren, ja, da hätte einer wie Davie Selke aber so was von!

Und jetzt passt er hervorragend in ein Team, das sich letztes Jahr als Anachronismus irgendwo im Niemandsland der Tabelle eingenistet hat, selbst einem Valentino Lazaro die Spielfreude ausgetrieben hat und nur noch ein Zitat aus den Zeiten des Rumpelfußballs ist. Kaum zu erwarten, dass das unter Ante Čović anders werden wird.

Damals, im Herbst 1999

Eine Partie, von der ziemlich viele Herthaner immer noch zu erzählen wissen, ist jene gegen den FC Barcelona, im Herbst 1999 war das gewesen, zweite Gruppenphase Champions League. Vom Spiel selbst aber erzählt keiner was, wie auch, es war unmöglich zu sehen, was da auf dem Platz vor sich ging: Dichter Nebel hatte sich breitgemacht, wie in einer Suppenterrine waberte die graue Masse im Olympiastadion umher.

Hin und wieder flog der rote Ball unter lauten Hohos und Hehes und Hahohes aus dem Grau in den weiten Himmel über Berlin; es war weniger zu erkennen als bei einer Asterix-Prügelei. Hertha holte ein unwahrscheinliches Unentschieden gegen den Favoriten, es war eine der Sternstunden der Klubgeschichte. Und niemand hat’s gesehen.

Das ist, in einem Spiel zusammengefasst, die Geschichte dieses Klubs. Die feuchten Augen, die die Anhänger bekommen, wenn sie über Vergangenes sprechen, die kommen nicht aus sentimentalen Aufwallungen: Sie rühren von der Erinnerung her, bei Kälte und zu hoher Luftfeuchtigkeit auf einem hässlichen Oberrang gestanden zu haben und sich beim Jahrhundertspiel des eigenen Vereins einen derartigen Schnupfen geholt zu haben, dass, wenn sie noch drei Wochen später niesten, vor lauter Schreck der Fiffi zwei Wohnungen weiter in eine Ecke schiss. So ist die Hertha: Sie wirkt im Verborgenen.

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